Donald Trump hat den Bau einer Mauer entlang der Grenze der USA mit Mexiko angeordnet, um illegale Einwanderung und Drogenhandel über die Grenze zu beenden. Am Wochenende sind in Mexiko wieder tausende Menschen deswegen auf die Straße gegangen. Er besteht darauf, dass Mexiko für die Mauer zahlt. Wird er seine Ziele erreichen?
Bei der von Trump angeordneten Mauer handelt es sich vor allem um Symbolpolitik. Mexiko und sein Präsident Enrique Peña Nieto waren und sind dabei ein gefundenes Fressen für Trump, zunächst, um Wähler im Wahlkampf zu gewinnen und sie dann mit einer weitgehend wirkungslosen, aber teuren Scheinpolitik zu befriedigen. Dabei ist es Trump gelungen, den schwachen Präsidenten und die öffentliche Meinung Mexikos wegen der Minderwertigkeitsgefühle der Mexikaner gegenüber den USA praktisch beliebig zu manipulieren.
Etwa ein Drittel der 3200 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko und den USA wird bereits durch Mauern, Zäune oder Fahrzeugsperren „geschützt“. Die Grenzschutzpatrouillen wurden in den letzten Jahren aufgestockt. Die 22 000 Polizisten der Border Patrol können jedoch selbst auf dem gesicherten Teil der Grenze illegale Überquerungen nicht vollständig verhindern. Teile der Grenze liegen in schwer zugänglichen Wüsten- und Gebirgsgegenden, in denen der Bau einer Mauer und der für Patrouillen notwendigen Infrastruktur extrem teuer wäre. Gleichzeitig birgt die Durchquerung dieser Gebiete hohe Risiken für illegale Migranten. Schätzungen zufolge haben bereits 6000 bis 11 000 Migranten in den letzten 15 bis 20 Jahren die Durchquerung nicht überlebt. Selbst Trump will in diesen Gebieten keine Mauer bauen. Er spricht davon, dass eine Mauer die bisherigen Befestigungen ersetzen und auf etwa 1600 km ausdehnen soll.
Was würde eine Mauer kosten?
Wollte Trump tatsächlich eine technisch perfekte Mauer für diese 1600 km der Grenze bauen, würde dies nach Schätzungen rund 40 Milliarden US-Dollar kosten – Trump selbst nannte acht bis zwölf Milliarden US-Dollar, was jedoch allenfalls für technisch nicht ausreichende Mauern und Zäune reichen würde. Kosten für die ebenfalls notwendige Vervielfachung des Personals und der technischen Ausrüstung der Border Patrol sind in diesen Schätzungen nicht enthalten.
Und was würde sie bewirken können?
Die Wirkung der Mauer wäre bestenfalls marginal. Drogen werden in die USA hauptsächlich in Lastwagen über die Grenzübergänge geschmuggelt. Und die Übergänge werden jährlich von etwa 350 Millionen Personen und fünf Millionen Trucks und Autos überquert. Der Rest wird durch die Tunnel des Sinaloa-Kartels, in Booten entlang der Küsten und gelegentlich in Flugzeugen transportiert. Aktuell reisen jährlich rund 500 000 Migranten mit legalen Visa in die USA ein, kehren aber nicht zurück und werden so zu illegalen Einwanderern. Etwa die gleiche Anzahl, so aktuelle Schätzungen, überqueren illegal die Grenze ohne Visa. Die Mauer würde diese illegalen Grenzüberquerung, je nach Ausbau, mehr oder weniger stark einschränken.
Wie sieht die Situation der illegalen Migranten in den USA aus?
Die Zahl der illegal in den USA lebenden Migranten wird derzeit auf insgesamt etwa elf bis zwölf Millionen geschätzt; etwa die Hälfte davon, fünf bis sechs Millionen, sind Mexikaner. Die Anzahl der US-Bürger mexikanischer Abstammung wird auf 30 Millionen und die der in Mexiko geborenen Migranten in den USA auf knapp über elf Millionen geschätzt. Von denen hält sich etwa die Hälfte illegal in den USA auf. Die illegale Netto-Migration von Mexikanern in die USA hat sich seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 umgekehrt: In den letzten Jahren kehrten mehr Mexikaner aus den USA zurück als versuchen, illegal in die USA zu gelangen. Die illegale Netto-Migration aus Mexiko in die USA besteht heute hauptsächlich aus Migranten aus Zentralamerika, deren Zahl 2015 erstmals die Zahl der mexikanischen illegalen Migranten übertraf. Experten gehen davon aus, das die von Trump vorgeschlagene Mauer zwar die illegale Migration aus Mexiko auf dem Landwege in die USA erschweren, aber nicht deutlich wird eindämmen können. Obwohl der Rückgang der Migration über die Landgrenze häufig auf die seit 2006 gebauten Mauern, Zäune und Fahrzeugsperren zurückgeführt wird, dürfte der Hauptgrund die Wirtschaftskrise in den USA gewesen sein. 2005 wurden noch 1,5 Millionen illegale Migranten an der Grenze aufgegriffen.
Die Auswirkungen wären also nicht so gewaltig, wie Trump es darstellt?
Insgesamt wird die Mauer bestenfalls geringe Auswirkungen auf Migration und Drogenhandel aus Mexiko in die USA haben, mit einem extrem schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnis. Deshalb ist es auch wahrscheinlich, dass der Mauerbau letztlich aus einigen propagandistisch ausgeschlachteten Einweihungsfeiern bestehen wird. Klar ist, dass Mexiko dafür nicht durch eine Überweisung an die Regierung Trump zahlen wird. Trump behauptet, man werde Mexiko halt durch erhöhte Einfuhr-Steuern zahlen lassen – was viele Leute tatsächlich glauben – obwohl Volkswirte beiderseits der Grenze darauf hinweisen, dass es dann die US-Konsumenten sind, die die Mauer durch erhöhte Preise zahlen.
Trump droht Mexiko mit Strafzöllen und einer Kündigung oder Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA). Wie groß ist die Bedrohung tatsächlich für Mexiko?
Die Bedrohung für Mexiko <link kommentar artikel nafta-neuverhandeln-muy-bien-1830>ist real, aber wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung der beiden Länder werden die angekündigten Maßnahmen auch negative Auswirkungen auf die USA haben. Fast 80 Prozent der Exporte Mexikos gehen in die USA, insbesondere der verarbeitenden Industrie. Mexiko hat zwar über 40 Freihandelsabkommen mit anderen Ländern, ist aber nur im Rest Lateinamerikas konkurrenzfähig. Dort aber sind die sogenannten Freihandelsabkommen eher „Handelsbeschränkungsabkommen“, vor allem in der Automobilindustrie. In Europa und Asien ist Mexiko nicht konkurrenzfähig. Mexiko hat weder das Fachpersonal noch die Kapazitäten in Forschung und Entwicklung, um dort mit innovativen Produkten und hoher Produktivität Marktanteile erringen zu können. Und die Billiglohn-Produkte kommen in Europa aus Osteuropa oder Asien und in Asien aus der Region selbst. Als Folge dessen sehen die multinationalen Unternehmen, die die führenden Exportindustrien in Mexiko kontrollieren, Mexiko als Exportplattform für die USA. Dabei sind die Wertschöpfungsketten auf den US-Markt hin optimiert. In der Automobilindustrie stammen im Schnitt etwa 40 Prozent der Wertschöpfung eines in den USA verkauften, aber in Mexiko montierten Autos aus den USA selbst.
Was bedeutet das?
Es bedeutet, dass Trump Mexiko zwar mit massiven Einbrüchen der Export-Produktion für die USA drohen kann, aber bei einer Umsetzung der Drohungen der eigenen Wirtschaft schadet. Kurzfristig können die Importe aus Mexiko nicht von US-Produktion ersetzt werden, so dass der Rückgang der mexikanischen Exporte in die USA einerseits auch einen Rückgang der Exporte der USA nach Mexiko zur Folge haben wird, und andererseits die Nachfrage zu erhöhten Preisen durch Importe aus anderen Regionen gedeckt würde. Beide Länder würden also verlieren. Mittelfristig ließen sich natürlich die Exporte aus Mexiko – und anderen Ländern – in die USA durch lokale Produktion ersetzen, bezahlen würden dies jedoch ebenfalls die Konsumenten in den USA mit steigenden Preisen.
