In den vergangenen Jahren haben Russland und China intensiv daran gearbeitet, ihren Einfluss in Zentralasien auszubauen. Sie schmieden Allianzen und vertiefen Wirtschaftspartnerschaften. Mit ihrem wachsenden Engagement in der Region steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit einer offenen Rivalität zwischen beiden Ländern. Sicherheit und Kontrolle über die regionale Stabilität werden zunehmend zu entscheidenden Faktoren. Sie bestimmen, wo Moskau und Peking zusammenarbeiten – und wo Reibungen und Konflikte entstehen könnten.
Seit ihrer Unabhängigkeit hat Russland vor allem zwei Dinge in die zentralasiatischen Staaten gebracht: sicherheitspolitische Unterstützung und militärische Präsenz an strategisch wichtigen Orten.
Wird der Krieg in der Ukraine eingefroren, rückt Zentralasien zunehmend in den strategischen Fokus Moskaus. Chinas wachsende Präsenz in der Region könnte bei russischen Eliten Unmut auslösen und die Sorge verstärken, an Einfluss zu verlieren. Besonders betroffen sind Russlands Kontrolle über die militärische Zusammenarbeit und Sicherheitsfragen. Peking ist inzwischen der wichtigste Handelspartner Zentralasiens und hat seine Präsenz in nahezu allen Bereichen ausgeweitet – von der Wirtschaft bis zur Sicherheitsinfrastruktur.
Seit 2022 ist es in mehreren zentralasiatischen Ländern zu Massenunruhen gekommen, die gezeigt haben, dass es dort erhebliche Sicherheitsbedrohungen gibt. Im Distrikt Schamsiddin Schochin an der tadschikisch-afghanischen Grenze griffen Bewaffnete, die aus Afghanistan eingedrungen waren, in der Nacht vom 17. auf den 18. November 2024 das Camp eines chinesischen Unternehmens in der Zarbuzi-Schlucht an. Die Schlucht ist Teil des Naturreservats Daschti-Dschum, wo das Unternehmen im Goldbergbau tätig ist.
China will die Sicherheit seiner Vermögenswerte und seiner Arbeiter nicht externen Akteuren überlassen.
China will die Sicherheit seiner Vermögenswerte und seiner Arbeiter nicht externen Akteuren überlassen. Deshalb baut Peking seine Sicherheitskooperation mit den zentralasiatischen Staaten gezielt aus – vor allem da immer mehr chinesische Infrastrukturprojekte entstehen und das Land industriell zunehmend präsent ist.
Studien zur militärisch-technischen Zusammenarbeit Chinas mit den zentralasiatischen Ländern zeigen, dass Peking aktiv in militärische Infrastruktur, Grenzposten, moderne Sicherheitssysteme und regelmäßige Militärübungen im Rahmen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) investiert. In Zentralasien beteiligen sich chinesische Unternehmen wie Huawei, Hikvision und SenseTime am Aufbau von Smart Cities. Gleichzeitig arbeiten private chinesische Sicherheitsfirmen mit kasachischen Partnern zusammen, um kritische Infrastrukturen wie die Öl- und Gaspipeline zwischen Kasachstan und China zu schützen.
Die tadschikisch-chinesische Zusammenarbeit umfasst Zentren zur Terrorismusbekämpfung sowie regelmäßige Anti-Terror-Übungen. In Usbekistan liegt der Fokus auf dem Schutz kritischer Infrastrukturen, Cybersicherheit und Ausbildung. Auch in Kirgisistan finden gemeinsame Manöver statt. Zudem sind dort chinesische Cybersicherheitsfirmen aktiver als in jedem anderen zentralasiatischen Land. China verstärkt nicht nur seine wirtschaftliche Präsenz, sondern baut schrittweise ein Sicherheitsnetz auf, das eine Alternative zum russischen Einfluss werden könnte.
Afghanistan ist eines der Länder, in denen Russland und China besonders intensiv um Einfluss im Sicherheitsbereich konkurrieren. Seit der Machtübernahme der Taliban wächst die Bedrohung durch Extremismus und Instabilität in der Region. Das gibt Moskau die Möglichkeit, sich als Sicherheitsgarant zu positionieren. Russland will sein Gewicht und seine Netzwerke in Foren wie der OKVS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit), der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten), der EAWU (Eurasischen Wirtschaftsunion) und der SOZ nutzen. Ziel ist es, Afghanistan nicht nur wirtschaftliche Lösungen anzubieten, sondern auch seine regionale Integration zu fördern. Laut dem russischen Sicherheitsrat ist Moskau bereit, Kabul in regionale Bündnisse einzubinden und Afghanistan ein „Fenster“ zur internationalen Anerkennung zu öffnen.
China erkennt die Taliban offiziell nicht an, betrachtet Afghanistan jedoch als wichtigen Bestandteil seiner Initiative „Neue Seidenstraße“. Die bilateralen Beziehungen haben sich in den vergangenen drei Jahren auffallend verbessert: Peking lädt die Taliban als Dialogpartner zu Regionalforen ein und berät sich mit den Außenministern der Nachbarstaaten über die Lage im Land. Im Herbst 2024 unternahm Yue Xiaoyong, Pekings Afghanistan-Sondergesandter, eine diplomatische Rundreise nach Pakistan und Turkmenistan, bevor er nach Kabul reiste. Darüber hinaus fanden mehrere Konsultationstreffen zwischen den Strafverfolgungsbehörden Chinas und zentralasiatischer Länder statt.
