Nachdem ein Jahrzehnt lang mit grenzenlosem Optimismus der Aufstieg Afrikas beschworen wurde, ging in den letzten Monaten mit dem Konjunkturrückgang in China und den fallenden Preisen für Öl und Rohstoffe ein sinkendes Wachstum des Bruttosozialprodukts in vielen afrikanischen Volkswirtschaften einher. Die beiden größten Volkswirtschaften Südafrika und Nigeria stehen besonders schlecht da. Viele Länder haben mit einem wachsenden Handels- und Haushaltsdefizit und steigenden Auslandsschulden zu kämpfen. Das Ende des Mythos vom „Aufstieg Afrikas“ lässt erkennen, dass sich Afrika nie wirklich „entwickelt“ hat.
Gespeist wurde der Mythos vom Aufstieg Afrikas in den letzten zehn Jahren von verschiedenen Faktoren: dem enormen chinesischen Hunger auf Öl und Rohstoffe aus Afrika, massive ausländische Direktinvestitionen, ein dauerhaft starkes Wachstum des Bruttosozialprodukts, die steigende Zahl afrikanischer Milliardäre und die explosionsartige Zunahme an Mobiltelefonen. Doch das waren keine zuverlässigen Indikatoren für echte Entwicklung, also die Überwindung einer zu starken Abhängigkeit von landwirtschaftlicher Primärerzeugung und Rohstoffgewinnung und die gleichzeitige Diversifizierung der Volkswirtschaft mit einer Betonung des Industrie- und Dienstleistungsbereichs. Dass dem Wachstum des Bruttosozialprodukts zu viel Bedeutung zugemessen wurde, überdeckte somit die Frage, ob sich in den afrikanischen Volkswirtschaften eine Industrialisierung vollzogen hat oder nicht. Leider belegen die Daten, dass der Kontinent überwiegend keine Industrialisierung durchlaufen hat.
Zurückzuführen ist das in erster Linie auf die Ideologie des freien Handels und der freien Märkte und die Interpretation von „Globalisierung“ in den letzten Jahrzehnten, die den Ländern abverlangte, dass sie sich den Zugang zur Weltwirtschaft durch Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung ebnen und dann unter „gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen“ mit anderen Ländern konkurrieren. Ein solcher Ansatz aber schränkt die Fähigkeit des Staates ein, umsichtige und langfristige nationale Wirtschaftsstrategien für eine Diversifizierung im Inland zu entwickeln.
Leider widersprechen diese Grundvoraussetzungen für Entwicklung den Freihandelsprinzipien und wurden daher in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Curriculum der meisten Universitätsfakultäten gestrichen.
Die Vorstellung, dass „Entwicklung“ über Freihandel und freie Märkte erreicht wird, zwang afrikanische Länder darüber hinaus, grundlegende Lektionen zu ignorieren, die alle reichen Länder im Lauf der Zeit gelernt hatten: Erstens durchlaufen einzelne Volkswirtschaften über einen langen Zeitraum hinweg eine äußerst individuelle Entwicklung, sodass sie zu einem gegebenen Zeitpunkt ein jeweils unterschiedliches Maß an wirtschaftlicher Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben. Zweitens gerät ein Land, das sich immer weiter auf Landwirtschaft und Rohstoffabbau konzentriert – statt Industrie und Dienstleistungen auszubauen – ins Hintertreffen. Drittens sollte eine Handelsliberalisierung erst dann erfolgen, wenn die heimischen Branchen auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind. Und wenn schließlich ein Land eine nichtkonkurrenzfähige Industrie hat, muss es sie mittels zahlreicher politischer Industrialisierungsmaßnahmen nach und nach wettbewerbsfähiger machen, statt sie durch eine verfrühte Handelsliberalisierung zu zerstören. Leider widersprechen diese Grundvoraussetzungen für Entwicklung den Freihandelsprinzipien und wurden daher in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Curriculum der meisten Universitätsfakultäten gestrichen.
Ungeachtet einer Vielzahl anderer Faktoren hat sich Afrika in den letzten Jahrzehnten vor allem deshalb nicht industrialisiert, weil afrikanische Staatschefs diese grundlegenden Lehren nicht befolgten.
