Das Interview führte Claudia Detsch.
Friedrich Merz bewirbt sich um den Vorsitz der CDU. Noch ist er Chef des Aufsichtsrats beim Vermögensverwalter BlackRock Deutschland. Muss eine enge Verquickung von Politik und Wirtschaft per se unvorteilhaft sein? Immerhin kennen sich Politiker dann gut in Wirtschafts- und Finanzfragen aus.
In den USA wird die Drehtür zwischen Industrie, Finanzen und Politik intensiv genutzt. Es gibt bei vielen Akteuren in Washington in der Tat ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge und Zwänge in der Wirtschaft. Solche Erfahrungen fehlen meiner Meinung nach in Deutschland zu oft. Problematisch finde ich an dem geplanten Wechsel von Friedrich Merz allerdings, dass er von BlackRock wegen seiner politischen Position angeheuert wurde und nicht etwa wegen seiner einschlägigen Erfahrung in diesem Geschäftsbereich. Es geht also nicht um Erfahrungen, sondern um Verbindungen. Die Gefahr besteht bei einer solchen Rückkehr auch darin, dass der Betreffende sich die Sichtweise seines Arbeitgebers zu eigen gemacht hat. Die Finanzkrise ist ein Beispiel dafür, dass eine zu große persönliche Nähe von Branche und Aufsicht desaströse Konsequenzen haben kann.
Wie sind die Aktivitäten von BlackRock einzuschätzen? Was ist so problematisch an dem Unternehmen?
Einen Konzern wie BlackRock hat es noch nie gegeben. Da ist zum einen seine schiere Größe - über sechs Billionen Dollar verwalten die New Yorker, das ist fast das Doppelte der deutschen Wirtschaftsleistung. Niemand hat einen vergleichbaren Einblick in Unternehmen, Regierungen, Regulierer und Notenbanken wie BlackRock. Von Goldminen in Ghana, über Pharmalabors in den USA bis hin zu Onlinehändlern in China - überall ist der Konzern beteiligt. Nicht zuletzt in Deutschland hat das Unternehmen viele Interessen. Über seine Fonds ist BlackRock an allen großen Konzernen des Landes beteiligt, oft ist es der größte Einzelaktionär. BlackRock ist zudem einer der führenden Investoren in deutschen Immobiliengesellschaften, denen rund 700 000 Wohnungen gehören. Mit diesem Konzern darf es sich kein Manager verderben. Überwacht werden diese Anlagen von einem gigantischen Datenverarbeitungssystem mit dem märchenhaften Namen Aladdin, das teilweise sogar sekündlich ausrechnet, welchen Wert Aktien, Bonds, Devisen oder Kreditpapiere haben. Mehr als 200 Pensionsfonds, Vermögensverwalter, Versicherer, Staatsfonds und Stiftungen lassen über 18 Billionen Dollar von Aladdin durchleuchten. Aladdin häuft einen Informationsschatz an, den es noch nie zuvor gegeben hat. Bisher hat es BlackRock trotz alledem geschafft, weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung zu fliegen.
In den letzten Jahren haben sich einige transnationale Konzerne zunehmend zu gigantischen Akteuren der Globalisierung entwickelt. Welche Konsequenzen bringt das mit sich?
Problematisch finde ich aus der Sicht Deutschlands, dass die Eigentümer und Kapitalgeber inzwischen vielfach aus dem Ausland kommen. Damit hat die Doktrin des „Shareholder Value”, nach der der Sinn eines Unternehmens in erster Linie die Maximierung des Gewinns der Anteilseigner ist, auch in Deutschland Einzug gehalten. Die Mehrheit der Aktien der Dax-Konzerne - bei denen fast zwei Millionen Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten -, gehört inzwischen ausländischen Anlegern, den Großteil stellen angelsächsische Investoren. Bei der Deutschen Börse, Adidas, Bayer und Infineon sind es laut einer Studie der Unternehmensberatung EY vom Frühjahr dieses Jahres sogar 70 Prozent. Die Manager richten sich nach ihren Großaktionären. Das schlägt sich in Abspaltungen großer Unternehmensteile, Zukäufen in großem Stil und einem Wandel der Strukturen und Geschäftsmodelle nieder. Ein jüngeres Beispiel ist ThyssenKrupp, bei dem der US-Hedgefonds Elliott auf eine Zerschlagung drängt. Für die New Yorker spielen Arbeitsplätze in deutschen Stahlwerken keine Rolle. Was die Auflösung gewachsener Standorte für die betroffenen Kommunen bedeutet, muss sie nicht kümmern.
