Manchmal entwickeln sich die Dinge anders als geplant. Als 1986 in Folge der People Power-Revolution in den Philippinen eine neue Verfassungsordnung eingeführt wurde, hatte die vor allem ein Ziel: die Verhinderung einer weiteren Marcos-Diktatur. Genau ein halbes Jahrhundert nachdem Ferdinand Marcos die Macht im Land an sich riss, feierte sein Sohn Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. im Mai dieses Jahres einen überwältigenden Wahlsieg. Mit beispiellosen 31 Millionen Stimmen Vorsprung ist er nicht nur in der Lage, ein revisionistisches Projekt in Angriff zu nehmen und den Familiennamen rein zu waschen, sondern befindet sich auch in der einzigartigen Position, ein völlig neues politisches System schaffen zu können.
Nach ihrer Rückkehr in den Malacañang-Palast enttäuschten die Marcos ihre treue Anhängerschaft nicht. In seinen ersten 100 Tagen im Amt verteidigte der neue philippinische Präsident das diktatorische Erbe seines Vaters, indem er sich auf die strategischen Erfordernisse des Kalten Krieges und auf innenpolitische Aufstände berief. Die Schwester des Präsidenten, Senatorin Maria Imelda „Imee“ Marcos, überwachte die Veröffentlichung des unverschämt revisionistischen Films Maid in Malacañang, in dem ihre Familie als Opfer ihrer philippinischer Widersacher, einer amerikanischen Verschwörung und verräterischer Verbündeter dargestellt wird.
Die Flut revisionistischer Politik geht einher mit einem systematischen Angriff auf Medien und unabhängige Journalisten.
Die Flut revisionistischer Politik, gepuscht von einer Armee von Pro-Marcos-Influencern, geht einher mit einem systematischen Angriff auf die Mainstream-Medien bis hin zum Mord an unabhängigen Journalisten. Marcos Jr. weigerte sich sogar in seiner Antrittsrede und seiner ersten Rede zur Lage der Nation, die Themen Menschenrechte, Demokratie und Korruption auch nur anzusprechen. Seine Regierung zeigt keine Anzeichen, besonderen Wert auf Rechtsstaatlichkeit zu legen, etwa bei der Verfolgung der weitverbreiteten außergerichtlichen Tötungen unter seinem Vorgänger Rodrigo Duterte. Innenpolitisch werden die Philippinen wohl bald zu einem „hybriden Regime“ werden, in dem halbfreie Wahlen lediglich die Vorherrschaft einer illiberalen Regierungselite legitimieren.
In der Außenpolitik hat Marcos Jr. jedoch einen strategischen Neustart eingeleitet, der von traditionellen Verbündeten und Partnern gelobt wird. In dem erklärten Bestreben, die Philippinen „wieder in die Welt einzuführen“ und das internationale Image seiner berüchtigten Familie aufzupolieren, hat Marcos Jr. die zerrütteten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten verbessert – mit Hilfe einer kritischeren Haltung gegenüber China und Russland. Der Kontrast zu seinem unmittelbaren Vorgänger könnte nicht größer sein. Aus historischem und persönlichem Groll heraus hatte Duterte westliche Staats- und Regierungschefs öffentlich beschimpft und gedroht, das Militärbündnis seines Landes mit den USA zu beenden. Während seiner gesamten Amtszeit hatte sich der ehemalige philippinische Staatschef geweigert, auch nur eine einzige westliche Hauptstadt zu besuchen, unternahm aber mehrere Reisen nach Peking und Moskau.
Der Kontrast in der Außenpolitik zwischen Marcos Jr. und seinem Vorgänger Duterte könnte nicht größer sein.
Während er eine „unabhängige“ Außenpolitik anpries, zeigte sich Duterte gegenüber den östlichen Mächten unterwürfig und zuweilen fast sklavisch. Der ehemalige philippinische Präsident forderte kleinere Nationen auf, gegenüber China „sanftmütig und demütig“ zu bleiben, um im Gegenzug die „Gnade“ der asiatischen Macht, die er seinen „Beschützer“ nannte, gewährt zu bekommen. Gleichzeitig schwärmte Duterte vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er als sein „Idol“ und seinen „Lieblingshelden“ bezeichnete.