Damit eine Industrialisierung in Gang kommt, muss man sich in den afrikanischen Volkswirtschaften daher bewusst sein, dass niemand von ihnen erwarten kann oder darf, unter „gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen“ mit Industrien deutlich wettbewerbsfähigerer Volkswirtschaften zu konkurrieren. Sie dürfen sich nicht auf Landwirtschaft und Rohstoffabbau konzentrieren, wie es die Theorie des Freihandels und die Theorie des Komparativen Kostenvorteils empfehlen; sie müssen vorübergehend Handelsprotektion betreiben – wenn nötig, jahrzehntelang –, um vor einer Liberalisierung zunächst die Konkurrenzfähigkeit ihrer Industrien zu stärken; und sie müssen eine Vielzahl „industriepolitischer Maßnahmen“ ergreifen (langfristige zinsvergünstigte Handelskredite, Steuervergünstigungen und finanzpolitische Maßnahmen, Produktions- und Exportsubventionen, die Förderung von nachhaltiger Forschung und Entwicklung und von Technologieunternehmen, Technologietransfer als Voraussetzung für ausländische Direktinvestitionen und so weiter), um die Modernisierung der inländischen Industrie zu unterstützen.
Das Problem ist, dass viele afrikanische Länder das Recht auf die Einführung solcher grundlegender industriepolitischer Maßnahmen aufgegeben haben, als sie sich Mitte der 1990er Jahre den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) unterwarfen. Viele wurden von Vertretern der reichen Länder dazu gedrängt, noch weitreichendere regionale Handelsvereinbarungen zu unterzeichnen, etwa die von der EU initiierten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPS) sowie bilaterale Investitionsschutzabkommen (BIT), die den Handlungsspielraum für industriepolitische Maßnahmen zusätzlich einschränken. Weitere große Freihandelsabkommen, die bald anstehen, sind das zwischen der EU und den USA (TTIP), zwischen der EU und Kanada (CETA), zwischen der USA und Asien (TPP) sowie TiSA, von dem Unterhändler behaupten, es werde als „Goldstandard“ für künftige Freihandelsabkommen mit anderen Ländern dienen.
Um ihre Industrialisierung voranzutreiben, müssen afrikanische Volkswirtschaften somit nicht nur ihre derzeitigen Verpflichtungen gegenüber der WTO verletzen, widerrufen und neu verhandeln, sondern sie dürfen auch keines der anstehenden Freihandels- und Investitionsschutzabkommen unterzeichnen.
Um ihre Industrialisierung voranzutreiben, müssen afrikanische Volkswirtschaften somit nicht nur ihre derzeitigen Verpflichtungen gegenüber der WTO verletzen, widerrufen und neu verhandeln, sondern sie dürfen auch keines der anstehenden Freihandels- und Investitionsschutzabkommen unterzeichnen. Ein Beispiel für solchen Widerstand bieten der nigerianische Industrieverband Manufacturers Association of Nigeria (MAN) und insbesondere seine Autohersteller, die sich dagegen wehren, dass Nigeria das WPS der EU mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft unterzeichnet. Die nigerianischen Hersteller lehnen völlig zu Recht die Vertragsklauseln zu einer verfrühten Handelsliberalisierung ab, und zwar aus denselben Gründen, aus denen die reichen Länder in ihrer jeweiligen Industrialisierungsphase eine verfrühte Liberalisierung für sich selbst auch ablehnten. Die MAN, die alle falschen Prämissen der Freihandelsverfechter und der Befürworter des freien Marktes verwirft und stattdessen empfiehlt, den wichtigsten historischen Vorbildern für eine nationale Entwicklungsstrategie zu folgen, verdient breite Unterstützung.
Es steht zu hoffen, dass andere Industrieverbände nachziehen, die Solidarität wächst und sich in allen Wirtschaftsregionen Afrikas, ja auf kontinentaler Ebene ein breiter und gut koordinierter Widerstand gegen die Freihandels- und Investitionsschutzabkommen formiert. Nun, da sich die Parole vom „Aufstieg Afrikas“ als Märchen erwiesen hat, ist es an der Zeit, dass die afrikanischen Länder ihre Industrialisierung und damit ihre Entwicklung ernsthaft vorantreiben.
28 Leserbriefe
Anzahl der Milliardaere und die Anzahl der Handys als eine Indikationsgroesse zu waehlen - sowas von Schwachsinn aber auch! Afrika braucht man als Rogstoffmarkt und Absatzmarkt, zB auch fuer tiefgefrorenes "Huehnerfleisch" aus der EU und unseren Abfallschrott! ENTSORGEN und so den armen auch noch Krankheiten bringen, damit man danach Medikamente testen kann?
