Athen – Dann lieber Schäuble als Lindner

In Griechenland verortet man die Verantwortlichen für das leidige finanzpolitische Sparkorsett eher in Berlin denn in Brüssel, daher verfolgte man erstaunlich gut informiert den deutschen Wahlkampf. Alle wichtigen Medien spekulierten weidlich über mögliche Implikationen des Ausgangs für die europäische Politik gegenüber dem Land.

Angela Merkel und allen voran Wolfgang Schäuble werden hierzulande gerne mit dem Leibhaftigen in eine Schublade gesteckt, die empfindlichen Verluste der CDU hat man ergo mit Genugtuung aufgenommen. Viele Griechen hofften eher mit der SPD; ist doch bekannt, dass die SPD in einer großen Koalition Befürworterin einer weicheren Linie gegenüber den südeuropäischen Schuldenstaaten wäre. Der angekündigte Rückzug der Sozialdemokraten aus der Regierung gibt daher Anlass zur Sorge. Selbst den Taxifahrern Athens ist der Name Christian Lindner geläufig als der deutsche Spitzenpolitiker, der sich mehrfach für einen zeitweiligen Rauswurf Griechenlands aus dem Euro starkmachte – Kondition für einen möglichen Schuldenschnitt dann außerhalb der Eurozone. Bekannt ist, dass ein europäischer Finanzausgleich, ein eigenes Budget der Eurozone, Bankenunion und europäische Einlagensicherung von der FDP im Wahlkampf ausgeschlossen wurden. Ausgerechnet diese FDP benötigt Merkel nun zur Regierungsbildung, und ausgerechnet dieser Lindner erhebt Anspruch auf den Posten des Finanzministers. Angesichts dieser Aussichten würde man doch mit einem zwar verhassten, aber immerhin bekannten Schäuble vorlieb nehmen.

Europäisch denkende Griechen aller Couleur fragen sich, was nun aus den Initiativen zur Reform der EU werde – vornehmlich von Macron angestoßen und kürzlich am Fuße der Akropolis publikumswirksam vorgetragen. Dass die GroKo europa- und reformfreundlichere Positionen vertrat als eine neue deutsche Regierung unter Jamaika-Flagge, gilt als unstrittig.

Den Aufstieg der AfD empfindet man – wie wohl überall – als bedrohlich, allerdings eher im innenpolitischen Kontext. Auswirkungen auf die Außen- oder Europapolitik Deutschlands erwartet man nicht. Dass es nun auch im deutschen Parlament eine rechtspopulistische Fraktion gibt, wird mit Verweis auf die weiteren europäischen Länder eher als Normalisierung angesehen. Aufgeklärten Griechen ist gleichzeitig auch klar, dass ein Vergleich der AfD mit der eigenen Ausprägung, der nazistischen und gewaltbereit-verbrecherischen Bewegung „Golden Dawn“, weit überzogen wäre.

Ulrich Storck, Leiter des FES-Büros in Athen

Paris – Oppositionsrolle der SPD ist bittere Enttäuschung

In Frankreich staunte man bis heute über die „schlafwandelnden Deutschen“, die eine Politik des „Weiter so“ offensichtlich gutheißen, statt sich mit einem Blick auf die kommenden zehn bis 20 Jahre um die notwendigen Reformen zu streiten. Der Investitionsstau bei Straßen, Schulen, dem Ausbau des Glasfasernetzes werden hier als Beispiele genannt. Die sich im Wahlergebnis widerspiegelnde Unzufriedenheit mit der Großen Koalition hat aber ganz offensichtlich weniger mit fehlenden Zukunftsdebatten zu tun, als mit Ängsten, die von den Populisten erfolgreich angesprochen wurden.

