Es schien eine gewöhnliche Meldung zu sein, die da Ende März 2016 verbreitet wurde: Die USA richten in Südostasien ein neues Armeelager ein. Es wird kein richtiger Stützpunkt, sondern eher ein Materiallager für Rettungs- und Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen sein. Aber der Ort war alles andere als gewöhnlich, denn dass hier US-Marines jemals wieder auf Einladung der Regierung an Land gehen, war noch vor kurzem unvorstellbar: Das neue Lager wird in Vietnam gebaut.

 

Neue Waffenbrüderschaft

Mehr als 40 Jahre ist es her, dass die US-Soldaten das Land verließen – nach einem brutalen Krieg, bei dem auf vietnamesischer Seite bis zu fünf Millionen Menschen ums Leben kamen; die genauen Zahlen sind nicht zu ermitteln. Mit ihren Luftangriffen und dem Einsatz des Pflanzengifts Agent Orange zerstörten die USA das Land. Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten wie in My Lai rüttelten die Öffentlichkeit auf und führten weltweit zu Protesten gegen den Vietnam-Krieg. Für eine ganze Studentengeneration wurden Demonstrationen gegen den Krieg zur identitätsstiftenden Generationserfahrung.

Doch das ist lange her: Heute lassen Vietnam und die USA die schreckliche Vergangenheit hinter sich und arbeiten wieder zusammen. Das ist eigentlich eine erfreuliche Nachricht. Schließlich ist der Krieg lange vorbei, außerdem sind zwei Drittel der heute lebenden Vietnamesinnen und Vietnamesen nach 1975 geboren, ein Drittel ist zwischen zehn und 24 Jahre alt. Was liegt da näher, als die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich der Zukunft zuzuwenden? Doch leider hat die Annäherung der einstigen Kriegsgegner einen ernsten Hintergrund: Es ist eine Allianzbildung; beide Staaten wollen das chinesische Vorrücken im Südchinesischen Meer verhindern. China schafft dort Fakten und baut Inseln aus, die andere Anrainer, darunter Vietnam, ebenfalls beanspruchen.

Vietnam steht mit seinem US-freundlichen Kurs keineswegs alleine da. Auch die anderen Anrainer des Südchinesischen Meeres suchen das Bündnis mit den USA gegen China.

 

John McCain zurück in Vietnam

Wegen eines Grenzstreits haben Vietnam und China 1979 sogar einen Landkrieg geführt. Diese Streitigkeiten sind zwar beigelegt, aber keineswegs die auf See. Und so sucht Vietnam die Nähe zu den USA. Gegenseitige Besuche und Treffen hochrangiger Politiker werden immer häufiger. Zuletzt war Mitte März der Kommandeur der US-Pazifik-Flotte, Admiral Scott H. Swift, in Vietnam zu Besuch. Man suche nach Wegen, sich noch öfters zu treffen und auszutauschen, teilte er nachher mit und verwies auf das Interesse beider Länder an einer internationalen Ordnung mit festen Regeln – ein deutlicher Fingerzeig auf Chinas Politik im Südchinesischen Meer.

<link kommentar artikel wenn-sich-zwei-streiten-1154>Seit 1995 haben die USA und Vietnam wieder normale diplomatische Beziehungen. Und seither werden die Kontakte immer intensiver. Eine der denkwürdigsten Begegnungen fand im Januar 2012 statt. Da besuchte der republikanische Senator John McCain Hanoi. Der ehemalige Kampfpilot hatte mehrere Jahre in vietnamesischer Gefangenschaft gesessen, wo er gefoltert worden war. Nun war er wieder da – und Ministerpräsident Nguyen Tan Dug bat ihn, sich dafür einzusetzen, dass die USA Vietnam als Marktwirtschaft anerkennen, damit die Sozialistische Republik Vietnam US-Handelsvergünstigungen bekommt.

 

Gemeinsam für TPP

Gestärkt werden soll die amerikanisch-vietnamesische Bindung nun durch die Trans-Pacific Partnership (TPP). Kritik wie gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP in Europa gibt es kaum, die große Mehrheit der vietnamesischen Bevölkerung unterstützt in Umfragen den Kurs ihrer Regierung. Vietnam erhofft sich davon ausländische Direktinvestitionen und freien Zugang zum amerikanischen Markt für vietnamesische Produkte. Dafür akzeptiert das Land den Patentschutz für amerikanische Medikamente, was die Produktion billigerer Generika verhindert.

Vietnam steht mit seinem US-freundlichen Kurs keineswegs alleine da. Auch die anderen Anrainer des Südchinesischen Meeres suchen das Bündnis mit den USA gegen China. Kambodscha erlaubt dem amerikanischen Militär ebenfalls, dort ein Materiallager einzurichten. Und die Philippinen schlossen kürzlich mit den Vereinigten Staaten ein Abkommen, das es der ehemaligen Kolonialmacht ermöglicht, an fünf philippinischen Militärstandorten eigene Soldaten zu stationieren. Bei ihrem Außenministertreffen im japanischen Hiroshima Anfang April schlugen sich auch die G7-Staaten auf die Seite der China-Gegner. Ohne das Land namentlich zu erwähnen, kritisierten sie den „Bau von Außenposten“ zu „militärischen Zwecken“. Peking reagierte wütend und kritisierte, die G7 sollten sich an ihr Versprechen halten, sich nicht in territoriale Konflikte einzumischen.

 

Drohende Eskalation

Militärische Zwischenfälle im Südchinesischen Meer sind damit leider alles andere als unwahrscheinlich, zumal beide Seiten längst militärisch aufgerüstet haben. Im Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sind China, Australien, Südkorea und Singapur auf den Plätzen drei, sechs, neun und zehn der zehn größten Rüstungsimporteure des Jahres 2014. Ebenso interessant ist, dass Vietnam in den letzten fünf Jahren von Platz 43 auf Platz 8 rutschte; zudem fließen drei Prozent der weltweiten Rüstungsexporte nach Vietnam. Im Rüstungsexportbericht 2015 der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland heißt es: „Die Staaten Asiens haben ihre Position als größte Rüstungsimporteure auf dem Weltmarkt gefestigt und ihren Anteil an Waffenimporten zwischen 2010 und 2014 gegenüber dem Zeitraum 2005 bis 2009 um 37 Prozent gesteigert“.

Weiter heißt es dort, dass nach Jahren der Aufrüstung der Seestreitkräfte nun die meisten Länder der Region ihre Luftwaffe ausbauten. Dabei setzten einige Länder auch auf moderne Tankflugzeuge, „um den Operationsradius ihrer Streitkräfte deutlich zu erweitern“. Geliefert werde aus Ländern wie den USA, Russland, Schweden und Südkorea.

Im Südchinesischen Meer droht eine klassische imperialistische Konfrontation.

Damit droht im Südchinesischen Meer eine klassische imperialistische Konfrontation: Auf regionaler Ebene zwischen China und seinen kleineren Nachbarn, die lieber das Bündnis mit den USA suchen, als sich Peking unterzuordnen. Und auf weltpolitischer Ebene zwischen zwei Großmächten: der erstarkenden Regionalmacht China mit Interessen bis in den Nahen Osten und nach Afrika und der Weltmacht USA, die unter Präsident Barack Obama 2011 einen historischen „Schwenk“ nach Asien angekündigt haben. Obama führt dieser Schwenk nun selbst nach Vietnam: Bei seiner historischen Reise besucht er diesen Mai Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, das frühere Saigon. Es geht dabei weniger um Vergangenheitsbewältigung, als vielmehr, wie das Weiße Haus ankündigte, um die TPP.