Alle Internationalen organisationen haben versagt, da nicht politisch gewollt! Diktatoren braucht(e) man, damit sie nicht demonstrieren und auswandern! Die wurden dann auch fleissigst mit Waffen, Beratern und viel Geld unterstuetzt! Bereits mit der Grenzziehung am Ende der Kolonialzeit war abzusehen, Probleme werden und muessen kommen
Wäre schön wenn der Kurier mehr von dieser ungefärbten Schreibweise anbietet.
Damit trägt eine Zeitung zur Volksbildung und Demokratie bei. Etwas das in Zeiten der Populisten und ihren demokratiefeindlichem Einfluss, gegenhält.
Aber, der Priester hat nicht geholfen, der Tempeldiener auch nicht. (So die Erzählung).
Der Samariter hat sich die Hände "schmutzig" gemacht, ihn auf den eigenen Esel geladen und versorgt.
Bevor er auch noch das eigene Geld einsetzte....
Wenn wir es nicht lernen einander wie Geschwister mit Herz zu behandeln, wie kann da diese Welt gesund werden?
Leider finde ich im Artikel auch keinen wirklichen "Beweis", dass das die Lösung wäre.
Ich war zweimal in Afrika, in verschiedenen Regionen und mit 25 Jahren Abstand. So verschieden es beide Male war, ich war jedes Mal ratlos, wie die Zukunft aussehen könnte. Gut gedachte Projekte gehen den Bach runter, sobald sie auf eigenen Beinen stehen sollen. Der Handel liegt in den Händen von Asiaten. Die Afrikaner sammeln und verkaufen Steine und Brennholz.
Ich hoffe sehr, dass man es schafft, die Natur zu erhalten - wahrscheinlich der größte Schatz.
Leider bleibt die Frage: wie soll sich dieser 'arme' (in jeder Beziehung, außer vielleicht beim Bevölkerungswachstum!) Kontinent aus den Klauen der herrschenden Lehre lösen? Insgesamt aus der WTO austreten - geht das? Und die Diktate der EU (Wirtschaftsgemein(!)schaften, Partner(!)schafts-abkommen), des IWF und der Weltbank . wie kann sich Afrika befreien?? Das ist schwer vorstellbar, oder? Und China ist, wie gezeigt, auch keine große Hilfe...
Hinzu kommt die religiös motivierte Blockade zukunftsgerichteter Tätigkeiten.
Da aber die Ausbildung und die praktische Erfahrung auf breiter Basis Jahrzehnte dauert, ist Besserung in naher Zukunft nicht zu erwarten. Das gilt übrigens nicht nur für Afrika.
- Weil „wir“ sie seit Jh. und bis heute (EPAs etc.) massiv daran hindern, sich nach ihren eigenen Vorstellungen und Bedingungen zu entwickeln; mehr noch: „wir“ haben mittels Kolonialismus und Weltmarkt insbesondere Produktion, Handel und selbst Konsum und Teile der Kultur (nicht nur Bildung) so umstrukturiert, dass sie faktisch nur „unseren“ Interessen dienen (massive Zerstörungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur durch die Sklaverei, sind da eingeschlossen)
- Fortsetzung folgt
(2) Ob Entwicklung heute vor allem Industrialisierung bedeutet, darüber kann man streiten (wobei ich mich nicht wirklich an Industrialisierung störe, sondern daran, dass ein so verstandener Entwicklungsbegriff viel zu eng ist). Was aber Meenhard (erster Kommentar) schreibt, erfordert dringenden und lauten Widerspruch:
- dass „die Afrikaner“ doch so schön romantisch „naturnah und in Selbstversorgung leben“, zeichnet ein extrem falsche Zerrbild von der Realität
- Fortsetzung folgt
- dass deshalb „diese Art der ‘Entwicklung‘ … unbedingt verhindert werden (muss)“, ist genau die Art von schädlicher (oder vielleicht sogar noch schädlicherer) Einmischung von außen, die ich bereits kritisiert habe
- und die folkloristische oder zoologische oder touristische Begründung, dass es doch „schade um die noch überlebenden Naturvölker (wäre)“, ist m.E. schlicht rassistisch (wenn auch nicht unbedingt rechtsextrem).
Die generelle Einschätzung von R. Rowden überraschte mich und sollte Anlaß geben für eine
Forum-Veranstaltung im Rahmen von FES damit diese Probleme vertieft werden können .
vielleicht war mein Begriff "Völker" übertrieben, doch zweifellos gibt es noch Stämme in Afrika die naturnah leben und zumindest in weitgehender Selbstversorgung. Und ich bin dagegen dass die Wälder abgeholzt werden in denen sie leben, und dass sie in städtischen Slums landen. Aber auch so manche Zivilisationseinflüsse auf diese Stämme lehne ich ab, weil sie schaden, man denke nur an den Alkohol. Bei anderen Einflüssen ist sicherlich abzuwägen, und vieles lässt sich wohl auch nicht verhindern. Dieses Anliegen ist sicherlich nicht rassistisch! Ich vermute mal kaum ein anderer als du hat meinen Kommentar in dieser Richtung missverstanden.
Es kommt langsam in der nächste Stufe auch auf uns zu weil der USA - und deren Rüstungsindustrie was der USA steuert - eine riesen Hunger hat auf weitere Macht und Geld!
Weitere große Freihandelsabkommen, die bald anstehen, sind das zwischen der EU und den USA (TTIP), zwischen der EU und Kanada (CETA), zwischen der USA und Asien (TPP) sowie TiSA, von dem Unterhändler behaupten, es werde als „Goldstandard“ für künftige Freihandelsabkommen mit anderen Ländern dienen.
Das erscheint mir plausibel und realistisch, da hier allgemeine Erkenntnisse und handfeste Eigeninteressen zusammenkommen.
Um derartige Ansätze unterstützen zu können, wären entsprechende Informationen hilfreich. Kann hier im Rahmen der IPG noch etwas "nachgelegt" werden?
In 1981/82 lehrte ich an einer paedagogischenHochschule in Minna, Niger State, und fand die Studenten hochmotiviert und intelligent. Aber die klimatischen Bedingungen und die alten kolonialischen Ausbeutungstrauma machten es schwierig gesellschaftliche Strukturen als organische Bestaende aufzubauen, wie es die Biafran in 1967-70 versuchten. Nun ist der Konsum so eine grosse Anziehungskraft, dass nationale, bestaendige, traditionaelle Werte keine Bindungskraft haben.
Das Ziel der globalen Finanzpolitik ist ja dass man hierdurch den Coudenhove-Kalergi Plan fuer Europa schmiedet wonach die Welt neu verteilt wird in einer New World Order - der Rest ist eine geschichtliche Wiederholung!
Es ist ja jetzt schon bekannt, wieviele Menschen aus Afrika flüchten werden. Es ist auch schon bekannt das zahlreiche Menschen diese Fluchtversuche mit dem Leben bezahlt haben.
Aber letztendlich wird es dann schnell mit den bösen Diktatoren vor Ort erklärt...und unsere Presse spielt mit und die Bevölkerung glaubt und schluckt es!
Wo ist unsere Presse/Funk und Fernsehen bei diesem Thema? Wo sind Spiegel/Stern/Bild und Co?!?!
Unser Lobbyismus ist halt schon bis zur Perfektion in die tiefen der Politik vorgedrungen. Hatten ja lange genug Zeit...sozusagen von Generation zu Generation...!
Also, die Begriffe "Diktatoren" and "Korruption" erklaeren vielleicht emotional einen Tatbestand der aber viel komplexer ist, weil die Vielfaeltigkeit des menschlichen Handel nicht durch nur ein oder zwei Begriffe erklaert werden kann.
Nun könnte man - einfacher Wirtschaftstheorie folgend - annehmen, dass daraufhin die Exporte anderer Waren begünstigt werden. Würde auch klappen, aber es gibt praktisch nichts anderes außer Kupfer. Dabei ist Sambia das mit Abstand wasserreichste Land dort unten. (tragischerweise herrscht momentan eine Dürre). An einige andere Kommentatoren gerichtet: dieses "Die 1. Welt ist schuld"- Motto greift meiner Ansicht nach zu kurz - und ist letztlich auch wieder ein (gnädiger) Akt von oben herab: "Die armen Afrikaner können nichts dafür..." spricht ihnen jegliche eigenverantwortliche Handlungsoption ab.