Der Rückzug der USA und der Koalitionstruppen aus Afghanistan und die raschen Geländegewinne der Taliban rücken die zentralasiatischen Nachbarstaaten einmal mehr in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Afghanistans direkte Nachbarn Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die afghanische Regierung mit Sicherheitsoperationen zu unterstützen. Gleichzeitig haben sie aber auch mit ihren eigenen Sicherheitsproblemen zu kämpfen.

Ein von den Taliban kontrolliertes Afghanistan ist für die genannten Länder kein Novum. Kurz nachdem die Region 1991 von der Sowjetunion unabhängig wurde, dehnten die Taliban ihre Herrschaft rasant in ganz Afghanistan aus. Doch die Situation stellt sich heute anders dar. Damals mussten die zentralasiatischen Länder erst noch lernen, als unabhängige Staaten zu funktionieren, und schienen sich einer ungewissen Zukunft zuzubewegen. Inzwischen haben sich in diesen Ländern Autokratien etabliert, die dafür bekannt sind, dass sie abweichende Meinungen im Inneren unterdrücken und aus Sicherheitskrisen gerne Kapital schlagen, um die eigene Macht zu sichern.

Ein besonders anschauliches Beispiel für die innenpolitischen Veränderungen seit den 1990er Jahren liefert Tadschikistan. Damals war das Land durch einen Bürgerkrieg zwischen der säkularen postkommunistischen Regierung und der religiös-politischen Opposition zerrissen. Im Sommer 1997 kam auf Vermittlung Russlands und Usbekistans ein Friedensabkommen zustande. Kurz nachdem die Taliban die Macht in Kabul übernommen hatten, entglitt dem tadschikischen Präsidenten Emomali Rachmon (damals nannte er sich noch Rachmonow) die Kontrolle über Teile des tadschikischen Staatsgebiets, so dass der Al-Qaida-Ableger „Islamische Bewegung Usbekistans“ in den entlegenen Gebieten des Landes seine Kämpfer ausbilden und mit Drogen handeln konnte.

Afghanistans direkte Nachbarn Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die afghanische Regierung mit Sicherheitsoperationen zu unterstützen.

Heute gehört Rachmon zu den am längsten regierenden Autokraten der Welt. In den vergangenen zwanzig Jahren festigte er sein Regime und entfernte seine Widersacher aus der Regierung. Inzwischen ist er Berichten zufolge dabei, die Machtübergabe an seinen 33-jährigen Sohn Rustam Emomali in die Wege zu leiten. Die dynastische Machtsicherung ist das Hauptanliegen seines Regimes – alle Entscheidungen in Bezug auf Afghanistan werden von diesem politischen Ziel beeinflusst.

Doch auch Tadschikistan ist mit handfesten Sicherheitsproblemen konfrontiert. Die Taliban haben Provinzen besetzt, die nahe an der tadschikischen Grenze liegen, darunter die Städte Kundus und Scheberghan sowie den Grenzposten von Shir Khan. Es wird berichtet, dass Hunderte ethnischer Tadschiken unterschiedlicher Altersgruppen Seite an Seite mit den Taliban kämpfen. Vermutlich bereiten Rachmon die Tadschiken in Afghanistan, die seinem Regime die Stirn bieten, mehr Sorgen als die Radikalisierung der Bürger in seinem eigenen Land.

Mitte der 2010er Jahre schlossen sich rund 2 000 Tadschiken dem Islamischen Staat (IS) an, darunter mehrere hochrangige Beamte aus dem Sicherheitsapparat. Als der IS in Syrien und Irak an Einfluss verlor, gingen viele Kämpfer aus Zentralasien nach Afghanistan. Wie viele Kämpfer es gibt, die aus den zentralasiatischen Ländern stammen, ist allerdings schwer zu schätzen. Ebenso wie Usbekistan, von wo sich ebenfalls Tausende dem IS anschlossen, sträubt Tadschikistan sich, die eigenen Staatsbürger wieder aufzunehmen. Beide Länder sind besorgt mit Blick auf die drohende Gefahr, dass der IS-Khorasan (IS-K, der Ableger des IS in Zentralasien und Afghanistan) in Afghanistan erstarkt. Ob dies eintreten wird, hängt von vielen Faktoren ab – unter anderem von den Dynamiken des Krieges zwischen dem IS und den Taliban, von den Finanzquellen des IS-Khorasan und von perspektivischem Nachwuchs durch eine weitere Radikalisierung von Zentralasiaten.

Usbekistan und Tadschikistan gehen unterschiedlich mit dieser Sorge um. Rachmons Regierung hat über ihre Einstellung zu den Taliban bislang nichts verlauten lassen, während das benachbarte Usbekistan direkte Gespräche mit ihnen führte. Ob Tadschikistan Beziehungen zu den Taliban aufbauen wird, ist nach wie vor unklar. Es gibt zahlreiche Berichte über Soldaten und andere Menschen, die vor den Taliban nach Tadschikistan und Usbekistan fliehen. Solche Grenzübertritte gab es auch früher schon, aber nicht in dieser Häufigkeit und Größenordnung.