Mehr als alles andere wurden die Auswirkungen der möglichen Koalitionen für Frankreich und für Europa diskutiert. Das Szenario einer schwarz-gelben Koalition hat die Regierung und die Kommentatoren im Vorfeld der Bundestagswahl besonders beunruhigt. In mehreren Journalen wurde Präsident Macrons Kommentar gegenüber einem Besucher des Elysée für diesen Fall kolportiert: „Dann bin ich tot.“ Die europapolitischen Ambitionen Macrons sind notwendiger Teil seiner Reformpolitik für Frankreich und die von der FDP klar formulierte Ablehnung einer Vertiefung der EU, insbesondere bezogen auf die Governance des Euro, würde einen Strich durch diese Rechnung machen. Auch seine – für französische Verhältnisse revolutionären – Reformen im eigenen Land erklären sich zum Teil als Entgegenkommen gegenüber deutschen Forderungen.

Nach seiner Europarede vom 7. September in Athen wird der französische Präsident deshalb am 26. September eine Rede an die Jugend Europas halten, bei der er seine europapolitischen Vorstellungen konkretisiert. Das Datum ist mit Bedacht gewählt: Einerseits sollte kein Einfluss auf die Bundestagswahlen in Deutschland genommen werden, sehr wohl aber auf die Koalitionsfrage nach dem 24. September. Die Festlegung der SPD auf die Oppositionsrolle ist für Macron deshalb eine bittere Enttäuschung. Und ein wahrscheinlicher FDP-Finanzminister vermutlich sein Alptraum. Bei den französischen Sozialisten (PS) zeigt man Verständnis für die Entscheidung der SPD.

Nicht zuletzt ist es aber der Einzug der AfD, der in Paris Sorgen auslöst. Regierungssprecher Castaner hat deshalb am Montag von einem „bitteren Sieg“ für Kanzlerin Merkel gesprochen. Die dank des Verhältniswahlrechts enorme Größe der AfD-Fraktion mit voraussichtlich 94 Abgeordneten dürfte das französische Festhalten am Mehrheitswahlrecht stärken. Der Front National ist im französischen Parlament mit gerade einmal acht Abgeordneten vertreten, obwohl der Stimmenanteil mit 13,3 Prozent vergleichbar war.

Stefan Dehnert, Leiter des FES-Büros in Paris

Brüssel Kein Rückenwind für Europa

So dürfte sich Kommissionspräsident Jean Claude Juncker das Ergebnis der Wahlen in Deutschland nicht vorgestellt haben. Nachdem man aus Brüsseler Sicht die holländischen und die französischen Wahlen  – und Ende 2016 bereits die österreichische Präsidentenwahl – besser überstanden hatte, als von vielen erwartet, war die Brüsseler Präferenz bei der Bundestagswahl eine Fortsetzung der großen Koalition. Damit waren Stabilität und der nötige Schub für die Bewältigung einer ganzen Reihe aufgelaufener Probleme auf europäischer Ebene bereits eingepreist. Weiter erhoffte man sich eine schnelle Einigung der bereits eingespielten Koalitionspartner und folglich eine auf dem Brüsseler Parkett handlungsfähige neue deutsche klar pro-europäische Regierung. In Junckers ‚State Of the Union‘ Rede Mitte September schimmerten bereits ein goldener Herbst und ein mildes politisches Frühjahr durch: die Rechtspopulisten gebannt, die wirtschaftliche Lage besser als erwartet, Zusammenhalt im Brexit, ein wieder anspringender deutsch-französicher Motor und die Kommission gestärkt und bei einer Reihe von Zukunftsprojekten wieder im ‚driving seat‘.

Daraus wird nun nichts, denn die deutsche Innenpolitik wird instabiler werden, als sie es unter den vergangenen Merkel Koalitionen war. Und die Koalitionsverhandlungen – so sie denn gelingen – dürften ihre Zeit dauern. Europa wird weiter auf Deutschland warten müssen. Für die ehrgeizige Agenda der Kommission bis zum Ende der Legislatur im Sommer 2019 ist dies sehr problematisch.

Auch in der EU beginnt man zu ahnen, dass die große Verliererin der Wahl die Kanzlerin ist. Und das ist schwierig für Brüssel. Das Durchsetzungsvermögen der Kanzlerin im Europäischen Rat wird reduziert sein. Die EU braucht idealtypischerweise in den großen Ländern stabile Regierungen, die kompromissfähig sind und unterschiedliche europäische Handlungsoptionen in ihrem nationalen Rückraum durchsetzen können. Dies gilt umsomehr für Deutschland als größtem und wirtschaftlich stärkstem Land der Union. Dass das im Rahmen einer Jamaika-Koalition, möglich sein wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn die Positionen von CDU, FDP und GRÜNEN im Wahlkampf lagen auf Europa bezogen so weit auseinander, dass ein Konsens in den Fragen von Eurozonenreform, Migrations- und Sicherheitspolitik oder Brexit nur vorstellbar erscheint, wenn einer der Koalitionspartner an oder über die Grenzen seiner Identität geht. Das wäre aber die Fortsetzungs des Systems Merkel, dass bei dieser Wahl krachend abgewählt wurde und in dem bislang alle Koalitionspartner geschreddert wurden. Die Grünen und vor allem die FDP, die von der Merkel-CDU bereits einmal des Platzes verwiesen wurde, dürften gewarnt sein. Der Erfolg der AFD mit 12,6 Prozent ist auch aus Brüsseler Sicht etwas größer als erwartet, wird aber im europäischen Vergleich als überschaubar betrachtet. Manch einer dürfte dies sogar lapidar nach dem Motto: ‘Welcome to the Club‘ betrachten. Sorgen macht in Brüssel nicht die Größe der AfD, sondern die Art, wie sie in der Lage war, den Diskurs und die Themen des Wahlkampfes zu prägen, was letztlich ursächlich für den unerwarteten Wahlausgang war.

Und die SPD? Auf europäischer Ebene, wo mit dem Weggang von Martin Schulz die Große Koalition im Europaparlament aufgekündigt wurde, wird der Handlungsspielraum der SPD-Gruppe in der S&D Fraktion in jedem Fall größer. Man wird nicht mehr genötigt sein, die ungeliebte und als falsch analysierte Austeritätspolitik gegenüber den Ländern des Südens zu vertreten. Im Hinblick auf die Reform der Eurozone ist die SPD schon seit geraumer Zeit näher an Macron als an Schäuble. In der GroKo wurde das nicht hinreichend deutlich. In der Opposition muß sich nun zeigen, wieviel identitätsverbürgende Kraft einer linken Volkspartei noch da ist, um in Deutschland und Europa wieder um Mehrheiten zu konkurrieren.

Uwe Optenhögel, Leiter und Johanna Lutz, stellv. Leiterin des FES-Büros in Brüssel

London – Auch nach der Wahl kein „cherry picking“

Der Ausgang der Bundestagswahl wurde in Großbritannien vor allem unter drei Aspekten bewertet: Brexit, die AfD und das Ergebnis der SPD.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Brexit-Verhandlungen wird die (Wieder-)Wahl Merkels in Großbritannien nüchtern betrachtet. Es ist bekannt, dass allen Parteien, die für eine Regierungskoalition in Frage kommen, der Zusammenhalt in der EU am wichtigsten ist und Großbritannien höchstwahrscheinlich kein „cherry picking“ erlaubt werden wird. Die Brexit-Befürworter hatten vor der Wahl noch gehofft, dass eine Koalition zwischen CDU und wirtschaftsliberaler FDP zu einem vorteilhafteren Brexit-Deal führen könne. Inzwischen ahnt man, dass die FDP – wenn überhaupt – nur einen minimalen Einfluss hat. Bedrückt stellt man fest, dass Kanzlerin Merkel in den nächsten Wochen mit Koalitionsgesprächen befasst sein wird und dem EU-Austrittsverfahren für Großbritannien entsprechend weniger Aufmerksamkeit wird schenken können.

Der Einzug der AfD in den Bundestag wird auch in Großbritannien mit Sorge wahrgenommen. Das Schutzschild der deutschen Gesellschaft habe deutliche Beulen abbekommen, sei aber nicht völlig zerbrochen, so fasst es der Guardian zusammen. Bedenklich sei, dass die AfD durch ihren Einzug in den Bundestag zukünftig in den Genuss von Redezeit, staatlicher Förderung und noch stärkerer Aufmerksamkeit der Medien käme. Allerdings sei es übertrieben, zu glauben, in Deutschland sei das Gespenst der Vergangenheit zurückgekehrt. Das Land sei nach wie vor eine stabile Demokratie, robuster als Großbritannien oder die USA, welche durch Brexit und Donald Trump stärker durchgeschüttelt worden seien. Die AfD sei zwar ins Parlament gekommen, aber nicht in die Regierung, und es sei beruhigend zu sehen, dass alle anderen deutschen Parteien einen Pakt mit der AfD ablehnen.

Das Abschneiden der SPD dagegen wird vor allem bei Labour mit Sorge betrachtet, wo man momentan den Parteitag in Brighton abhält. Parteichef Jeremy Corbyn nimmt für sich in Anspruch, den politischen „Mainstream“ zu verkörpern und bereitet sich auf einen möglichen Einzug in Downing Street No 10 vor. Das schlechte Ergebnis der SPD könnte für ihn die Bestätigung sein, seinen sehr linken Kurs noch zu intensivieren. Gleichzeitig wird aber immer wieder Bedauern über den Rückzug der SPD in die Opposition geäußert. Ob das denn richtig sei? Schließlich bräuchte Europa angesichts der multiplen Herausforderungen derzeit ein stabiles Deutschland und eine große Koalition sei dafür sicherlich der bessere Garant als ein Jamaika-Bündnis mit völlig divergierenden Parteiinteressen.

Nicole Katsioulis, Leiterin des FES-Büros in London.

Kiew – Abgang von Freunden ist schwer zu verdauen

Zwar ist die vermeintliche Wunschkonstellation aus Sicht der ukrainischen Führung, eine schwarz-grüne Koalition, mit diesem Ergebnis in weite Ferne gerückt. Dennoch sieht Kiew vor allem in einer weiteren Amtsperiode von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Garantie für eine Aufrechterhaltung der Russland-Sanktionen und der deutschen Rolle als treibende Kraft im Minsker Prozess. Eine rot-rot-grüne Koalition, belastet durch das unklare Verhältnis von Teilen der Linken zum Krieg in der Ost-Ukraine und zu Russland, galt für die Kiewer Führung als Schreckgespenst. Die sicherlich auch wahltaktischen Äußerungen Sigmar Gabriels und Christian Lindners zur Lockerung der Russland-Sanktionen oder Anerkennung der Krim-Annexion wurden in einigen Kiewer Kreisen mit gelinder Fassungslosigkeit aufgenommen. Dennoch wird Kiew damit leben können, dass entweder wieder ein Liberaler in den Werderschen Markt einzieht oder aber am Ende doch wider Erwarten weiterhin die deutsche Sozialdemokratie das Amt des Bundesaußenministers stellt.

Schwieriger zu verdauen ist für die Ukraine jedoch der Abgang zahlreicher Bundestagsabgeordneter, die sich über Jahre hinweg für die Ukraine stark gemacht haben – unter anderem Franz Thönnes, Gernot Erler, Marieluise Beck, Karl-Georg Wellmann und Norbert Spinrath. Unmittelbar nach den Wahlen muss sich Kiew mit den neuen Gesichtern im neuen Bundestag vertraut machen und vor allem nach neuen Freunden suchen – besonderes Interesse wird darin liegen, ob eine prinzipiell der Ukraine gegenüber freundlich gestimmte Fraktion den Vorsitz der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe bekommt.

