Auch wenn bei den Midterm Elections, den Wahlen zum US-Kongress, viele Dinge für einen Sieg der Republikaner sprechen – eine Wirtschaft, die den Demokraten wie ein Mühlstein um den Hals hängt, Angst in der Wählerschaft vor Kriminalität und einem chaotischen Einwanderungssystem, Präsident Joe Bidens niedrige Zustimmungsraten –, scheinen sie auch enorme Risiken einzugehen: Einige ihrer Kandidatinnen und Kandidaten auf den Wahlzetteln schätzen viele Beobachter als zu unerfahren, zu extrem oder skandalbelastet ein, um zu gewinnen.
Aber diese Beobachter vergessen, dass die Republikaner bereits 2016 ein enormes Risiko eingingen, als sie Donald Trump zum Präsidentschaftskandidaten nominierten. Und dass die Republikaner damit nicht nur eine krachende Niederlage an den Wahlurnen vermieden und die Wahl gewonnen haben, sondern auch dass diese Nominierung der Beginn einer Renaissance für die Republikanische Partei war. Trumps Ansatz – fröhlicher Kulturkampf auf der Grundlage konservativer Grundprinzipien – brachte sowohl kurzfristige politische Erfolge als auch lang ersehnte Siege für die Basis seiner Partei.
Dazu zählen Steuersenkungen, die Ernennung einer Reihe konservativer Bundesrichter, eine Mehrheit am Obersten Gerichtshof, die die Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht Roe vs. Wade aus dem Jahr 1973 aufhob, und die Verlegung der amerikanischen Botschaft in Israel nach Jerusalem. Trump erfreute auch die republikanische Rechte, indem er der Partei einen neuen Fokus auf die Einwanderungspolitik gab und ihre Außenpolitik von Kriegen und Nation Building im Nahen Osten wegverlagerte.
Die Strategie der Republikanischen Partei für das Jahr 2022 besteht darin, den Ansatz von Trump entschlossen weiterzuverfolgen. Ihre Kandidaten für den US-Senat in Pennsylvania und Georgia, Herschel Walker und Mehmet Oz, sind Prominente ohne politische Erfahrung, ebenso wie Kari Lake, eine ehemalige Nachrichtensprecherin aus dem Großraum Phoenix, die jetzt republikanische Kandidatin für das Amt des Gouverneurs von Arizona ist.
Die Wählerinnen und Wähler der Partei sind von der populistischen Pro-Trump-Position überzeugt.
Blake Masters, der für den US-Senat in Arizona kandidiert, hat noch nie ein Amt bekleidet und ist vielleicht am besten für seine Verbindung zu Peter Thiel bekannt, dem milliardenschweren Mitbegründer von PayPal, für den Masters einst arbeitete und mit dem er 2014 das Buch Zero to One verfasste. Der republikanische Kandidat für den US-Senat in Ohio, J. D. Vance, der ebenfalls Thiel nahesteht und zum ersten Mal für ein Amt kandidiert, ist berühmt für seinen Bestseller, die 2016 erschienenen Memoiren Hillbilly-Elegie.
Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im US-Senat, mag die „Qualität der Kandidaten“ in Frage stellen, aber dass sich die Republikanische Partei auf scheinbar risikoreiche Kandidatinnen und Kandidaten einlässt, sei ein Zeichen von Selbstvertrauen, nicht von Schwäche. Die Wählerinnen und Wähler der Partei sind von der populistischen Pro-Trump-Position so überzeugt, dass sie diesen gegenüber erfahreneren und weniger kontroversen Persönlichkeiten den Vorzug gegeben haben. Diese Neuerfindung präsentiert den Wählern bei den Zwischenwahlen etwas, das frisch und neu aussieht in einer Zeit, in der die alten Parteiidentitäten, Normen und Institutionen schwach und ohnmächtig erscheinen.
Joe Biden ist ein lebendes Symbol dafür. Im Jahr 2008 haben sich die Demokraten als die Partei der Hoffnung und des Wandels präsentiert. Präsident Biden ist weit davon entfernt, ein Gesicht des Wandels zu sein, und die Angst vor Trump hat die Botschaften der Partei weit mehr geprägt als irgendein Gefühl der Hoffnung. Die Demokraten sind in der Defensive und das, was sie verteidigen, scheint gerade zu verfallen – ein politischer Konsens, der die Amerikaner enttäuscht und weder die Forderungen der Linken nach Gerechtigkeit noch die Erwartungen der Mittelschicht nach Wirtschaftswachstum und Stabilität im In- und Ausland erfüllt hat.
Unter diesen Bedingungen kann das Risiko attraktiver sein als eine hoffnungslose Defensivhaltung. Und die Grand Old Party ist auf eine Weise aufregend – im Guten wie im Schlechten –, wie es die Demokraten seit der Wiederwahl Barack Obamas nicht mehr waren. Kühnheit zahlt sich aus, vor allem wenn die grundlegenden Bedingungen einer Zwischenwahl die Risiken kleiner machen, als sie scheinen.
Unter diesen Bedingungen kann das Risiko attraktiver sein als eine hoffnungslose Defensivhaltung.