Als der IS in Syrien und Irak an Einfluss verlor, gingen viele Kämpfer aus Zentralasien nach Afghanistan.

In jüngster Zeit zeigen die Staatschefs der zentralasiatischen Länder ein stärkeres Interesse daran, gemeinsame Lösungen für regionale Probleme zu suchen. Erst in der vergangenen Woche kamen die fünf Staatschefs (Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) im turkmenischen Ferienort Awaza am Kaspischen Meer zusammen und demonstrierten Geschlossenheit. Die Erfolgsaussichten dieser Kooperation bleiben allerdings ungewiss – vor allem wegen der anhaltenden Grenzstreitigkeiten im Ferghana-Tal, das sich über den Osten Usbekistans, den Süden Kirgistans und Tadschikistans Norden erstreckt. Auch die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung spielt eine Rolle.

Auf die fünf zentralasiatischen Länder richtet sich nun das erhöhte geopolitische Augenmerk der USA, Russlands und Chinas. Die US-Regierung führt derzeit intensive Gespräche mit Duschanbe und Taschkent über eine zukünftige sicherheitspolitische Zusammenarbeit und die mögliche Einrichtung eines Stützpunkts für Operationen in Afghanistan. Russland hält momentan eine gemeinsame Militärübung mit Usbekistan und Tadschikistan ab. China soll eine militärische Anlage auf tadschikischem Staatsgebiet unterhalten. Auch andere internationale Akteure sind daran interessiert, unterstützend aktiv zu werden, um auf mögliche Grenzverletzungen von afghanischer Seite militärisch wirksamer reagieren zu können.

Auf die fünf zentralasiatischen Länder richtet sich nun das erhöhte geopolitische Augenmerk der USA, Russlands und Chinas.

Die gesteigerte internationale Aufmerksamkeit bietet Ländern wie Tadschikistan eine neue Gelegenheit, das Interesse von außen für eine Verschärfung der innenpolitischen Kontrolle und einen erfolgreichen Machtübergang vom Vater auf den Sohn zu instrumentalisieren. Rachmon wird Afghanistan voraussichtlich als äußeres Feindbild aufbauen und den oppositionellen Kräften im eigenen Land religiösen Radikalismus vorwerfen, um verschärft gegen sie vorgehen zu können. Möglich ist auch, dass er die militärische und sicherheitspolitische Unterstützung von außen – auch aus dem Westen – nutzen wird, um seinen innenpolitischen Unterdrückungsapparat auszubauen. Schon jetzt ist das tadschikische Staatliche Komitee für nationale Sicherheit, das schon oft westliche Unterstützung erhalten hat, an der Unterdrückung politisch Andersdenkender im eigenen Land und an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. 

Unabhängigen Beobachtern in den zentralasiatischen Ländern ist allerdings auch klar, dass bessere Lebensumstände für die Bürgerinnen und Bürger eine weitere Radikalisierung vermeiden könnten. Kasachstan und Usbekistan verfügen über größere Ressourcen und zeigen einen stärkeren politischen Willen, die Armut zu bekämpfen und Bildungschancen zu erweitern. Das lässt sich von Tadschikistans Regierung nicht sagen. Die Tadschiken, die als Migranten im Ausland leben, überweisen jedes Jahr 2,5 Milliarden US-Dollar in die Heimat – das ist mehr als ein Drittel des BIP. Damit gehört Tadschikistan zu den Ländern der Welt, die wirtschaftlich am stärksten auf ihre Auswanderer angewiesen sind. Während seiner gesamten Regierungszeit hat Rachmon wenig unternommen, um daran etwas zu ändern.

Eine weitere Herausforderung, vor der die Region steht, ist der Drogenhandel, der viele Beamten im Sicherheitsapparat korrumpiert und der organisierten Kriminalität Auftrieb gibt. Sollte die Lage in Afghanistan noch instabiler werden, nimmt möglicherweise der Export von Opiaten – auch durch die zentralasiatischen Länder hindurch – zu. In Tadschikistan sollen auch staatliche Stellen im großen Stil in Drogengeschäfte verwickelt sein. Dass die USA und die EU in Tadschikistan jahrelang den Kampf gegen den Drogenhandel unterstützt haben, hat die autokratischen Tendenzen im Land möglicherweise noch verstärkt.

Alles in allem haben Länder wie Tadschikistan vielleicht das Potential, zur Stabilität in Afghanistan beizutragen, aber die tadschikische Regierung wittert ebenso wie viele andere Regierungen in der Region in der um sich greifenden Krise ihre Chance. Dass international mit erhöhter Aufmerksamkeit verfolgt wird, wie Rachmon auf die Entwicklungen in Afghanistan reagiert, wird dieser womöglich als Vorwand nutzen, um die Opposition im eigenen Land zu unterdrücken.

Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen geben lediglich die Meinung der Verfasserin und nicht der National Defense University, des Verteidigungsministeriums oder einer anderen Stelle der US-Regierung wieder.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld