Der zunehmende handelsfeindliche Populismus im laufenden US-Wahlkampf deutet auf einen gefährlichen Rückzug von der weltweiten Rolle der USA hin. Im Namen der Verringerung der Ungleichheit in den USA wollen Präsidentschaftskandidaten beider Parteien die Aspirationen von hunderten Millionen verzweifelt armer Menschen in den Entwicklungsländern auf einen Aufstieg in die Mittelschicht zunichtemachen. Erweist sich die politische Attraktivität einer handelsfeindlichen Politik als dauerhaft, markiert dies einen historischen Wendepunkt in weltwirtschaftlichen Angelegenheiten, der für die Zukunft der amerikanischen Führungsrolle nichts Gutes erwarten lässt.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat vorgeschlagen, chinesische Einfuhren in die USA mit einer Steuer von 45 Prozent zu belegen – ein Plan, der vielen Amerikanern gefällt, weil sie glauben, dass China durch unfaire Handelspraktiken reich wird. Doch bleibt China trotz seines außergewöhnlichen Erfolgs in den letzten Jahrzehnten ein Entwicklungsland, in dem ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung in einer Armut lebt, wie sie nach westlichen Standards unvorstellbar wäre.

Man betrachte Chinas neuen Fünfjahresplan, der darauf abzielt, bis 2020 55 Millionen Menschen über die Armutsgrenze zu heben – eine Schwelle, die auf lediglich 2300 Yuan oder 354 Dollar pro Jahr festgelegt wurde. Im Vergleich hierzu beträgt die Armutsgrenze in den USA für eine Einzelperson rund 12 000 Dollar. Natürlich gibt es erhebliche Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten, die direkte Vergleiche zweifelhaft erscheinen lassen, und natürlich ist Armut zumindest in den hochentwickelten Volkswirtschaften genauso sehr ein gesellschaftlicher wie ein wirtschaftlicher Zustand, doch die allgemeine Aussage, dass die Ungleichheit zwischen Ländern sehr viel höher ist als die Ungleichheit innerhalb von Ländern, ist bestechend.

Dabei ist das chinesische Armutsproblem weltweit durchaus nicht das schlimmste. Indien und Afrika weisen Bevölkerungen auf, die mit den 1,4 Milliarden Menschen in China mehr oder weniger vergleichbar sind, wo jedoch erheblich kleinere Bevölkerungsanteile den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft haben.

 

Bernie Sanders handelsfeindliche Rhetorik ist beinahe genauso gefährlich wie die von Donald Trump.

Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders ist ein deutlich angenehmerer Zeitgenosse als „The Donald“, doch seine handelsfeindliche Rhetorik ist beinahe genauso gefährlich. Gestützt auf prominente linke Ökonomen zieht Sanders über die vorgesehene neue Transpazifische Partnerschaft (TPP) her, obwohl diese viel dazu beitragen würde, den Entwicklungsländern zu helfen – etwa, indem sie den japanischen Markt für Importe aus Lateinamerika öffnet.

Sanders kritisiert sogar seine Gegnerin Hillary Clinton für ihre Unterstützung früherer Handelsvereinbarungen, wie dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) von 1992. Dabei zwang dieses Übereinkommen Mexiko, seine Zölle auf US-Waren sehr viel stärker zu reduzieren, als es die USA zwang, ihre bereits vorher niedrigen Zölle auf mexikanische Waren zu senken. Unglücklicherweise hat der durchschlagende Erfolg von Sanders’ und Trumps handelsfeindlicher Rhetorik Clinton von ihrer eher zentristischen Position weggeführt und könnte dieselbe Wirkung auf viele Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats haben. Dies ist ein Rezept, das in die Katastrophe führt.

Die TPP hat ihre Mängel, insbesondere was den überzogenen Schutz geistiger Eigentumsrechte angeht. Doch die Vorstellung, dass das Abkommen in den USA in großem Umfang Arbeitsplätze vernichten wird, ist äußerst fragwürdig, und man muss etwas tun, um den Verkauf von Hightech-Gütern in die Entwicklungsländer, einschließlich von China, zu erleichtern, ohne Angst haben zu müssen, dass diese Waren dort umgehend geklont werden. Sollte die TPP nicht ratifiziert werden, wird dies fast mit Sicherheit viele Millionen Menschen in den Entwicklungsländern zu anhaltender Armut verdammen.

 

Das richtige Rezept für weniger Ungleichheit in den USA ist nicht die Abkehr vom Freihandel, sondern ein besseres Steuersystem.

Das richtige Rezept für weniger Ungleichheit in den USA ist nicht die Abkehr vom Freihandel, sondern die Einführung eines besseren Steuersystems, das einfacher und progressiver ist. Im Idealfall würde dies eine Umstellung von der Einkommensteuer auf eine progressive Verbrauchsteuer umfassen (das einfachste Beispiel hierfür wäre eine Pauschalsteuer mit sehr hoher Steuerbefreiung). Die USA brauchen zudem eine tiefgreifende Strukturreform ihres Bildungssystems, die Hindernisse für die Einführung von Technologien und Wettbewerb ausräumt.

Tatsächlich bieten neue Technologien Aussichten auf eine deutliche Vereinfachung der Umschulung von Arbeitnehmern aller Altersgruppen und ihre Ausstattung mit neuen Hilfsmitteln. Die Befürworter einer über höhere Haushaltsdefizite finanzierten Umverteilung denken zu kurz. Angesichts der ungünstigen demografischen Entwicklung in der hochentwickelten Welt, einer sich verlangsamenden Produktivität und steigender Rentenverpflichtungen ist sehr schwer erkennbar, wie das Endresultat steil steigender Schulden aussehen würde.

Ist den Befürwortern eines höheren Defizits auf der Linken eigentlich bewusst, dass die von künftigen Schuldenkrisen (oder finanzieller Repression) ausgehenden Belastungen wie schon in der Vergangenheit vor allem Arme und Angehörige der Mittelschicht treffen dürften? Eine simple Einkommensumverteilung über Steuern und Transferleistungen wirkt deutlich direkter und stärker und würde mit Sicherheit zu einem Anstieg der Gesamtnachfrage beitragen.

 

Was den Handel angeht, ist der aktuelle US-Präsidentschaftswahlkampf eine peinliche Angelegenheit.

Wer die USA als großen Verlierer des weltwirtschaftlichen Status quo darstellt, muss seine Sicht diesbezüglich dringend relativieren. Ich habe wenig Zweifel, dass der konsumorientierte Lebensstil der Amerikaner in 100 Jahren nicht länger als etwas betrachtet werden wird, das man beneidet und dem man nacheifern sollte, und dass das Versäumnis der USA, eine Kohlenstoffsteuer einzuführen, als massives Versagen angesehen werden wird. Bei nicht einmal fünf Prozent der Weltbevölkerung entfällt auf die USA ein enorm überproportionaler Anteil an CO2-Emissionen und anderer Umweltverschmutzung, für den zu einem erheblichen Teil die amerikanische Mittelschicht verantwortlich zeichnet.

Doch die Idee, dass der Handel Ungleichheit anheizt, ist sehr provinzlerisch, und die Befürworter des Protektionismus, die sich in moralistischer Weise als Kämpfer gegen die Ungleichheit stilisieren, sind zutiefst scheinheilig. Was den Handel angeht, ist der aktuelle US-Präsidentschaftswahlkampf auch von der Substanz und nicht nur den Persönlichkeiten her eine peinliche Angelegenheit.

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