Von Ministerpräsident Aleksandar Vučić gewollt finden am 24. April 2016 in Serbien, zeitgleich mit turnusgemäßen Kommunalwahlen, vorgezogene Parlamentswahlen statt. Regulär hätten sie erst 2018 erfolgen müssen. Die beiden Regierungsparteien, Vučićs Serbische Fortschrittspartei (SNS) und die Sozialistische Partei Serbiens (SPS), verfügen über eine satte Mehrheit der Parlamentssitze. Es stellt sich also die Frage: Warum jetzt Neuwahlen?
Über Vučićs Motive gibt es unterschiedliche Auffassungen. Er selbst will ein Mandat, das seine „Reformpolitik“ – Mitgliedschaft in der EU und Zusammenarbeit mit dem Kosovo als Voraussetzung dafür, sowie fiskalische Stabilisierung – bestätigen soll. Gegner unterstellen anderes, sei es die Verhinderung wirklicher demokratischer Reformen, sei es der Weg zur Verlängerung der Macht, was zwei Jahre später schwieriger sein würde. Zurzeit werden der SNS über 50 Prozent der Stimmen vorausgesagt und der SPS zehn Prozent. Zersplitterte (links-)demokratische Oppositionsparteien kämpfen um die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde. Sie beklagen unfaire Wahlen, vor allem durch Behinderungen öffentlicher Diskussionen in den Medien. In einem Brief an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, schreibt Bojan Pajtić, Vorsitzender der Demokratischen Partei (DS), der Partei des 2003 ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Đinđić, die Wahlen fänden in einem Klima statt, das den dunklen Seiten der serbischen Geschichte der 1990er Jahre entspräche. Die Regierungsautoritäten hätten alle Ebenen von Kritik und öffentlicher Kontrolle unterdrückt bis hin zur Zensur. Oppositionsparteien würden massiv eingeschüchtert und von der öffentlichen Debatte ausgeschlossen.
Zersplitterte (links-)demokratische Oppositionsparteien beklagen unfaire Wahlen, vor allem durch Behinderungen öffentlicher Diskussionen in den Medien.
Ein solcher Brief einer inzwischen kleinen Oppositionspartei, die ihre dominante Stellung im poltischen System Serbiens 2014 verloren hat und danach selbstzerstörerisch auftrat, lässt sich als Wahlkampfagitation beiseite schieben. Sie findet allerdings ihre Bestätigung in Erklärungen von Journalistenvereinigungen, in Presseberichten auch deutscher Zeitungen, in Stellungnahmen von Human Rights Watch, der OSZE und der EU. Und ein Zusammenhang mit der dunklen Geschichte Serbiens besteht offenkundig: Ministerpräsident Vučić und sein Stellvertreter Ivica Dačić, Vorsitzender der SPS, waren vor 2000 Informationsminister beziehungsweise Pressesprecher von Slobodan Milošević. Einschränkungen der Meinungsfreiheit gehörten zur repressiven Praxis dieses Regimes, über die Beteiligung Vučićs und Dačićs daran ist allfällig zu lesen.
Reaktionen europäischer Institutionen sind also angebracht, wenn nicht sogar der europäischen Demokratie wegen erforderlich. Dabei stehen die Einschränkungen der Pressefreiheit in einem Zusammenhang mit den Beitrittsbedingungen der EU, nämlich der Privatisierung von Medien. Dieser Forderung kommt die serbische Regierung nur teilweise nach. Problematisch ist dabei weniger, dass der Rundfunksender RTS staatlich bleibt, er ließe sich bei einer funktionierenden Demokratie kontrollieren. Problematisch ist, dass Einfluss und Zensur über Zuschüsse und Werbegeld ausgeübt werden. Denn einerseits ist die Finanzkraft vieler Unternehmen für Werbung schwach, andererseits sind zahlende Fernsehkunden selten. Und so befürchtet Serbiens Journalistenvereinigung, dass auch nach einem Verkauf von staatlichen Medien alles unter Regierungskontrolle bleiben würde. Die Privatisierungen beziehen sich auch auf lokale Medien. Deren Verkauf scheitert vielfach mangels zahlungsfähiger Nachfrage, was zu ihrer Einstellung führt und damit die Meinungsvielfalt verringert.
Aus dem nichtstaatlichen Bereich kommen Stellungnahmen von Human Rights Watch. In ihrem Weltbericht 2016 stellt HRW zur Medienfreiheit in Serbien fest: Journalisten sind Anschlägen, Bedrohungen, Schikanen, Einschüchterungen, Gerichtsverfahren, politischer und anderer Einflussnahme ausgesetzt. Die unabhängige Online-Webseite „Balkan Investigative Reporting Network“ (BIRN) wurde von der serbischen Regierung, Ministerpräsident Aleksandar Vučić eingeschlossen, beschuldigt, sie habe von der EU Geld bekommen, um die serbische Regierung zu diskreditieren – ein fragwürdiges Verhalten einer Regierung, die Serbiens EU-Mitgliedschaft anstrebt.
Reaktionen von europäischen Organisationen kamen von der OSZE und EU. So äußerte die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Dunja Mijatović, im Mai 2014 ihre Besorgnis über Trends der Online-Zensur in Serbien.
Von ausschlaggebender Bedeutung für mögliche Reaktionen sind die Stellungnahmen der EU. Der Serbien-Bericht der Europäischen Kommission vom 10. November 2015, also fünf Monate vor den bevorstehenden Wahlen, schließt seine Bewertung der Meinungsfreiheit mit folgender Feststellung ab: Das Programm des öffentlichen Rundfunks stelle Vertreter der regierenden Parteien sowie gleichorientierte Analysten heraus, Auftritte der Opposition sowie kritischer und unabhängiger Kommentatoren seien hingegen selten. Allein diese Feststellung untermauert mit Blick auf faire Wahlen die Klagen der Oppositionsparteien. Sie steht allerdings im Zusammenhang mit weiteren kritischen Ausführungen, etwa zur Streichung kritischer Diskussionen im öffentlichen Rundfunk. Wie bei Human Rights Watch werden verschiedene Fälle von Drohungen und Gewalt gegen Journalisten genannt, die kaum untersucht oder geahndet werden. In die Vergangenheit von Vučić und Dačić zurück führt der Hinweis auf nicht aufgeklärte Morde an Journalisten zwischen 1999 und 2001.
EU, Europarat und OSZE sollten gemeinsam vor den Wahlen auf ein offenes Diskussionsklima drängen.
Zu diesem Bericht der Kommission hat das Europäische Parlament im Februar 2016 eine Entschließung angenommen. Darin bringt das Parlament seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass sich „die Situation in Bezug auf die Freiheit der Meinungsäußerung und die Medienfreiheit nicht verbessert hat; nimmt mit Sorge den anhaltenden politischen Druck zur Kenntnis, der die Unabhängigkeit der Medien untergräbt, was dazu führt, dass sich die Medienorgane zunehmend selbst zensieren; ist beunruhigt darüber, dass Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs politischem Druck, Einschüchterungen, Gewalt und Bedrohungen ausgesetzt sind; es fordert die staatlichen Stellen auf, alle Angriffe auf Journalisten und Medienorgane zu prüfen […]; bekräftigt, dass die neuen Mediengesetze vollständig umgesetzt werden müssen und betont, dass absolute Transparenz herrschen muss, was die Eigentumsverhältnisse bei Medienorganen und deren Finanzierung angeht, und dass in Bezug auf staatliche Werbung Diskriminierungsfreiheit herrschen muss“.
Mit dem Ruf nach der Unterstützung fairer Wahlen hat sich die DS zunächst an den derzeitigen OSZE-Vorsitzenden, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, gewandt. Die bisher bekannte Reaktion ist die Einsetzung einer beschränkten Wahlbeobachtungsmission des OSZE-Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) am 18. März 2016. Die aus 22 Mitgliedern bestehende Mission hat eine umfassende Beobachtung der Medien angekündigt. Die DS hält die Beschränkung der Mission für unbefriedigend, daher ihr Brief an den Präsidenten des Europäischen Parlaments. Die Entschließung des Parlaments sollte Schulz zu einer Reaktion veranlassen. Erforderlich sind konkrete Beobachtungsmaßnahmen der EU, die die Mission des OSZE-Büros flankieren. Auch eine Unterstützung des Europarats könnte hilfreich sein. EU, Europarat und OSZE sollten gemeinsam vor den Wahlen auf ein offenes Diskussionsklima drängen, im staatlichen Rundfunk und gegebenenfalls auch mittels finanzieller Anreize im privaten Rundfunk. Für die EU stellt sich die notwendige Frage, bei den Anfang 2014 aufgenommenen Beitrittsverhandlungen mit Serbien noch vor den Wahlen über die Kapitel 10 „Informationsgesellschaft und Medien“ sowie Kapitel 23 „Justiz und Grundrechte“ zu sprechen, um konkretes Handeln für einen fairen Wahlkampf zu erreichen.
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