Was Kiew jedoch fürchtet, ist ein langes Hin und Her, ehe man sich in Berlin überhaupt auf eine Koalition einigt. Die Ukraine braucht eine schnell handlungsfähige Bundesregierung, die den kürzlichen Vorstoß des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Entsendung einer UN-Blauhelmmission in die Ost-Ukraine konstruktiv begleitet, so dass am Ende eine Mission herauskommt, die nicht nur Bodyguard für die OSZE-Beobachter spielt, sondern auch umfassenden Zugang zur russisch-ukrainischen Grenze bekommt. Mit wesentlich weniger Entspannung schaut man in Kiew hingegen schon auf die nächste Wahl – die des russischen Präsidenten Anfang 2018.  

Marcel Röthig, Leiter des FES-Büros in Kiew

Warschau – Merkels Sieg ist gut für Polen

Im Vordergrund der Kommentare polnischer Politikerinnen und Politiker steht die Bedeutung der Bundestagswahl für Polen. Über alle Parteigrenzen hinweg wird der Sieg Angela Merkels begrüßt. Das Abschneiden der AfD beunruhigt. Die Partei wird als prorussisch und wegen der Glorifizierung der Wehrmacht als antipolnisch eingestuft. Der sozialdemokratische Altpräsident Aleksander Kwaśniewski kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Polenpolitik weiterhin berechenbar bleiben und um gute Beziehungen zu Polen bemüht sein werde.

Für Innenminister Marius Błaszczak von der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist Angela Merkel diejenige Politikerin, die den polnischen Interessen am meisten entspricht. Für ihn und die PiS sind die Stimmenverluste für die Große Koalition auf die Öffnung der deutschen Grenze für Flüchtlinge zurückzuführen. Die Ergebnisse der Bundestagswahl zeigten, dass die Flüchtlingspolitik der polnischen Regierung richtig sei. Die PiS-Regierung lehnt entgegen der EU-Beschlüsse die Aufnahme von Flüchtlingen ab. Im PiS-Lager wird die Abwahl der SPD begrüßt. Der PiS-Europaabgeordnete Zbigniew Kuźmiuk betonte, dass damit die deutsche Regierung weniger prorussisch sein werde. Er sagte, dass Sigmar Gabriel Moskau oft besucht und seine Zweifel gegenüber den Russland-Sanktionen geäußert habe. Gabriel sei auch Befürworter des Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2. Jetzt gebe es eine große Chance, dass die deutsche Regierung den Bau nicht mehr unterstützen werde. Nord Stream 2 wird in Polen von allen politischen Parteien und der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt.

Auch für die größte Oppositionspartei, die vormalige Regierungspartei „Bürgerplattform“ (PO) sowie für die liberale Oppositionspartei „Nowoczesna“ ist der Sieg Merkels ein Garant für die Kontinuität in den polnisch-deutschen Beziehungen und deshalb positiv für Polen. Der PO-Vorsitzende Grzegorz Schetyna unterstrich die Bedeutung  der Fortsetzung der proeuropäischen Ausrichtung der deutschen Politik. Für den ehemaligen PO-Europaabgeordneten Paweł Zalewski hat eine Jamaika-Koalition zwei Vorteile. Erstens seien sich die CDU und die Grünen in einer harten Russlandpolitik einig und zweitens werde die FDP einige französische Vorstellungen über die Reform der Eurozone  ausbremsen. Das werde Polen zwei Jahre Luft verschaffen, um die Marginalisierung Polens in der EU zu verhindern. Die nächsten polnischen Parlamentswahlen finden 2019 statt, und die PO hofft auf einen Wahlsieg. Sowohl im sozialdemokratischen „Bund der Demokratischen Linken“ (SLD) als auch in der Partei „Nowoczesna“ wird die Entscheidung der SPD gewürdigt, in die Opposition zu gehen. Der SLD-Europaabgeordnete Bogusław Liberadzki und die Nowoczesna-Fraktionsvorsitzende  im Sejm, Katarzyna Lubnauer hoben hervor, dass damit die SPD die Führung der Opposition übernehmen werde und nicht die AfD. „Denn die stärkste Oppositionspartei prägt auch die Politik“, so Lubnauer.

