Philipp Jahn leitet das Landesbüro der FES in Khartum, Sudan. Zuvor arbeitete er für die GIZ in Afghanistan, Äthiopien, Aserbaidschan und Deutschland. Er war drei Jahre als Berater für Antikorruption und Integrität für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) tätig.

Nach Monaten regierungskritischer Massenproteste haben die Streitkräfte am Donnerstag den Präsidenten Omar Al-Baschir verhaftet. Wie ist die derzeitige Lage in Sudan?

Am Donnerstag Nachmittag verkündete der sudanesische Verteidigungsminister im Fernsehen die Verhaftung von Al-Baschir und die Übernahme der Regierungsgeschäfte für zwei Jahre durch das Militär. Am Morgen desselben Tages hatte das Militär den staatlichen Fernsehsender und andere strategische Orte in der Hauptstadt besetzt. Der sudanesische Luftraum wurde für 24 Stunden gesperrt und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. In den acht Stunden zwischen der Übernahme der Macht bis zur Fernsehansprache des Verteidigungsministers waren die Bewohner Khartums auf die Straßen geeilt um zu feiern. Autos mit sudanesischen Flaggen fuhren hupend durch die Straßen. Zentrum der Feierlichkeiten war das Camp der Demonstranten vor dem Hauptquartier des Militärs. Nach der Verkündung der zweijährigen Militärherrschaft änderte sich die Stimmung.

Oppositionsgruppen verurteilten den Putsch und protestieren trotz Ausgangssperre gegen die neue Militärregierung. Was fordern sie?

Alle Beobachter sind sich einig, dass die Entmachtung von Omar Al-Baschir nicht das Ende des Regimes bedeutet. Letzteres hat nur den Präsidenten geopfert, als es kein Mittel fand, um die Proteste abzuwürgen. Eine Rolle wird auch gespielt haben, dass immer mehr Mannschaftsränge des Militärs zu den Demonstranten übergelaufen sind. Schießereien zwischen Militär und Geheimdienst waren in den letzten vier Tagen verstärkt vorgekommen. Das Regime musste aus Selbsterhalt handeln, bevor es die Kontrolle verlor. Das Gesicht des Militärregimes, der Verteidigungsminister Ibn Ouf, wird von den Demonstranten allerdings als klassischer Regimevertreter wahrgenommen. Er ist ein Offizier und wurde im Februar von Al-Baschir noch zum Vizepräsidenten ernannt. Die Demonstranten fordern nun wirklich politische Veränderungen und die Bildung einer zivilen Übergangsregierung, besetzt mit Technokraten.

Wie verhält sich die Armee zu den Demonstranten?

Die Situation ist sehr unübersichtlich. Am Freitag gab es eine weitere Pressekonferenz des Militärs. Mein Eindruck war, dass das Militär bei den Demonstranten für Verständnis wirbt. Die Situation innerhalb des Regimes scheint äußerst fragil. Weitere bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb des Regimes sind nicht ausgeschlossen. Die Rolle der Milizen und des Geheimdienstes ist völlig unklar. Ihre Anführer scheinen in die neue Militärregierung integriert, aber über ihre Rolle gibt es widersprüchliche Berichte. Auch die Demonstranten scheinen teilweise uneinig. Viele der Demonstranten hatten auf ein Eingreifen des Militärs gehofft, doch die junge Generation auf der Straße ist mit dem Ergebnis unzufrieden. Die politische Führung der Demonstranten und das Militärregime müssen nun eine politische Lösung finden, die von den Demonstranten auf der Straße und den Mannschaftsrängen des Militärs mitgetragen wird.

Omar Al-Baschir wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermords mit Haftbefehl gesucht. Das sudanesische Militär hat bereits angekündigt, ihn nicht auszuliefern. Wie wird es mit ihm weitergehen?

Die Militärregierung will ihn im Sudan vor Gericht stellen. Das Militär hat es aber auch ausdrücklich offengelassen, dass eine spätere zivile Regierung ihn an den Internationalen Strafgerichtshof ausliefern kann. Ich verstehe den Strafanspruch der internationalen Gemeinschaft, allerdings gibt es auch jenseits der Taten in Darfur einen Strafanspruch der sudanesischen Bevölkerung. Allein während der letzten vier Monate Proteste sind über 60 Personen umgekommen, mindestens sieben in dieser Woche.