Also hätte der typische Trump-Wähler gar nichts davon?
Die Wähler, die Trump in den alten Industrieregionen, wie etwa Pennsylvania, den Demokraten abnehmen konnte, werden nur wenig davon profitieren. Die neuen Fabriken werden nicht dort entstehen, sondern im Süden der USA, wo Gewerkschaften schwach oder abwesend sind. Außerdem werden sie wegen der Automatisierung und des technischen Wandels weitaus weniger beschäftigungsintensiv sein, als es die verarbeitende Industrie früher im rust belt der USA war. Allerdings müsste Trump für solche Politiken nicht nur NAFTA kündigen, sondern auch die Regeln der Welthandelsorganisation (WHO) brechen oder aufkündigen. Denn die nach WHO-Regeln zulässigen Zölle würden die Exporte Mexikos – und anderer Länder – in die USA praktisch nicht einschränken. Da der mexikanische Peso seit 2014 etwa 40 Prozent seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren hat, bleiben die mexikanischen Güter in den USA auch dann konkurrenzfähig, wenn Trump seine Drohung einer 20- oder 30-prozentigen Import-Steuer etwa auf mexikanische Autos wahr machen würde.
Trump hat angekündigt, bis zu 3,5 Millionen illegale Mexikaner innerhalb kurzer Zeit nach Mexiko abzuschieben. Was ist davon zu halten?
Das würde eine soziale Krise und möglicherweise auch eine schwere politische Krise in Mexiko zur Folge haben. Man muss bedenken, dass diese Rückkehrer entweder keine Arbeit finden oder ihre eigenen Landsleute aus ihren bisherigen Jobs verdrängen würden. Einmal mehr würde dies auch die USA treffen, denn Teile der Landwirtschaft in den USA hängen inzwischen von den billigen und ausbeutbaren illegalen mexikanischen Landarbeitern ab.
Die Reaktion der US-Wirtschaft ist vor diesem Hintergrund eine Mischung aus Gelassenheit und Widerstand. Die betroffenen Sektoren der Landwirtschaft sind nervös, denn sie möchten gerne weiterhin illegale Einwanderer beschäftigen. Die Unternehmen der verarbeitenden Industrie dagegen bleiben gelassen. Sie machen symbolische Zugeständnisse gegenüber Trumps symbolischer Politik, aber die Veränderungen ihrer Investitionen sind entweder marginal, oder es handelt sich um Investitionen, die sowieso schon gestrichen waren. Bis sich geklärt hat, was Trump und die mexikanische Regierung tatsächlich aushandeln, wird es allerdings kaum neue Investitionen geben.
Was bezweckt Trump mit dieser Politik?
Trump geht es nicht um Mexiko. Möglicherweise versteht er nicht, dass jede Krise, die er in Mexiko hervorruft, auch der Wirtschaft und den Bürgern in den USA schadet – wenn auch nicht im gleichen Maße. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es ihm auch hier um symbolische Politik geht. Er scheint darauf zu setzen, dass seine Wähler und Anhänger die komplexen Zusammenhänge nicht verstehen. Wie bei Populisten in Lateinamerika, von Juan Perón bis Hugo Chávez, konstruiert er einen politischen Heilsmythos, der kurzfristig die Heilserwartungen befriedigt, aber mittel- bis langfristig zur wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe führt. Möglicherweise hofft er auch darauf, dass ihm eine harte Haltung gegenüber Mexiko Verhandlungsvorteile gegenüber den beiden Ländern bietet, die die größeren Handelsbilanzüberschüsse gegenüber den USA haben, deren politische Macht aber ungleich größer ist als die Mexikos: China und Deutschland.
Warum hat sich Trump ausgerechnet Mexiko ausgesucht?
Aufgrund seiner Nähe zu den USA und seiner Rolle als wichtigstem Ursprungsland von illegaler Migration und Drogen in den USA bietet sich Mexiko geradezu an als Opfer für Trump. Migration und Drogen sind für viele Wähler, die Trump ködern konnte, gefühlte Bedrohungen. Sie werden verstärkt durch das Bild eines Landes, das von korrupten Politikern und Drogenbaronen kontrolliert wird – beides Wahrnehmungen, die ihren Ursprung in der tiefen Krise der Politik, der politischen Institutionen und von Sicherheit und Rechtsstaat in Mexiko haben. Ebenso wichtig, das Land kann sich nicht wehren, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann sich die mexikanische Wirtschaft nicht von den USA abkoppeln. So konnte Trump im Wahlkampf Mexiko als Projektionsfläche für seine Wähler für alle von ihnen gefühlten äußeren Bedrohungen nutzen. Und spätestens seit seinem Besuch im Wahlkampf in Mexiko kann er große Teile der mexikanischen politischen Elite nach Belieben demütigen und manipulieren. Seinen Wählern zeigt Trump damit Entscheidungsfreude und kompensiert stellvertretend für sie ihre Wut und eigene Demütigung. Die Beziehungen zwischen den USA und Mexiko sind damit zerrüttet. Die Mexikaner müssen zähneknirschend darauf hoffen, dass sich Trump in den anstehenden Verhandlungen rationalen Argumenten zugänglich zeigt.
Welche Optionen hat Mexiko, auf Trump zu reagieren?
Die Lösung für Mexiko bestünde aus einer Entwicklungsstrategie, die auf massive Investitionen in Infrastruktur, Humankapital sowie Forschung und Technologie setzt und auf eine Neuausrichtung seiner Handelsbeziehungen auf Südamerika, Asien und Europa. Da die Privatwirtschaft dazu weder bereit noch in der Lage ist, müsste die Regierung hier die Führung übernehmen. Notwendig dafür wäre eine weitreichende Steuerreform. Voraussetzung dafür wäre wiederum die wirksame Bekämpfung der Korruption und die Wiederherstellung eines funktionierenden Rechtsstaats.
Wie realistisch ist ein solches Szenario?
Eine solche Neuausrichtung wird nicht von der gegenwärtigen Regierung kommen. Sie hat nicht nur keine Legitimität, sondern ist auch den bisherigen Grundprinzipien der mexikanischen Politik und Wirtschaftspolitik zu sehr verhaftet. So sehr, dass Präsident Peña Nieto in den letzten Monaten gegenüber Trump wie das Kaninchen vor der Schlange wirkte. Statt direkt nach der Wahl Trumps Brasilien, Argentinien und die Länder der Pazifischen Allianz (Kolumbien, Peru und Chile) zu besuchen, um möglichst schnell über die Integration Mexikos in Südamerika zu verhandeln, wartete er auf eine Einladung Trumps nach Washington. Und als Trump per Exekutivanordnung die USA aus der Transpazifischen Partnerschaft zurückzog, reiste Peña Nieto eben nicht sofort nach Peking, um über die Teilnahme Mexikos an dem von China angestoßenen Alternativbündnis zu verhandeln.
Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018 wird aller Voraussicht nach der Kandidat der PRI, der Partei von Peña Nieto, verlieren. Die größten Chancen hat momentan der nationalistische Linkspopulist Andrés Manuel López Obrador. Von ihm ist zwar eine gewisse Neuausrichtung der mexikanischen Politik zu erwarten, die jedoch eher auf die Rückkehr in eine glorifizierte Vergangenheit deutet. Unabhängig davon, wer gewinnt: In der mexikanischen Politik zeichnet sich bisher keine politische Konstellation ab, die der Korruption der politischen Klasse ein Ende setzen, einen funktionierenden Rechtsstaat wiederaufbauen und eine zukunftsweisende Entwicklungsstrategie verfolgen könnte.
Die Fragen stellte <link ipg autorinnen-und-autoren autor ipg-author detail author anja-papenfuss>Anja Papenfuß.