Der aktuelle Ebola-Ausbruch in Westafrika hat eine bisher nicht gekannte Dimension erreicht und die betroffenen Länder in eine tiefe Krise gestürzt. Schon zeigen apokalyptische Hochrechnungen, dass sich die dramatische Situation noch um ein Vielfaches verschlimmern könnte. Europa und die USA befürchten mittlerweile eine globale Ausbreitung. Nun werden US-Militärkräfte und auch Freiwillige der Bundeswehr mit Hilfe einer neu eingerichteten Luftbrücke zwischen Dakar und Monrovia, der Hauptstadt Liberias, den Transport von Hilfsgütern sowie Material zum Aufbau von Kranken- und Quarantänestationen koordinieren.

Auch afrikanische Staaten haben reagiert. Nachdem die betroffenen Länder und die internationale Gemeinschaft die Gefahr lange unterschätzt hatten, schließen afrikanische Staaten nun aus Angst ihre Grenzen. Auch in nicht betroffenen Ländern laufen Aufklärungskampagnen. Reise-, Wirtschafts- und Konferenzaktivitäten sind massiv zurückgefahren worden – mit erheblichen negativen Auswirkungen.

 

Mangelnde Staatlichkeit

Doch funktionierende Prävention und erfolgreiches Krisenmanagement benötigen ein Mindestmaß an funktionierender Staatlichkeit. So zeugen die vordergründig konsequenten Grenzschließungen eher von einer Hilf- und Ratlosigkeit als von einer überzeugenden Strategie. Schließlich sind die vermeintlich geschlossenen Landesgrenzen porös. Sie werden nicht ausreichend kontrolliert – die Absicht der Abschottung wird durch viele illegale Grenzübertritte konterkariert.

So zeigt die Ebola-Krise Westafrikas nicht zuletzt strukturelle Entwicklungsdefizite auf, die weit über eine Gesundheitskrise hinausgehen. Die Armut der betroffenen Länder hat eine schnelle, effektive und effiziente Eindämmung verhindert. Das zentrale Entwicklungsdefizit, das dabei wenig überraschend am deutlichsten zutage getreten ist, ist das marode und chronisch unterfinanzierte öffentliche Gesundheitswesen.

In Liberia wird diese Überforderung besonders deutlich. Vor dem Ausbruch kam auf 100 000 Einwohner ein einziger Arzt. Dieses Verhältnis hat sich durch Ansteckungen des medizinischen Personals nun noch weiter verschlechtert. Laut Weltbank lagen die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit 2012 in Guinea bei 32 US-Dollar. Zum Vergleich: Im selben Jahr lagen die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in Deutschland 146 Mal höher. Hinzu kommt, dass es zwar staatliche Sozialversicherungssysteme einschließlich Krankenversicherungen gibt. Doch meistens haben nur formell Beschäftigte Zugang zu diesen häufig bestenfalls rudimentär entwickelten Systemen. Der überwiegende Teil der Menschen bleibt somit auf sich selbst bzw. traditionelle Familiennetzwerke angewiesen. Selbst minderschwere Krankheiten können da ganze Familien bedrohen. Problematisch sind dabei aktuell auch die Sekundäreffekte des Ebola Ausbruchs: Menschen mit anderen Krankheiten können wegen Überlastung nun oft keine Behandlung mehr erhalten. Andere suchen aus Angst vor Ansteckung keine Krankenhäuser mehr auf. Somit können jetzt bereits einfache Erkrankungen lebensgefährlich werden.

Die Armut der betroffenen Länder hat eine schnelle, effektive und effiziente Eindämmung verhindert.

Die Ebola-Krise verschlechtert aktuell auch die allgemeine Versorgungslage. Auch hier ist Liberia besonders betroffen. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind deutlich gestiegen. Die Landwirtschaft in Liberia, Sierra Leone und Guinea leide enorm, warnt die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO). Felder können nicht bestellt werden, weil viele Menschen, darunter auch Bauern, unter Quarantäne gestellt und Straßensperren errichtet wurden. Händler verlassen die betroffenen Gebiete und der Warenhandel leidet. Dies trifft nicht zuletzt informell getätigte Geschäfte, die für hunderttausende von Menschen ökonomisch lebenswichtig sind. Langfristig dürften die Menschen in allen von Ebola betroffenen Ländern auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen sein.

