Am vergangenen Freitag verkündete Präsident Obama erste offizielle Reaktionen der US-Regierung zu einer möglichen Reform der NSA. Wie sind die Reformschritte zu bewerten?

Eine erste Bilanz bezüglich der Ankündigungen von Obama ist durchwachsen: Der Präsident, der die Methoden der NSA anfangs verteidigt hat, hat auch in der Rede zur Arbeit der NSA gestanden – und zugleich den Reformbedarf anerkannt. Er hat sich für mehr Transparenz, bessere Kontrolle und einige neue Regeln ausgesprochen. Für viele Kritiker in den USA ist er damit aber nicht weit genug gegangen, seine Ankündigungen blieben ihnen oft zu vage. Die Regierung soll beispielsweise die Daten nicht mehr aufbewahren, aber zu Analysezwecken weiter Zugang haben. Der Präsident hat jedoch nicht dargelegt, wie dies implementiert werden soll. Er kündigte besseren Schutz der Privatsphäre von Nicht-US-Bürgern an. Dies sehen einige Kritiker als Durchbruch, andere sind skeptisch, was die praktische Bedeutung angeht. Aber er hat die Tür für Reformen geöffnet. Dies war der Auftakt, nicht das letzte Wort. Obama hat  Regierungsstellen mit weiteren Überprüfungen beauftragt und vor allem den Reformball auch dem Kongress zugespielt.

Der Präsident bemüht sich um einen schwierigen Balance-Akt, indem er beide Seiten der Debatte anerkennt und einbezieht.

Der Präsident bemüht sich um einen schwierigen Balance-Akt, indem er beide Seiten der Debatte anerkennt und einbezieht. Einerseits will und muss er auf die Kritik im In- und Ausland an der Verletzung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten eingehen und erzürnte Alliierte besänftigen. Zugleich aber will er der als notwendig geltenden Gefahrenabwehr gerecht werden. Eine der Kernsorgen war und bleibt das Schreckensszenario eines neuen terroristischen Angriffs auf US-Boden, der dann in den Massenmedien und beim politischen Gegner zu dem Vorwurf führt: Dies hätte sich mit besserer Datenanalyse vermeiden lassen. Obamas Reformen umfassen einerseits neue Regeln für die Sammlung, Aufbewahrung und Nutzung von Daten durch die NSA, aber eben zugleich auch keine Unterstützung für die zum Teil viel weiter gehenden Ratschläge der Expertenkommission, die der Präsident im Oktober eingesetzt hatte.

Wie sind die Reaktionen in den USA? Im Vorfeld konnte man den Eindruck gewinnen, die öffentliche Empörung über die NSA habe sich in Grenzen gehalten.

Ich habe den Eindruck, dass sich in Deutschland in den Köpfen einiger Leute das Bild von den "Amerikanern als paranoide Verräter ihrer eigenen Werte" festgesetzt hat. Die harte öffentliche Debatte in den USA, die sich in der Exekutive, im Kongress, in den Gerichten und natürlich auch in der Presse abspielt, wird dabei oft übersehen. Wenn dies in den Blick genommen wird, wird deutlich, dass sich die amerikanische Demokratie nicht einfach abgeschafft hat vor lauter Sicherheitssorgen.

In den Vereinigten Staaten gibt es zahlreiche Kritiker der Überwachungsmechanismen und der Datensammelwut der NSA. Das Urteil der US-Bürger fällt derzeit gemischt aus. Laut Umfragen des Pew Research Center im Dezember 2013 glauben 39 Prozent der Befragten, dass die Internet-Überwachung und Datensammlung der Sicherheit vor Terroranschlägen diene, 14 Prozent sind vom Gegenteil überzeugt, aber 38 Prozent sind der Meinung, dass es keinen Unterschied mache. Für unsere Diskussion in Deutschland ist es wichtig zu erkennen, dass in den USA die Kritiker viele Grundsatzfragen stellen. Nämlich die Frage, ob die Kernargumente der NSA überhaupt greifen. In Frage gestellt wird nicht nur das zentrale Argument der NSA, verfassungskonform zu handeln, sondern auch die nicht minder zentrale Aussage, ihre Datensammlung sei für die Terrorabwehr und damit für amerikanische und globale Sicherheit unerlässlich. Richter Leon vom einflussreichen Federal District Court of Columbia erkannte in einem aktuellen Urteil zwar das „dringende Interesse“ an der Terrorabwehr an, schloss aber damit, dass die Regierungsseite „keinen einzigen Fall anführt“, in dem die Datensammlung „tatsächlich einen unmittelbar bevorstehenden Angriff gestoppt hat“.

Die Debatte zeigt, dass sich die amerikanische Demokratie nicht einfach abgeschafft hat vor lauter Sicherheitssorgen.

In einer Anfang 2014 von der New America Foundation vorgelegten Analyse von 225 Terror-bezogenen Fällen in den USA hieß es, dass die Massendatensammlung der NSA „keine erkennbare Auswirkung auf die Verhinderung von Terrorakten“ und nur einen äußerst  „marginalen Einfluss auf die Verhinderung von terror-bezogenen Aktivitäten habe“. Entscheidend waren in der Mehrheit der Fälle traditionelle polizeiliche Untersuchungen. Dies deckt sich mit der Aussage der von Präsident Obama berufenen Beratergruppe, die das Anti-Terror-Programm der NSA als „nicht essentiell für die Verhinderung von Angriffen“ bezeichnete.

