Nach langen Spekulationen wurde der Tod des usbekischen Präsidenten Islam Karimov nun bestätigt. Karimov hatte das Land seit 1989 mit eiserner Faust regiert. Hat der Kampf um die Nachfolge begonnen? Wer wird sich durchsetzen?

Bei jedem Staat mit einer vergleichbaren Machtkonzentration beim Präsidenten wird erwartet, dass es nach dessen Tod zu einem Kampf der Nachfolger kommt, Chaos ausbricht oder der Staat in sich zusammenfällt. Dass dies nicht so sein muss, zeigte das benachbarte Turkmenistan. Als der Turkmenbaschi starb passierte erstmal nichts – oder zumindest nicht viel. Ein neuer Präsident erschien und übernahm die Führung. Natürlich bleibt ein offener Kampf um die Nachfolge eine Möglichkeit, aber sie ist kein Naturgesetz und in diesem Fall nicht mal die wahrscheinlichste Option.

Niemand in der Elite hat derzeit ein Interesse, einen Konflikt eskalieren zu lassen. Zu groß ist die wahrgenommene Gefahr sich damit zu schwächen und etwa Islamisten den Weg zu ebenen. Am wahrscheinlichsten ist, dass in Kürze ein neuer Präsident das Amt übernimmt und das Kräftegleichgewicht zwischen den verschieden regionalen Gruppierungen wahrt. Wer es von den zwei am häufigsten genannten Kandidaten, dem Ministerpräsidenten Sjavkat Mirsijajev und dem Finanzminister Rustam Azimov wird, lässt sich von außen nicht ausmachen. Letztlich wird derjenige den Vorzug bekommen, der am ehesten die Stabilität des Staates waren kann. Und das kann auch jemand sein, den niemand zur Zeit auf dem Zettel hat.

Zu sehen und zu hören sind viele Trauerbekundungen von Usbeken. Können diese Äußerungen einem ehrlichen Empfinden entsprechen, angesichts einer Menschenrechtslage, die Human Rights Watch als „grauenhaft" bezeichnet?

Human Rights Watch hat viele Beispiele genannt und gründlich recherchiert, die deutlich machen, dass nicht wenige Menschen in den Jahrzehnten der Unabhängigkeit gelitten haben. Zugleich haben wir aber auch eine junge Generation, die keinen anderen Präsidenten kannte und von diesem eingenommen ist. Und es gibt eine Funktionselite und Unternehmer, denen es relativ gut ging in den letzten Jahrzehnten und die nun Sorge um die Zukunft haben.

Es gehört zu den für uns schwierigen Wahrheiten, dass es diese beiden Welten in einem Staat wie Usbekistan gibt. Und so werden nicht wenige, die Trauer um den Tod des Präsidenten bekunden, diese auch empfinden. Genauso wie es Menschen gibt, die Angst haben vor dem was jetzt kommt oder aber neue Hoffnungen auf Veränderungen schöpfen.

Ist vor diesem Hintergrund dann überhaupt mit einem politischen Aufbruch zu rechnen?

Dafür gibt es kaum Anzeichen. Die politische Elite des Landes ist eingeschworen auf den besonderen usbekischen Weg der Entwicklung, der mit Souveränität und Unabhängigkeit in allen Fragen und einer sehr vorsichtigen Reformpolitik beschrieben wird. Die größte Furcht ist die vor innerer Instabilität und Versuchen von außen zu destabilisieren. Dies zu verhindern, ist das oberste Primat der Politik. Entsprechend wird im Großen und Ganzen auch weiterhin eine ähnliche Linie in der Politik zu erwarten sein.

In Detailfragen kann es allerdings Entwicklungen geben, zum Beispiel in Handelsfragen oder der Lockerung der rigiden Geldpolitik. Der Schutz der einheimischen Industrie durch hohe Schutzzölle und die Abschottung vom internationalen Geldmarkt waren für den ehemaligen Präsidenten heilige Grundsätze. Dies könnte ein neuer Präsident ändern und damit einen kleinen Investitionsschub auslösen. In politischen Fragen aber, wird sich kaum etwas bewegen.

Nicht zuletzt der Kreml begreift das Land als seinen Hinterhof. Welche geostrategischen Auswirkungen hat der Tod Karimovs?

Nicht nur der Kreml hat großes Interesse an Zentralasien und dem bevölkerungsreichsten Land Usbekistan. China ist der größte Investor und will keine instabilen Staaten in der Nähe seiner Unruheprovinzen im Westen. Auch die USA haben kein Interesse daran, dass der nördliche Nachbarstaat zu Afghanistan ein Unruheherd wird. Häufig wird vermutet, dass der Tod eines der Führer der zentralasiatischen Staaten ein neues „Great Game“ um den Einfluss in diesen Staat auslösen wird. Aufgrund der wesentlich größeren Bedrohung durch radikale islamistische Kräfte, wie den „Islamischen Staat“, die Usbekistan bereits zu einem möglichen Zielgebiet erklärt haben, werden vermutlich die Großmächte im Falle von Usbekistan eher auf eine schnelle und stabile Nachfolgeregelung hinwirken.

Allerdings wird auch das Werben beginnen. Sowohl Russland, das Usbekistan gerne in der Eurasischen Wirtschaftsunion hätte, als auch die USA, die einen weiteren Partner für Afghanistan gebrauchen könnten, dürften wohl in Taschkent bald häufiger anzutreffen sein. Lachender Dritter könnte jedoch China werden, denn was ein neuer Präsident als erstes braucht, um sein Volk für sich einzunehmen, sind wirtschaftliche Erfolge. Und in dem Feld kann China deutlich mehr bieten.

Die Fragen stellte Michael Bröning.