Kandidaten wie Blake Masters, Herschel Walker und Kari Lake waren selbst in einigen Kreisen der Republikanischen Partei umstritten. Sie vertreten extrem rechte politische Positionen und schreckten nicht davor zurück, sich mit Trump zu verbünden – keine Selbstverständlichkeit in einer Wahlperiode, in der das Verhalten des ehemaligen Präsidenten während der Unruhen im US-Kapitol am 6. Januar 2021 Gegenstand laufender Kongressanhörungen ist und sein Umgang mit als geheim klassifizierten Unterlagen in seiner Residenz in Mar-a-Lago vom Justizministerium geprüft wird. Mit Ausnahme von Walker standen diese Kandidaten in ihren Vorwahlen erfahrenen republikanischen Amtsinhabern gegenüber.
Es sieht zunehmend so aus, als würden sich die Wagnisse der Partei auszahlen. Ermutigt durch die jüngsten Umfragen erwarten die Republikaner, dass der rechtspopulistische Ansatz von 2016 zu Zwischenergebnissen wie 1994 führen wird, als die Partei beide Kammern des Kongresses gewinnen konnte. Kritikerinnen der Trump’schen Neuerfindung der Republikanischen Partei könnten sich jedoch fragen, ob der Erfolg – vorausgesetzt, er stellt sich ein – nicht eher trotz als wegen Trump und seines Politikstils eintritt.
Demokraten, die eine „rote Welle“ befürchten, können sich mit dem Gedanken trösten, dass nichts, was sie hätten tun können, etwas an den grundlegenden Kräften geändert hätte, die den Republikanern in diesem Wahlzyklus einen Vorteil verschaffen. Schließlich verliert die Partei des Präsidenten bei Zwischenwahlen fast immer Sitze.
Wenn die Demokraten unter Bill Clinton 1994 und die Republikaner unter George W. Bush 2006 sowohl das Repräsentantenhaus als auch den Senat verlieren konnten, so mag es wie Schicksal erscheinen, dass die Demokraten ihre hauchdünnen Mehrheiten in beiden Kammern unter Präsident Biden in diesem Jahr verlieren werden. Auch bei Barack Obamas ersten Zwischenwahlen im Jahr 2010 verloren die Demokraten das Repräsentantenhaus und bei seinen zweiten im Jahr 2014 den Senat.
Darüber hinaus werden einige Republikaner, die sich Trump widersetzt haben, wie Gouverneur Brian Kemp aus Georgia, am 8. November wohl ebenfalls gut abschneiden. Kritikerinnen des ehemaligen Präsidenten in der Partei könnten also meinen, dass die Republikanische Partei in diesem Umfeld in jedem Falle gut abschneide – vielleicht sogar noch besser ohne die neue populistische Rechte.
Schließlich verliert die Partei des Präsidenten bei Zwischenwahlen fast immer Sitze.
Diese Gedanken sind ein Trost für diejenigen, die sich wünschen, dass die amerikanische Politik zu dem zurückkehrt, was vor 2016 als normal galt. Aber sie ändern nichts an der entmutigenden Realität, mit der sowohl die Demokraten als auch die Anti-Trump-Republikaner konfrontiert sind: Die Republikanische Partei hat entschieden, sich nach Trumps Vorbild umzugestalten, und die von ihm geschaffene politische Gestalt hat gezeigt, dass sie gewinnen kann. Sie hat 2016 das Weiße Haus gewonnen und trotz der Niederlagen von 2018 und 2020 die Republikanische Partei nicht losgelassen.
In diesem Jahr sind die republikanischen Kongress- und Gouverneurskandidaten Trump ähnlicher als je zuvor, angefangen bei ihren Ansichten über Einwanderung und Außenpolitik bis hin zu ihrer Verachtung für das republikanische Parteiestablishment aus der Zeit vor Donald Trump. Erfahrung zählt weit weniger als früher, zumindest bei den republikanischen Vorwahlen, während Kandidaten wie Herschel Walker, Mehmet Oz und Kari Lake darauf hindeuten, dass die Anziehungskraft von Prominenten in der republikanischen Politik und damit in der US-Politik insgesamt in Zukunft eine größere Rolle spielen wird.
Die Kandidaten J. D. Vance und Blake Masters zeigen ihrerseits, dass die neu erfundene republikanische Partei hochtalentierte und intelligente junge Kandidatinnen und Kandidaten anzieht, die wahrscheinlich den ideologischen Wandel der Partei weiter beschleunigen werden. Für ihre Anhängerinnen und Anhänger und vielleicht auch für eine breitere, neugierige Öffentlichkeit ist die Republikanische Partei aufregend geworden; sie zeigt die Fähigkeit, sich zu verändern. Obwohl die Demokraten in diesem Wahlzyklus selbst einige Risiken eingegangen sind, etwa mit John Fetterman, dem Kandidaten für den US-Senat in Pennsylvania, wirkt die Partei immer noch eher reaktiv als kreativ.
Die Republikanische Partei hat eine Reihe rechter Kandidaten nominiert und zur Wahl gestellt, die die amerikanische Politik in den kommenden Jahren mit oder ohne Trump prägen werden. Kurz: Die Republikaner gehen unternehmerische Risiken ein und ergreifen die Initiative. Und während die Bedingungen der Zwischenwahlen 2022 es ihnen erlauben, daraus Kapital zu schlagen, ist es die politische Dynamik selbst, die für die Zukunft am entscheidendsten ist.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der New York Times.
Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer