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Europa droht derzeit strategische Partner in der Welt zu verlieren. Damit würde auch unser Einfluss schwinden. Kooperation beginnt mit der Art, wie wir miteinander in Austausch treten – auch in den Warenaustausch. Während die USA weiterhin ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union ablehnen und sich aus multilateralen Institutionen und Abkommen zurückziehen, gewinnt das autoritär geführte China an wirtschaftlicher Macht in der Welt. Die Europäische Union darf zwischen den beiden Mächten nicht aufgerieben werden. Um aber weiterhin selbst eine gestaltende Kraft zu bleiben, muss sie die regelbasierte Ordnung im sich verändernden Welthandel aufrechterhalten.
Ein wichtiges Instrument für solch eine regelbasierte Ordnung können Handelsabkommen sein. Dafür aber dürfen in diesen Handelsabkommen nicht nur die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie etwa Zollregelungen, Investitionsschutz oder der Verzicht auf Handelshemmnisse festgelegt werden. Es muss auch um verbindliche Vereinbarungen im Bereich der Arbeitnehmerrechte oder des Klimaschutzes gehen. Solche Standards dürfen keine Papiertiger sein. Sie müssen überprüfbar und einklagbar sein. Und genau hier beginnt das Problem im derzeitigen EU-Mercosur-Abkommen. Das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – des Wirtschaftsblocks Mercosur – widerspricht den Prinzipien einer regelbasierten Zusammenarbeit zwischen den beiden Weltregionen.
Seit zwei Jahrzehnten wird nun über dieses Handelsabkommen gerungen. Und es wäre für beide Seiten des Atlantiks wünschenswert, wenn es endlich zum Abschluss käme, würde das Abkommen doch die bis dato größte Freihandelszone der Welt schaffen. Seit der Regierungsübernahme von Präsident Jair Bolsonaro in Brasilien versinkt das Land aber im Chaos seiner nationalistischen, rassistischen und sexistischen Politik. Brasiliens Wälder brennen, für die Opfer der Corona-Pandemie müssen Massengräber ausgehoben werden und die Korruption nimmt stetig zu. Abholzung und Brandrodung des Regenwaldes, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen unter schlimmen Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung von Gewerkschaftern und politischer Opposition im Land sowie die Infragestellung gültiger Vereinbarungen und Verträge auf internationaler Ebene sind nur einige Punkte, die die aktuelle Politik der Regierung beschreiben.
Weder im Handelsteil noch im politischen Rahmenabkommen gibt es harte Instrumente, um gegen Abholzung und Menschenrechtsverletzungen in Brasilien vorzugehen.
Damit zeigt sich umso deutlicher, dass ein Abkommen nicht nur (zoll-)freie Fahrt für Güter umfassen darf. Ohne verbindliche Standards und sanktionierbare Verabredungen über das WIE des Handels machen wir uns abhängig von der Willkür einzelner Regierungen. Damit verlieren wir nur umso mehr unsere Handlungsfähigkeit auf der Basis unserer Wertegemeinschaft.
Es ist daher nur richtig und konsequent, jetzt das EU-Mercosur-Abkommen auf Eis zu legen. Denn weder im Handelsteil noch im politischen Rahmenabkommen gibt es harte Instrumente, um gegen Abholzung und Menschenrechtsverletzungen in Brasilien vorzugehen. Und doch zeigt das Beispiel deutlich, dass wir einen regelbasierten Markt in einer globalisierten, multipolaren Welt dringlicher denn je brauchen. Wie sonst könnten wir denn besser solche Fehlentwicklungen verhindern oder umgekehrt Initiativen beispielsweise zur Verbesserung des Weltklimas konsequenter unterstützen? Dieses Abkommen bietet daher einen guten Anlass, deutlich zu machen, was guten regelbasierten Handel ausmacht und wie wir es umsetzen sollten.
Längst überfällig ist nämlich ein allgemeiner EU-Handelsrahmen, der für alle zukünftigen Verhandlungen verbindlich menschenrechtliche, ökologische und soziale Standards festhält – und zwar nicht lediglich als gemeinsames Selbstverständnis, sondern als sanktionsfähige Regeln. Nur konkrete Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen stellen die Wirksamkeit der Abkommen auch über die Tagespolitik hinaus sicher. Verbindliche Schadensersatzmechanismen sollten Entschädigungen bei Vertragsverletzungen oder auch die temporäre Aussetzung von einzelnen Handelspräferenzen vorsehen.
Dafür muss jedes Handelsabkommen ohne Ausnahmen und ohne zeitliche Verzögerung immer flankiert werden von einem Assoziierungsabkommen mit einem eigenständigen Nachhaltigkeitskapitel. Nur ein umfassendes Assoziierungsabkommen entspricht unserem Anspruch, Dialog, Kooperation sowie Nachhaltigkeit nicht von wirtschaftlichen Interessen in einem Handelsteil abzukoppeln.
Welches Signal würden wir aktuell aussenden, mit solch einer Regierung dieses Abkommen zu schließen, ohne sicherzustellen, dass sie es auch einhalten muss?
Ja, das macht stets die Zustimmung aller nationalen Parlamente notwendig. Aber genau das bietet auch die Chance, bei Europas Bürgerinnen und Bürgern mehr Akzeptanz und mehr Bewusstsein zu schaffen für die Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft und nachhaltiger Produkte in der Welt. Ein einmal festgelegter Rahmen würde das Wiederholen der immer gleichen Diskussionen bei jedem Handelsabkommen überflüssig machen und der EU-Handelspolitik eine Einheitlichkeit ihrer Anforderungen auch gegenüber Dritten geben.
Eben diese Transparenz und Verbindlichkeit fehlt dem derzeitigen EU-Mercosur-Abkommen. Ein verbindliches Nachhaltigkeitskapitel ist nicht vorgesehen. Abgetrennt vom Handelsteil werden zwar beispielsweise die wirksame Absicherung der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingefordert, aber ohne entsprechende Überprüfungs- oder Sanktionsmechanismen. Auch im Handelsteil des derzeitigen EU-Mercosur-Abkommens ist eine solche Klausel nicht enthalten.
Wie groß ist die Chance, dass ein Land wie Brasilien unter seiner derzeitigen Führung ein politisches Abkommen unterschreibt UND einhält, das seinen eigenen bisherigen Handlungen zuwiderläuft? Welches Signal würden wir aktuell aussenden, mit solch einer Regierung dieses Abkommen zu schließen, ohne sicherzustellen, dass sie es auch einhalten muss?
Ein Abkommen mit Brasilien wäre nur ein Feigenblatt für die unmenschliche Politik der Regierung Bolsonaro. Es würde mehr Schaden anrichten, als etwas zum Besseren zu bewegen. Nur Abkommen, die verbindlich sind und nicht sanktionsfrei missachtet werden können, schaffen einen gerechten Markt. Jedes auf langfristigen Erfolg ausgerichtete Unternehmen sollte daran ein Eigeninteresse haben. Denn Willkür, Korruption und sozialer Unfriede sind Gift für eine innovative Wirtschaft.
Nein – ein EU-Mercosur-Abkommen unter diesen Umständen und Bedingungen kann es nicht geben. Nicht wenn wir an einem ernsthaft freien und fairen Handel interessiert sind. Aber wir sollten die Zeit nutzen und endlich unsere eigenen Hausaufgaben machen – sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene. Damit die Gestaltung der Welt nicht den Eigeninteressen US-amerikanischer oder chinesischer Großkonzerne überlassen wird.