Chinas Vorgehen ist pragmatisch: Es stellt Handelswege und Transitkorridore zur Verfügung, sichert den Zugang zu Ressourcen und minimiert das Risiko, dass extremistische Aktivitäten auf sein Staatsgebiet übergreifen. Zur Erreichung dieser Ziele setzt China auf ein breites Instrumentarium: finanzielle Unterstützung, Cybersicherheitsprojekte, den Ausbau der Grenzinfrastruktur sowie den Einsatz privater Sicherheitsunternehmen zum Schutz von Pipelines und strategisch wichtigen Objekten in Zentralasien und Afghanistan.
Parallel dazu intensivieren Iran und Russland ihre Kontakte mit den Taliban und zeigen damit, dass sie auf einen regionalen Konsens in der Afghanistanfrage hinarbeiten. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus, die den amerikanischen Druck auf die Region erhöhen könnte.
Multilaterale Strukturen wie die SOZ und Kooperationsformate wie C5+1 dürften sich zu Foren einer „sanften Konkurrenz“ entwickeln. Im Mai 2024 betonten Putin und Xi Jinping in einer gemeinsamen Erklärung die zentrale Rolle der OKVS und der GUS für die Stabilität der Region sowie für die Notwendigkeit, Terrorismus, Drogenhandel und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. In der Praxis jedoch versuchen sowohl Russland als auch China, diese und andere multilaterale Strukturen zur Stärkung ihrer jeweils eigenen Position zu nutzen.
Am 1. Dezember 2024 trafen sich die Außenminister Chinas und der zentralasiatischen Länder in Chengdu. Sie erklärten einhellig ihre Entschlossenheit, sich am Prinzip der gemeinsamen Sicherheit zu orientieren, den Frieden in der Region zu sichern und die „drei Übel“ – Terrorismus, Extremismus und Separatismus – zu bekämpfen. Zudem betonten sie ihren Widerstand gegen jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten Zentralasiens und sagten Afghanistan Unterstützung bei Befriedung und Wiederaufbau zu. Damit treibt Peking sein Modell der „gemeinsamen Sicherheit“ in der Region weiter voran. Zwar deckt sich die Rhetorik mit Moskaus Position, doch in Wahrheit könnte das Konzept eine alternative Einflussstruktur schaffen.
In Expertenkreisen wird zunehmend über die Möglichkeit gesprochen, den Krieg in der Ukraine „einzufrieren“. Sollte dies geschehen, hätte Moskau mehr Ressourcen und Zeit, um seine Stellung in Zentralasien zu stärken und Chinas wachsender Präsenz entgegenzuwirken. Mit Blick auf Peking argumentieren einige Beobachter: Je besser es der Volksrepublik gelingt, seine Position in Zentralasien zu festigen und sich eine stabile „Westflanke“ im Herzen Eurasiens zu sichern, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Eskalation in der Taiwanfrage.
Sollte sich das Kriegsgeschehen in der Ukraine abschwächen, könnte Zentralasien zur strategischen Arena werden, und Sicherheit dort zu einem besonders essenziellen Gut.
Sollte sich das Kriegsgeschehen in der Ukraine abschwächen, könnte Zentralasien zur strategischen Arena werden, und Sicherheit dort zu einem besonders essenziellen Gut. Für China ist die Region ein Testfeld für eine eigene Sicherheitsordnung – unabhängig von traditionellen Akteuren wie Russland oder den USA. Auch wenn China und Russland die Rolle des jeweils anderen anerkennen und von „gemeinsamer Verantwortung“ sprechen, deutet die Realität auf eine wachsende strukturelle Rivalität hin. Es ist zu erwarten, dass OVKS, GUS und SOZ zu Plattformen der Konkurrenz um die zentralasiatischen Eliten werden. Afghanistan könnte dabei zum Lackmustest für die Effektivität ihrer konkurrierenden Strategien und Instrumente werden.
In diesem sich wandelnden Umfeld ist Sicherheit in Zentralasien längst mehr als nur eine Frage der „Stabilität“ – sie wird zur „Währung“, mit der sich Russland und China regionalen Einfluss, Zugang zu Ressourcen und Kontrolle über Logistikkanäle sichern. Die politischen Entwicklungen in Eurasien sind so komplex, dass die taktische Interessenkonvergenz zwischen Russland und China in eine spannungsreiche Rivalität übergehen könnte. Diese könnte sich mit der Zeit über den Sicherheitsbereich hinaus auf breitere Einflusssphären ausdehnen und die strategische Anpassungsfähigkeit beider Mächte herausfordern. Vor diesem Hintergrund müssen die zentralasiatischen Länder eine ausgewogene und pragmatische Haltung bewahren, ihre Partnerschaften diversifizieren und ihre eigenen Sicherheitskapazitäten stärken.
Aus dem Russischen von Andreas Bredenfeld