So hat die Ebola-Ausbreitung auch negative Auswirkungen auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung. UN und IWF haben die Wachstumsprognosen für Liberia bereits von 5,9 auf 2,9 Prozent nach unten korrigiert. Dies mag noch immer nach einem guten Wirtschaftswachstum aussehen, doch der erste Blick täuscht. Denn vermeintlich hohe Wachstumsraten von oft fünf Prozent und mehr werden in Subsahara-Afrika meist vom Bevölkerungswachstum neutralisiert. Für eine wirkliche ökonomische Entwicklung wären höhere Raten erforderlich, die nicht auf dem Export von Rohstoffen basieren. In Guinea, Liberia und Sierra Leone droht die Epidemie Haushaltslöcher von jeweils bis zu 130 Millionen US-Dollar zu reißen. So wird aus einer Gesundheitskrise eine Nahrungsmittelkrise und aus einer ökonomischen eine soziale Krise.

All dies zeigt: Infektionskrankheiten sind unabdingbar mit grundsätzlichen Fragen von politischer, sozialer und ökonomischer Entwicklung und funktionierender Staatlichkeit verbunden. Ebola ist so gesehen weniger Problem als vielmehr Symptom grundsätzlicher Entwicklungsdefizite, die die Krankheit in aller Brutalität offenlegt und natürlich im Zirkelschluss wieder verstärkt. Benötigt wird – über die dringend erforderliche ad hoc Hilfe zur Bekämpfung von Ebola hinaus – eine langfristige und viel massivere Entwicklungskooperation.

 

Was tun?

Obwohl Guinea, Liberia und Sierra Leone zu den unterentwickeltsten Ländern weltweit zählen, stellten sie für die internationale Entwicklungszusammenarbeit lange Zeit keine Priorität dar. Im Zuge der Ebola-Krise erfahren sie nun eine große internationale Aufmerksamkeit, die doch (zu) spät kommt und womöglich (noch) nicht ausreicht. Zur Verhinderung der Wiederholung eines solchen Szenarios müssen Entwicklungsländer und die internationale Gemeinschaft nun neben ad-hoc-Maßnahmen entschlossen auch die zugrundeliegenden strukturellen Probleme bekämpfen.

Gesundheitlicher Versorgung ist als einem öffentlichen Gut eine Priorität einzuräumen – gepaart mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen.

Ein politischer Fokus der Entwicklungszusammenarbeit auf einige wenige (eher entwickelte) Länder Subsahara-Afrikas, wie von manchen Beobachtern oder politischen Akteuren vorgeschlagen, greift hier zu kurz. Denn ein solcher Ansatz verkennt die Notwendigkeit, dass Entwicklung auch in international weniger beachteten Ländern im unmittelbaren Interesse der Weltgemeinschaft liegt. Neben kurzfristigen Krisenmaßnahmen gilt es zudem, auch weiterhin Krankheiten wie AIDS, Malaria und Tuberkulose entschlossen zu bekämpfen bzw. in Prävention und Impfstoffe zu investieren. Gesundheitlicher Versorgung ist als einem öffentlichen Gut eine Priorität einzuräumen – gepaart mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen. Denn erst wenn es gelingt, nachhaltige, inklusive Gesundheitsversorgungssysteme zu etablieren, die zumindest eine Basisabsicherung für alle anbieten, können Schocks wie der durch das Auftreten von Ebola deutlich abgemildert werden. Um hier nationale Gesundheitswesen mit einer Grundsicherung für alle einzuführen, ist langfristiges und nachhaltiges Engagement sowohl der internationalen Gemeinschaft als auch der Regierungen der einzelnen Länder erforderlich. So forderte Jeffrey D. Sachs kürzlich zu Recht „eine gesundheitliche Grundversorgung in jedem Slum und in jeder ländlichen Gemeinde“.

Dabei muss es kurzfristig nun zunächst auch darum gehen, dem mangelhaften Bildungsstand in Teilen der Bevölkerungen mit einer sensiblen Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu begegnen. Die Menschen in Westafrika sind erstmalig mit dem Ebola-Virus konfrontiert und massiv verunsichert. Gleichzeitig befördern traditionelle Begräbnisrituale die Weiterverbreitung. Hier geht es darum, Überzeugungsarbeit zu leisten und die Grundlagen der Aufklärung zu Fragen von Gesundheit und Hygiene für die Zeit nach der Krise zu legen.

Die Ebola-Krise in Westafrika ist eine menschliche Katastrophe. Zugleich aber ist sie eine politische Herausforderung. Wir müssen diese Herausforderung annehmen und mit einer umfassenden und nachhaltigen Politik langfristig zu einer Stabilisierung der Region beitragen.