Inmitten zunehmender Spannungen mit dem Westen wegen Menschenrechts- und Demokratiefragen warb Duterte um wirtschaftliche und militärische Hilfe von seinen beiden strategischen Schutzpatronen, China und Russland. Um die Volksrepublik zu beeindrucken, spielte der philippinische Präsident die Streitigkeiten im Südchinesischen Meer herunter. Duterte ging sogar so weit, Pekings Positionen zum Urteil des Schiedsgerichts aus dem Jahr 2016 wiederzugeben, mit dem der Großteil der expansiven Ansprüche Chinas in den angrenzenden Gewässern für nichtig erklärt und diese teilweise den Philippinen zugesprochen wurde. Selbst einen Vorfall im Jahr 2019 spielte er herunter, bei dem ein mutmaßliches chinesisches Milizenschiff ein philippinisches Fischerboot rammte, das in der Folge sank.
Noch während des Präsidentschaftswahlkampfes unterstützte Marcos Jr. die außenpolitische Ausrichtung von Duterte. Im Amt allerdings, das er vor allem dank der Unterstützung durch die Dutertes erringen konnte, änderte er den Ton. Der neue philippinische Präsident, weltgewandt und umgänglich, verzichtete auf die farbenfrohe Sprache seines Vorgängers und setzte auf traditionelle Diplomatie.
Er ernannte Enrique Manalo zu seinem Außenminister, womit erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder ein Karrierediplomat das Amt inne hatte. Marcos Jr. kassierte auch sein Versprechen an Sara Duterte – die Tochter des ehemaligen Präsidenten und jetzige Vizepräsidentin – sie zur Verteidigungsministerin zu ernennen. Stattdessen übertrug er das Amt an einen erfahrenen General.
Im Konflikt mit China um das Südchinesische Meer nimmt Marcos Jr. eine kompromisslose Haltung ein.
Im Verhältnis zu China legte Marcos Jr. eine Kehrtwende hin: Zwar setzt er einerseits auf eine erweiterte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China, um den Aufschwung nach der Pandemie anzukurbeln; andererseits nahm er eine kompromisslose Haltung im Streit um das Südchinesische Meer ein. Im Gegensatz zu Duterte bekräftigte er die Endgültigkeit der Entscheidung des Schiedsgerichts und versicherte, dass er die „heiligen“ territorialen und maritimen Rechte des Landes „in keiner Weise gefährden“ werde. Chinas Ansprüche wies er kategorisch zurück und beschuldigte die Volksrepublik, „Anspruch auf Gebiete zu erheben, die den Philippinen gehören“.
Marcos Jr. hat auch das einzige große Rüstungsabkommen seines Landes mit Russland gestrichen und es durch ein Abkommen mit den USA ersetzt. Außerdem setzte er mehrere große Infrastrukturprojekte mit China aus, weil er hohe Zinssätze und mangelnde Finanzierung befürchtete. Während Marcos Jr. eine kritischere Haltung gegenüber den östlichen Mächten einnahm, lobte er die stabilisierende Rolle Amerikas in der indo-pazifischen Region, die in seinen Worten „von allen Ländern in der Region und insbesondere von den Philippinen sehr geschätzt“ werde.
In kaum drei Monaten im Amt traf Bongbong Marcos neben US-Präsident Joe Biden auch dessen Außenminister Antony Blinken, die aktiv um den neuen Bewohner des Präsidentenpalasts Malacañang werben. Nachdem sich beide Seiten darauf geeinigt hatten, ihre jüngsten „steinigen Zeiten“ hinter sich zu lassen, verdoppelten sie nun ihre Sicherheitszusammenarbeit – die alten werden zu neuen Verbündeten.
Die Philippinen und die USA werden im nächsten Jahr voraussichtlich bis zu 500 gemeinsame Militäraktivitäten durchführen.
In Anbetracht der gemeinsamen Besorgnis über Chinas wachsende Durchsetzungskraft im Südchinesischen Meer und in Bezug auf Taiwan werden die Philippinen und die USA im nächsten Jahr voraussichtlich bis zu 500 gemeinsame Militäraktivitäten durchführen, gegenüber 300 in diesem Jahr. Das Pentagon beabsichtigt außerdem, bis zu 16 000 Soldaten zu den jährlichen philippinisch-amerikanischen Balikatan-Manövern zu entsenden, die sich zunehmend auf eine Zusammenarbeit im Bereich der maritimen Sicherheit konzentrieren und an denen vermehrt gleichgesinnte Länder wie Japan und Australien teilnehmen.
Der philippinische Botschafter in den USA, Jose Romualdez, ein naher Verwandter von Marcos Jr., drückte es so aus: „Unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sind im Moment am Höhepunkt.“ In einer bizarren Wendung wurde der neue philippinische Präsident von vielen westlichen Gesprächspartnern als frischer Wind begrüßt – insbesondere in den USA, wo die sechs Jahre der peking-freundlichen Politik Dutertes stets beklagt wurden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese strategischen Flitterwochen von Dauer sind, wenn es unter den Marcos keine echten Reformen der Regierungsführung gibt.