Wie kann man solchen Entwicklungen entgegenwirken? Immerhin haben wir eine freie Marktwirtschaft und kein staatszentriertes Modell.
Ein Ansatzpunkt wäre, Manager wieder mehr auch anderen Stakeholdern in einem Unternehmen zu verpflichten. Ein Unternehmen gehört nicht allein den Aktionären. Arbeitnehmer, Kunden und Lieferanten tragen ebenfalls zum Unternehmenserfolg bei. Das ist gar keine neue Idee, sondern war eigentlich vor dem Aufstieg der Shareholder Value Doktrin eine verbreitete Ansicht. Die Frage ist, wie sich dies wiederbeleben lässt. Die US-Senatorin Elizabeth Warren hat vor einigen Wochen einen Gesetzesvorschlag eingebracht, den sie „Accountable Capitalism Act“ nennt. In jedem Unternehmen mit über einer Milliarde Dollar Jahresumsatz müssten sich die Manager rechtlich verpflichten, neben den Interessen der Aktionäre auch die der anderen Stakeholder zu wahren. Manager könnten sich damit gegen den einseitigen Druck von Großaktionären wehren.
Nach der Finanzkrise 2008 wurde die Regulierung des Finanzmarktsektors nur unzureichend angegangen. Lassen sich weitreichende Reformen gegen Akteure dieser Größenordnung überhaupt durchsetzen?
Während Banken strikter reguliert wurden, haben Regulierer Vermögensverwalter wie BlackRock und andere Nichtbanken weitgehend in Ruhe gelassen. Zwar gab es den Versuch in den USA etwa, die gigantischen Vermögensverwalter wie BlackRock als „Too Big to Fail“ zu designieren und strengerer Aufsicht zu unterwerfen. Unter der neuen US-Regierung hat der Druck aber deutlich nachgelassen. So sprach sich das US-Finanzministerium in einer Studie dagegen aus, einzelnen Unternehmen das „To Big to Fail“-Label zu verpassen. Damit ist aber klar, dass Black Rock und andere wie Vanguard nicht mehr von der damit einhergehenden strikteren Aufsicht betroffen wären. Mehr noch: In dem Papier versprachen die Behörden, in offiziellen Dokumenten den Begriff „Schattenbanken“ nicht mehr zu verwenden. Das ist ein Begriff, den vor allem BlackRock vehement ablehnt.
Wie lassen sich die politischen Gestaltungsmöglichkeiten bei wichtigen Reformen erhalten?
Die Politik muss trotz der bisherigen Maßnahmen an dem Thema Kapitalmärkte dran bleiben. Reformen kommen leider meist dann, wenn das Kind im Brunnen liegt. Für die Regulierer ist es auch deshalb schwierig, die Vermögensverwalter strikter zu regulieren, weil bisher noch kein schwerwiegender Zwischenfall passiert ist. Darauf verweisen auch die Branchenvertreter und wehren sich gegen die, aus ihrer Sicht, überzogenen Vorschriften. Umso wichtiger werden Studien, die neutralere Erkenntnisse und Diskussionsgrundlagen liefern. Ein gutes Beispiel ist das Wettbewerbsrecht. Weil die Indexfonds oft ganze Branchen abbilden, gehören konkurrierende Unternehmen oft denselben Großaktionären. Das ergibt eine Art Eigentümerkartell. Studien von Wirtschaftswissenschaftlern ergaben, dass dies bei Fluglinien und Banken in den USA zu höheren Preisen und schlechteren Bedingungen für Kunden führte. Solche Erkenntnisse sollten zu einer Diskussion über eine Aktualisierung des Wettbewerbsrechts führen. Das Wettbewerbsrecht ist auch in der Frage von Techriesen wie Amazon und Google ein Bereich, der von enormer Bedeutung für die politischen Gestaltungsmöglichkeiten sein wird.