In den USA haben die Bundestagswahlen nicht gerade für Schlagzeilen gesorgt. Die New York Times brachte eine Randnotiz unter dem Seitenbruch, in den Abendnachrichten wurden die Wahlen gar nicht erwähnt. Verrät uns das etwas über die Rolle Deutschlands in der Welt oder eher über die Rolle der Leitmedien in den USA?

Interessante Frage. Ich denke, es verrät uns etwas über die Rolle der Medien in den USA. Grundsätzlich ist dort das Interesse an Außenpolitik in den letzten Jahren massiv zurückgegangen. Wenn Sie aktuelle Schlagzeilen in amerikanischen Medien verfolgen, sehen Sie einen klaren Fokus auf Innenpolitik – etwa auf das Haushaltsdefizit und natürlich immer wieder auch auf den laufenden Glaubenskrieg über die Rolle von Präsident Obama. Daneben behandeln die Medien natürlich auch eine Auswahl von aktuellen internationalen Fragen, zurzeit die einer möglichen Intervention in Syrien. Zugleich aber wird die Aufmerksamkeitsspanne der Medien immer kürzer. So ist auch die geringe Aufmerksamkeit für die Bundestagswahlen zu erklären. Sicher, es wurden einige Leitartikel verfasst, aber die Berichterstattung hielt sich sehr in Grenzen. Sie reflektiert schlichtweg nicht die Bedeutung, die der Bundesrepublik für Europa und auch für die Vereinigten Staaten zukommt.

Präsident Obamas Beziehungen zu Merkel sind nicht immer spannungsfrei gewesen. Einerseits die Verleihung der Medal of Freedom, andererseits gravierende Meinungsverschiedenheiten etwa in der Frage Stimulus oder Austerität – aber auch in Libyen, Syrien und der NSA Affäre. Was erwartet die US-Regierung von einem Kabinett Merkel III?

Das stimmt, es gab durchaus Spannungen. Und auch Persönliches spielte eine Rolle. Schließlich beruhen bilaterale Beziehungen zumindest zum Teil auf den Beziehungen der agierenden Personen. Aus meiner Sicht sind die Spannungen der vergangenen Jahre zu einem Teil auch in enttäuschten Erwartungen in Berlin begründet.

Obama hat etwa im Nahen Osten schlichtweg sehr wenig erreicht, vor allem wenn man es in Relation stellt zu seinen Ambitionen. Erinnern Sie sich an die Rede an die muslimische Welt in Kairo? Wenn man die Rhetorik außen vor lässt, ist kaum etwas gelaufen – etwa auch in Bezug auf den Nahostkonflikt zwischen Israelis und den Palästinensern oder in Bezug auf den Iran. Es fehlte schlicht eine langfristige Strategie. Und das hat auch die Bundeskanzlerin enttäuscht. Das Gefühl war hier zum Teil: Wir haben keinen Partner in Washington.

Interessant ist, dass das spiegelbildlich ebenfalls der Fall war. Denn enttäuschte Erwartungen gab es natürlich auch in Washington. Sicher bedauerte Präsident Obama die deutsche Enthaltung zu Libyen, obwohl Obama hier natürlich auch von den Republikanern um John McCain zum Handeln getrieben wurde. Deutliche Meinungsverschiedenheiten traten aber auch in der Frage Stimulus vs. Austeritätspolitik in Erscheinung. Präsident Obama hat ja mehrfach versucht, die Bundeskanzlerin zu einer Kursänderung zu drängen.

Die Spannungen zeigen, dass beide Seiten in den kommenden Jahren einen neuen Modus Vivendi finden müssen. Denn die Vereinigten Staaten brauchen Merkels Führungsstärke genauso wie Berlin Führung aus Washington. Eine Kernfrage wird dabei die Zukunft der transatlantischen Handelsbeziehungen sein. Aber es wird auch um viel Grundsätzlicheres gehen: etwa um die Kernfrage, wie eigentlich die Zukunft der NATO gestaltet werden soll. Außen- und Sicherheitspolitik haben Merkel bislang kaum interessiert. Auf solche Kernfragen müssen aber Antworten formuliert werden. Denn wir dürfen nicht vergessen: Die herkömmliche transatlantische Partnerschaft ist Geschichte. Und das ist nicht notwendigerweise schlecht, schließlich ist der Kalte Krieg vorbei. Jetzt muss aber die Frage beantwortet werden, wie eine neue Partnerschaft begründet werden kann. Und das auch vor dem Hintergrund der Hinwendung Obamas auf Asien.

Außenpolitische Enthaltsamkeit prägte nicht nur Regierungshandeln, sondern auch den Wahlkampf.  Hat Sie das überrascht?

Überrascht nicht. Es war ja klar: Merkel wollte zu Syrien keine Position beziehen. Aber letztlich wollte niemand das. Denn eine umfassende Diskussion über außenpolitische Herausforderungen hätte auch bedeutet, dass die Kernfragen der europäischen Integration diskutiert werden müssen. Das Schweigen über außenpolitische Entwürfe machte daher auch ein Schweigen über Europapolitik möglich, das sehr gelegen kam. Offensichtlich gab es hier ein stillschweigendes Einverständnis sämtlicher Akteure, diese Themen von der Agenda fernzuhalten. Zugespitzt formuliert: Die Wählerinnen und Wähler wollten Versicherungen über gute Haushaltsführung und die Sicherheit ihrer Spareinlagen. Und das haben sie auch bekommen.

In Berlin wird außenpolitische Enthaltsamkeit immer wieder mit dem spezifisch deutschen Gebot der Zurückhaltung gerechtfertigt. Wie wird diese Frage in den USA diskutiert?

Dieses Gebot der Zurückhaltung wird in den Vereinigten Staaten kaum noch wahrgenommen. Sicher, kritische und nachdenkliche Amerikaner verstehen grundsätzliche Sensibilitäten. Zugleich ist jedoch klar, dass Berlin an der Beantwortung der Frage, welche Idee es für eine künftige europäische Außenpolitik hat, nicht vorbeikommen wird. Zurückhaltung hin oder her.

Die Tatsache, dass diese Frage und andere außenpolitische Kernfragen bislang kaum offen diskutiert werden, ist besorgniserregend. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Europäer von globalen Bedrohungen schlichtweg nicht betroffen fühlen. Internationale Probleme dringen kaum in die europäische Wohlfühlzone vor: Die Flüchtlingsströme im Nahen Osten, der Einsatz chemischer Waffen in Syrien, diese Bedrohungen existieren aber nun einmal in der Realität und man sollte auf sie vorbereitet sein. Daher wäre es wichtig, wenn die neue Bundesregierung endlich auch einen Fokus auf außenpolitische Fragen legen würde. Im Dezember findet das erste Mal seit sieben Jahren ein gemeinsamer Verteidigungsgipfel der Staats- und Regierungschefs der EU statt. Hier ist ein konstruktiver deutscher Input dringend erforderlich.

In der US-Presse wird die Bundeskanzlerin durchaus ambivalent bewertet: Die New Republic bezeichnete sie jüngst als „Macchiavelli unserer Zeit“. Sie selbst beschreiben in ihrem Buch das „Phänomen Merkel“. Vertritt die Bundeskanzlerin einen Politikstil, der in den USA funktionieren würde?

Ganz sicher nicht. Das würde schon durch die Polarisierung und Fragmentierung zwischen Präsident und Kongress verhindert werden, die den Präsidenten zu viel deutlicheren Positionsbestimmungen zwingt. Im Vergleich zur Rolle Obamas genießt die Bundeskanzlerin in Deutschland traditionell eine viel beherrschendere Rolle. Sicher, die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik sind beides föderale Systeme, die durchaus Grenzen setzen. Doch Präsident Obama braucht den Kongress sehr viel stärker als ein deutscher Bundeskanzler den Bundestag.

Aus diesem Grund wäre diese gewisse Entpolitisierung der Politik, wie sie von Merkel offenbar betrieben wird, in den Vereinigten Staaten nicht möglich. Die Bundeskanzlerin profitiert dabei natürlich davon, eine Strategie der Risikominimierung zu fahren. Aber weniger ideologischer Wettbewerb ist die Folge. Über die wichtigen Fragen der künftigen Entwicklung des Landes gab es im Wahlkampf keine wirkliche Debatte. Mehr Integration? Weniger Integration? Diese Fragen blieben offen. Das ist bedauerlich. 

 

Das Gespräch führte Michael Bröning.