Roland Feicht, Leiter des FES-Büros in Warschau

Rom – Zeit der Unsicherheit beginnt

Da auch italienische Politiker und Journalisten Meinungsumfragen lesen können, hat das gestrige Ergebnis in Rom nur begrenzt überrascht. Dennoch wird der Wahlausgang durchaus als Zäsur wahrgenommen: Deutschland wird auf absehbare Zeit weniger stabil und weniger berechenbar sein. Vor allem das schwache Abschneiden der CDU wurde von den italienischen Medien nicht erwartet. In den italienischen Leitmedien dominierte bis gestern eine beinahe hagiographische Bewunderung der großen und ewigen Kanzlerin in Berlin. Das sich aufbauende Unwohlsein wurde entweder nicht wahrgenommen oder ignoriert.

Am Tag danach überwiegt eher die Beschreibung des Resultats und seiner Ursachen, als die Frage, was dieses Ergebnis denn nun für Italien und Europa bedeutet. Die in Teilen der öffentlichen Meinung im Frühjahr gehegten Erwartungen, mit einem Kanzler Schulz werde endlich das Schäublesche Austeritätsdiktat überwunden, hatten sich schon in den letzten Monaten verflüchtigt. Dennoch besteht in manchen Kreisen immer noch die Hoffnung, mit einer neuen Regierung endlich auch einen Wechsel im deutschen Finanzministerium zu sehen. Hier setzt man auf die pro-europäischen Grünen, die den „Euro-Falken“ Schäuble aus dem Amt drängen könnten. In der Summe aber dominiert Skepsis: Mit diesem Ergebnis hat Europa, so die Einschätzung, zunächst einmal einen Stabilitätsanker verloren. Die Hoffnungen, mit einer neuen Bundesregierung und dem Machtwechsel in Paris endlich die Grundlagen für eine weitere europäische Risikovergemeinschaftung und mehr Spielräume bei der Auslegung der Maastricht-Kriterien zu erhalten, sind erst einmal weg. Man richtet sich auf eine längere Zeit der Unsicherheit ein.

Einige Kommentatoren – wie der frühere Ministerpräsident Enrico Letta – erwarten auch Auswirkungen für die italienische Innenpolitik, vor allem für die Regierungspartei PD: Die gestrigen Wahlen haben gezeigt, welche politische Sprengkraft das Thema Migration selbst in einem wohlhabenden und wirtschaftlich florierenden Land wie Deutschland haben kann. In dieser Hinsicht besteht auch weitgehende Einigkeit von linken bis zu rechten Medien, was die Interpretation des Wahlresultats betrifft: Es war die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition, die den großen Verlust der beiden Volksparteien in erster Linie verursacht hat, lautet die Einschätzung.

Ernst Hillebrand, Leiter des FES-Büros in Rom

Washington – Wo ist die Action?

Der amerikanische Deutschlandbeobachter reibt sich verwundert die Augen: Wie, das war’s schon? Kein Lärm, keine persönlichen Beleidigungen, mehr Konsens als Dissens und wo waren eigentlich die Russen?

In Deutschland geht das Wahljahr des weltweiten Populismus zu Ende und hier nimmt man zunächst wahr: Angela Merkel ist als Stabilitätsanker Europas wiedergewählt worden.

Mit wem Angela Merkel eine Koalition bilden wird, ist schon nicht mehr ganz so wichtig, die Themen des Wahlkampfes spielten nur in Expertenkreisen eine Rolle. Zwar profitierte nun auch in Deutschland eine rechte Partei von der populistischen Antimigrations- und Antimuslim- Welle, allerdings traut man der demokratischen Mehrheit in Deutschland zu, dieses Phänomen einzuhegen. Mit diesem Wahlergebnis legt Deutschland vielleicht sogar seine oft zur Schau gestellte moralische Überlegenheit gegenüber den Nachbarländern ab und widmet sich den gleichen Problemfeldern wie viele andere Staaten. Allgemein anerkannt wird immer wieder die Führungsrolle Deutschlands in Europa, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise oder im Kampf gegen den Terrorismus.

Für die Trump-Administration bedeutet die Wiederwahl Merkels, dass sie es weiterhin mit einer ernst zu nehmenden Verhandlungspartnerin in Europa zu tun haben werden. Sie wird sich von den Tiraden des Präsidenten nicht beeindrucken lassen, immerhin hat sie schon drei amerikanische Präsidenten kommen und gehen sehen. Für die inneramerikanischen Gegner der Trump- Regierung ist ihre Wiederwahl ein Hoffnungszeichen, für die meisten Amerikaner einfach nur eine Randnotiz auf Seite 3. Besonders auf den Gebieten Immigration, Klimapolitik und Handel steht die deutsche Politik für das Gegenteil der derzeitigen Trump-Politik. Der auf „America first“ ausgerichteten Außenpolitik Washingtons steht das multilateral orientierte Deutschland gegenüber – spannende Zeiten also für das transatlantische Verhältnis.

Deutschland ist nach dem britischen EU-Ausstiegsvotum eindeutig der wichtigste europäische Verbündete, es wird bei der Reform der EU, der Gestaltung der Brexit-Verhandlungen oder der Zukunft der NATO eine Schlüsselrolle einnehmen.

Präsident Trump konnte zu Kanzlerin Merkel keinen persönlichen Draht entwickeln, aber glücklicherweise sind die transatlantischen Beziehungen stark und haben sich bereits in Krisenzeiten bewährt. Die weltweiten Herausforderungen an das westliche Bündnis werden wohl eher zunehmen, ebenso wie die Erwartungen an Deutschland.

Michael Meier, Leiter des FES-Büros in Washington

Moskau – Oppositionsrolle der SPD wird bedauert

Fast schon einträchtig haben die russischen Medien das gestrige Wahlergebnis in Deutschland kommentiert. Der Wahlsieg von Angela Merkel und der CDU sei eigentlich, in Anbetracht der enormen Verluste, eine Niederlage – das schließt die CSU ein. Das Schicksal der stolzen Volkspartei SPD wird ebenfalls breit debattiert: Während viele Journalisten mit Martin Schulz den richtigen Kandidaten zur richtigen Zeit sahen, aber eine falsche Themensetzung – ein  zu starker Fokus auf „Soziale Gerechtigkeit” und eine zu geringe Hinwendung zu den Sorgen der Bürger im Bereich Zuwanderung, Islam und innere Sicherheit –, haderten einige Betrachter sowohl mit den Themen als auch mit dem Kandidaten. Das kurze Zeitfenster zur Erzeugung einer Wechselstimmung war da, wurde aber verpasst. Der jetzt beschlossene Gang der SPD in die Opposition wird aus außenpolitischer Sicht bedauert, stößt jedoch aus innenpolitischer deutscher Sicht auf Respekt und Verständnis bei den russischen Analysten und Medien.

Der beängstigende Aufstieg der AfD resultiert nach Meinung fast aller Analysten aus der Unfähigkeit der etablierten Parteien, die Ängste und Probleme vieler Menschen ernst zu nehmen. Das Thema Einwanderung und Islam, innere Sicherheit und Integration sei von den beiden großen Parteien nicht adäquat aufgenommen und somit der AfD überlassen worden. In fast allen Artikeln wird die AfD als ultrarechte und extremistische Partei definiert und als Analogie zum „Front National“ in Frankreich.