Durch die Enthüllungen von Edward Snowden ist in den USA somit eine innen- und außenpolitische Großbaustelle entstanden. Gewohnt, im Verborgenen zu agieren (Spötter sprechen von „No Such Agency“), sieht sich die NSA nun öffentlich unter Beschuss  und in der Defensive. Kritische Analysen und Kommentare thematisieren einen außer Kontrolle geratenen Spionage-Apparat und die Grenzen seiner Wirksamkeit. Der Präsident hat in seiner Rede am 17. Januar festgehalten, dass es kein Beispiel für Machtmissbrauch seitens der NSA gebe. Aber das Fazit der Kritiker lautet aktuell: Die NSA hat ihre Machtbefugnisse überschritten, ihr Mandat missbraucht und massiv Vertrauen verspielt. Die amerikanische Regierung, der Kongress und US-Gerichte reagieren nun auf den wachsenden Reformdruck.

Für jede dauerhafte Regelung braucht Obama nicht zuletzt den US-Kongress, der immer wieder paralysiert erscheint. Wie ist hier der Diskussionsstand?

Interessanterweise wird gerade an dieser wichtigen Stelle die in den letzten Jahren oft so lähmende Polarisierung durchbrochen: Es finden sich Kritiker und Verteidiger der NSA in beiden politischen Parteien. Das erhöht die Aussichten auf Bewegung und Reform.

Kern vieler Debatten sind die Probleme adäquater parlamentarischer Kontrolle von geheimdienstlicher Tätigkeit. Drei Fragen stehen im Zentrum: Sollte der Kongress das Anzapfen von Telefon- und Internet-Daten reformieren und festlegen, dass die Daten unbescholtener Bürger nicht abgeschöpft werden? Sollte die NSA die Massen-Speicherung von Metadaten beenden? Sollte das FISA-Gericht weniger ehrerbietig gegenüber der Regierung agieren?

Interessanterweise wird gerade in der NSA-Frage die in den letzten Jahren oft so lähmende Polarisierung im US-Kongress durchbrochen.

Die ersten vorgelegten Reform-Entwürfe im Kongress spiegeln das zwischen Kritik und Verteidigung schwankende Meinungsspektrum im Kongress und in der Bevölkerung: Das Select Committee on Intelligence unter der Leitung der die NSA generell verteidigenden Senatorin Diane Feinstein legte den FISA Improvement Act vor, der mehr Transparenz und besseren Schutz der Privatsphäre sowie Einschränkungen im Zugang zur Datenbank vorsieht und die Aufbewahrungsdauer für Telefondaten auf 5 Jahre begrenzt. Doch die Kernvollmachten der NSA bleiben in diesem Vorschlag erhalten, einschließlich der Sammlung von Telefondaten bei Verdacht auf Verbindung mit Terrorakten.

Viel weiter geht dagegen der USA Freedom Act, den der Vorsitzende des Justizausschusses, der demokratische Senator Patrick Leahy, vorgelegt hat. Sein Gesetz würde die Regeln für das Anzapfen von Telefonaten und Emails verschärfen und sieht eine Beendigung der Rasterfahndung und Massenspeicherung sowie die Einführung eines „öffentlichen Anwalts“ vor, der vor dem FISA-Gericht Regierungsanfragen kritisch prüft. Internetfirmen wie Google und Facebook setzen sich für diese Reformgesetz ein.  

Selbst bei einer Einigung dürften die Gesetzesmühlen langsam mahlen… 

Das ist richtig:  Schnellere Wirkung als neue Gesetzgebungsprozesse entfalten daher möglicherweise richterliche Entscheidungen. Die NSA stützt sich bei der Verteidigung ihres Vorgehens als verfassungskonform auf eine Entscheidung des Obersten Gerichts von 1979, nach der US-Bürger bei den von einer „dritten Partei“ in diesem Fall der Telefongesellschaft aufgezeichneten Daten nicht erwarten, dass sie Teil ihrer Privatsphäre sind. Dieses zentrale Argument wurde durch den einst von George W. Bush ernannten Richter Richard Leon am einflussreichen Federal District Court of Columbia jüngst zurückgewiesen. Die Zeiten haben sich geändert, befand er. Denn Metadaten, die einst ein paar verstreute Mosaiksteinchen waren, enthüllen heute ein ganzes Mosaik. In der von einem konservativen Aktivsten gegen die Datensammlung eingebrachten Klage urteilte Richter Leon, die Sammlung von Telefondaten sei wahrscheinlich nicht verfassungsgemäß, denn sie verletzte „fast sicher den 4. Verfassungszusatz“ – also einen Bestandteil der Bill of Rights, der US-Bürger vor nicht gerechtfertigten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen schützt.

Die Freude der NSA-Kritiker über diesen Durchbruch wurde allerdings gedämpft, als zwei Wochen später Bundesrichter Richter William Pauley in New York in einer von der links-liberalen American Civil Liberties Union eingereichten Klage ganz anders entschied: Die massive Datensammlung sei legal und ein notwendiger „Gegenschlag“ gegen Terror, der den 4. Verfassungszusatz nicht verletze. Nach Berufungsverfahren wird sich nun wahrscheinlich bald der Oberste Gerichtshof mit der NSA befassen.

Präsident Obama hat in seiner Rede darauf verwiesen, was „hier auf dem Spiel steht ist, wie wir dem weiter treu bleiben, wer wir sind in einer Welt, die sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit verwandelt“. Die nun debattierten Reformen wären nicht angestoßen worden, hätte Edward Snowden nicht ein System aufgedeckt, das auf der  Basis geheimer Gesetzte, ihrer geheimen Auslegungen und geheimer richterliche Entscheidungen gearbeitet hat. Ein Teil der Amerikaner sieht ihn als Verräter und Überläufer, aber andere rechnen ihm hoch an, was er in Gang gesetzt hat.