Die deutsch-französische Zusammenarbeit basierte von Anfang an auf drei Säulen: auf dem gemeinsamen grundlegenden Interesse an der europäischen Integration, auf der Unterschiedlichkeit der Situationen und deren Einschätzung und auf einer bestimmten Rollenverteilung. Sie war niemals ein Spaßvergnügen, bei dem man sich diesseits und jenseits des Rheins in gleicher Weise amüsierte. In den Beziehungen zwischen den deutsch-französischen Partnern – De Gaulle-Adenauer, Giscard-Schmidt, Mitterrand-Kohl – ging es niemals so heiter und spontan zu, wie uns nachträgliche Geschichtsbetrachtungen glauben lassen. Am Ende fand man im Allgemeinen jedoch zueinander, da die drei Säulen, die dieses sowohl asymmetrische als auch ausgewogene Verhältnis trugen, standhielten.

 

Gestörtes Gleichgewicht

Zu Zeiten von Merkozy verlor diese Dreierkombination aus gemeinsamem Interesse, unterschiedlichen Situationen und Rollenverteilung ihre Wirkung. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens wurde das Gleichgewicht zwischen einem wirtschaftlich starken Deutschland und einem politisch starken Frankreich gestört, da Deutschland seine politische Stellung ausbaute, ohne dass Frankreich wirtschaftlich entsprechend aufholte. Zweitens rückte Nicolas Sarkozy, um in der Spitzengruppe der europäischen Länder zu bleiben, so nah an Angela Merkels Positionen heran, dass er schließlich nicht mehr in der Lage war, eine Verteilung der Rollen durchzusetzen. Übrig blieb lediglich das von Frankreich und Deutschland geteilte grundlegende Interesse an einer Rettung der Eurozone. Durch dieses gemeinsame Interesse konnte der Schein gewahrt werden.

Mit dem Amtsantritt von François Hollande bekam auch dieser Lack einige Kratzer. Von den drei tragenden Säulen der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist nicht viel übriggeblieben. Die Unterschiede zwischen den beiden Ländern treten nun offen zutage. Das französische Haushaltsdefizit liegt weit über der 3-Prozent-Grenze, die im Maastricht-Vertrag vereinbart und durch den Stabilitätspakt bekräftigt wurde. In Frankreich steigt die Arbeitslosigkeit, während sie in Deutschland tendenziell rückläufig ist. Die französische Handelsbilanz weist ein Defizit aus, Deutschland dagegen verzeichnet einen Exportüberschuss. Diese Art Aufzählung ließe sich noch weiter fortsetzen.

Angesichts dieses wirtschaftlichen Ungleichgewichts driften auch die in Berlin und Paris vertretenen politischen Positionen auseinander.

Angesichts dieses wirtschaftlichen Ungleichgewichts driften auch die in Berlin und Paris vertretenen politischen Positionen auseinander. Der offizielle politische Diskurs Frankreichs hat sich zwar verändert und verwendet nun wieder solche im Nachbarland hoch im Kurs stehenden Begrifflichkeiten wie Reduzierung der Defizite, Konkurrenzfähigkeit und sogar Flexibilität. Die französischen Politiker scheinen ihren deutschen Kollegen sogar abzunehmen, dass diese ihnen in ihren Thesen vom wirtschaftlichen Aufschwung beipflichten, wo doch mittlerweile auch Deutschland die Vorteile eines Mindestlohns entdeckt zu haben scheint. Die Lösungsvorschläge haben jedoch eigentlich nichts mit der in Deutschland vertretenen Doktrin zu tun. Worin dieser Unterschied besteht, zeigte sich, als der französische Finanzminister Michel Sapin seinen Vorschlag unterbreitete, 50 Milliarden Euro Einsparungen in den öffentlichen Ausgaben in Frankreich mit 50 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen in Deutschland gegenzurechnen.

Verheerend wirkt sich auch die fehlende Rollenverteilung zwischen dem französischen Staatspräsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin in den europäischen Institutionen aus. Natürlich funktioniert die Europäische Union mit achtundzwanzig Mitgliedern nicht so wie früher mit fünfzehn oder zehn und erst recht nicht wie zuvor mit lediglich sechs Mitgliedern. Einer der Gründe ist, dass seit zehn Jahren neue Akteure die Arena betreten haben, die die Entscheidungsfindung erschweren. Hinzu kommt, dass einerseits Deutschland in einer bisher nicht gekannten Weise erstarkt und im Kreis der neuen Mitglieder Partner findet, die sich deutschen Positionen anschließen, ohne sich zwangsläufig mit Paris abstimmen zu müssen. Andererseits hat Frankreich rein rechnerisch durch die gestiegene Zahl von EU-Mitgliedern und politisch durch seine wirtschaftlichen Probleme an Einfluss verloren. Auch der Versuch, sich als Sprecher der schwachen oder defizitären Länder – der Süden gegen den Norden – zu präsentieren, konnte Frankreichs Ansehen nicht verbessern.

 

Kein gemeinsames Interesse mehr?

Gleichwohl besteht das Haupthindernis für eine Aufteilung der Rollen zwischen Deutschland und Frankreich darin, dass eine gemeinsame Partitur völlig fehlt. Teilen beide Länder überhaupt noch ein gemeinsames grundlegende Interesse und wenn ja, worin besteht es? In der Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses jedenfalls nicht – für keines der beiden Länder. Die öffentliche Meinung drängt weder in Frankreich noch in Deutschland ihre eher reservierten Politiker zu neuen Initiativen. Angela Merkel ist Eurorealistin und keinesfalls Euroenthusiastin. Ihren überzeugten Europabefürwortern kann sie immer antworten, dass es ihr für weitere Fortschritte an Partnern mangele. Das ist zwar ein Vorwand, doch steckt in ihm ein Körnchen Wahrheit.

Die extrem rechten Kräfte mit dem Front National an der Spitze profitieren vom allgemein vorherrschenden Euroskeptizismus.

Einst, unmittelbar nach der Ära Jacques Delors, mag François Hollande Euroenthusiast gewesen sein, doch das 2005 verlorene Referendum, bei dem die Franzosen den Verfassungsvertrag ablehnten, war für ihn eine herbe Enttäuschung. Seither ist Frankreich wie auch seine Sozialistische Partei gespalten. Die extrem rechten Kräfte mit dem Front National an der Spitze profitieren vom allgemein vorherrschenden Euroskeptizismus. Die Mehrheit der öffentlichen Meinung hat nichts gegen den Euro, lehnt allerdings die Übertragung weiterer Kompetenzen an die Europäische Union ab, selbst wenn sie demokratischer organisiert und legitimiert wäre als heute.

Die deutsch-französische Zusammenarbeit gehört zu den Pflichtübungen jeder Regierung in Berlin und Paris. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann es jedoch nur um die Erhaltung des Status quo gehen. Begeisterung erzeugt man damit nicht.