Breiteren Raum nahmen die Prognosen ein, wie sich die neue Bundesregierung formieren könnte, wie viel Zeit dies in Anspruch nimmt und wer dann neuer Außenminister/neue Außenministerin sein wird. Gleichzeitig geht man davon aus, dass die Leitlinien der deutschen Außenpolitik nun noch stärker im Kanzleramt und durch die Kanzlerin selbst definiert und umgesetzt werden. Keine Illusionen macht man sich in Russland momentan hinsichtlich einer raschen Änderung der deutschen Außenpolitik in Bezug auf die deutsche Russland-Politik in den kommenden Monaten oder Jahren. Die Frage, wie viele Kompromisse die Kanzlerin gegenüber ihren Koalitionspartnern machen muss – und in welchen Bereich – , um eine stabile Regierung für die kommende Legislaturperiode zu schmieden, nimmt ebenfalls Raum in der Berichterstattung ein.

Allgemeiner Tenor ist auch: Alle Vorwürfe und Befürchtungen im Vorfeld der Wahlen, dass Russland von außen Einfluss auf die Bundestagswahlen nehmen würde, haben sich als unbegründet herausgestellt. 

Fazit aus russischer Sicht: Das Erwartbare ist eingetreten, das Wünschenswerte muss warten.

Mirko Hempel, Leiter des FES-Büros in Moskau

Peking – Kommunisten halten Oppositionsrolle der SPD für richtig

In China wurde die Bundestagswahl nur in Expertenkreisen mit größerem Interesse verfolgt. Zu klar schienen die Verhältnisse zu sein, da der SPD bereits seit Monaten keine ernsthaften Chancen auf einen Machtwechsel zugerechnet wurden. In der Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und in der chinesischen Regierung setzte man deshalb schon früh auf Angela Merkel, die als verlässliche und berechenbare Partnerin gilt. Auch in der allgemeinen Bevölkerung ist die Bundeskanzlerin beliebt und letztlich die einzige bekanntere aktive deutsche Politikerin. Peking setzt darauf, dass Deutschland auch weiterhin die Rolle als Stabilitätsgarant in einer als krisenanfällig wahrgenommenen Europäischen Union spielen wird.

Anders als der vergangene Präsidentschaftswahlkampf in den USA mit seiner geradezu exzessiven Dramatik vermochte der Bundestagswahlkampf kein besonderes Interesse in der chinesischen Bevölkerung zu wecken – sofern die Chinesen überhaupt die Möglichkeit hatten, über die Auslandsmedien den Wahlkampf zu verfolgen. Der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz war bis zuletzt nur Deutschland-Kennern ein Begriff. Einzig die Sorge um den nun auch in Deutschland erstarkenden Rechtspopulismus konnte ansatzweise die verbreitete Wahrnehmung durchbrechen, dass das Wahlergebnis in einem „Weiter so“ unter Führung von Angela Merkel bestehen würde. Der Wahlerfolg der AfD auf der einen, und die massiven Stimmenverluste insbesondere für die Unionsparteien auf der anderen Seite, haben schließlich doch viele Chinesen überrascht, aber es überwiegt Erleichterung über die wahrscheinliche Fortsetzung der Kanzlerschaft Angela Merkels. Von der neuen Bundesregierung erwartet die chinesische Führung eine weitere Vertiefung der so genannten „umfassenden strategischen Partnerschaft“ zwischen beiden Ländern. Zunehmend wird es jedoch auch darum gehen, Interessendivergenzen beispielsweise in den Handelsbeziehungen auszutragen, ohne die bilateralen Beziehungen insgesamt zu gefährden.

In der KPCh, die in Deutschland nur mit der SPD seit Jahrzehnten verschiedene Parteiendialoge unterhält, war der Rat an die SPD vor der Wahl übrigens klar: Bloß keine Fortsetzung der Großen Koalition, um nicht weiter zu verzwergen.

Christoph Pohlmann, Leiter des FES-Büros in Peking