Deutschlands Beziehungen zu Afrika und seinen 54 Ländern scheinen auf dem Nullpunkt angekommen zu sein: kaum Interesse, kaum Bewegung und immer die gleichen Themen. Dabei sollte dem Kontinent nicht zuletzt aufgrund der Migrationsbewegungen sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nur das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung macht sich Luft mit deutlichen Äußerungen und fordert eine andere Politik und wesentlich mehr Finanzmittel ein: Fair Trade, Fluchtursachen anpacken, die Armut wirksam durch die Förderung der Landwirtschaft bekämpfen, die regionalen Institutionen stärken, die Folgen des Klimawandels mindern helfen. Deutschland braucht eine aktive Afrikapolitik. Dabei geht es aber nicht nur um Flucht und Migration; Afrika befindet sich in einem großen Umbruchprozess mit zerfallenden Staaten, der spürbare Auswirkungen auf Europa und auch Deutschland haben wird.

Für eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik ist es zunächst von Belang, die Differenzierungen auf dem afrikanischen Kontinent, seine unterschiedlichen Entwicklungstrends und seine großen Herausforderungen systematisch in Augenschein zu nehmen. Der Kontinent teilt sich wenigstens in drei große Ländergruppen: die Aufstiegsländer, die in den letzten Jahren zu Mitteleinkommensländern geworden sind und die als Hoffnungsträger bezeichnet werden, etwa die Seychellen, Mauritius, Botswana, Südafrika, die Kapverden und auch Ghana, Kenia, Nigeria, Angola und Gabun. Die zweite Gruppe umfasst die Niedrigeinkommensländer, und die dritte jene Länder, die durch Bürgerkriege, tiefe politische Krisen und Staatszerfall gekennzeichnet sind. Zu dieser Ländergruppe zählen zahlreiche Sahelländer sowie Somalia, Eritrea, Burundi, Gambia und Guinea-Bissau. Sie haben ausgesprochen schlechte Zukunftsperspektiven bei zugleich relativ hoher Armut.

Fünf Themenfelder und Ansatzpunkte für eine neue fokussierte Afrikapolitik:

 

Bekämpfung der Fluchtursachen

Die deutsche Außenpolitik kann an die afrikanischen Regierungen appellieren, aber damit ist es nicht getan. Es bedarf eines Umdenkens, ganz im Sinne des Coase-Theorems: Wenn die Krisen zunehmen, wenn in einer Region ein weiterer Verfall und Kollaps droht, dann werden die eigentlichen Verantwortlichen nicht die Verantwortung übernehmen, sondern diejenigen, die die Folgen zu tragen haben. Daher bedarf es keiner Politik höherer Mauern sondern einer Migrations- und Fluchtpolitik, die sich an die Milderung der Flucht- und Migrationsursachen macht. Bislang liegen kaum akzeptable Vorschläge vor, und schon gar nicht die erforderlichen Finanzmittel in Höhe von 100 Milliarden Dollar, um in Kooperation mit gutwilligen afrikanischen Staaten gegenzusteuern.

Flüchtlingscamps in Nordafrika oder in Mali aufzustellen, geht an den Realitäten vorbei. Diese werden von Migranten und Flüchtlingen eher gemieden. Sie wollen ja nach Europa und nicht nach Marokko oder Algerien. Daher wird eine pro-aktive Politik für Migrationswillige zu erarbeiten sein. Ein erster Schritt kann sein, dass Deutschland Signale nach Afrika sendet: Wir nehmen euch auf, aber ihr sollt auch wissen, es werden nicht alle aufgenommen. Über die Botschaften könnten Migranten einen Einwanderungsantrag stellen. Zumindest könnten einige der Migranten klar erkennen, dass die Reise möglicherweise nicht lohnt und sie damit die hohen Kosten des Transfers nach Europa, das in die Taschen der Mafiaorganisationen fließen, sparen. Vor allem in Bürgerkriegsländern ist diese Lösung natürlich nicht tragfähig. Die meisten Flüchtlinge fliehen daher innerhalb Afrikas in sichere Länder, werden in großen Flüchtlingscamps aufgenommen und versuchen weiterhin nach Europa zu gelangen. In diesen Flüchtlingslagern kann die internationale Gemeinschaft Anreizsysteme für die Rückkehr schaffen, beispielsweise Starthilfen bei der Rückkehr ins Heimatland, sobald dort wieder Frieden eingekehrt ist.

 

Bekämpfung des Terrorismus

Der deutschen Afrikapolitik mangelt es an einem Konzept gegen die Ausbreitung des Terrorismus, der vor allem im gesamten Sahel auf dem Vormarsch ist. Ohne Zweifel kann der Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln wirksam in die Defensive gedrängt werden – wie der aussichtslose Kampf der nigerianischen Armee zeigt. Es bedarf eines umfassenden Sicherheits- und Entwicklungskonzepts, das vor allem von den Staaten und den afrikanischen regionalen Organisationen in Angriff genommen werden muss. Hier jedoch besteht weitgehend eine Leerstelle, denn die afrikanischen Regierungen sind kaum bereit und in der Lage, entsprechend zu agieren. Was kann also deutsche Politik beitragen, wo wären Stellschrauben anzuziehen, um den Gefahren gemeinsam und wirksam zu begegnen?

Die aktuellen Krisen und Konfliktherde im Sahel verweisen auf einen engen Zusammenhang zwischen fragiler Staatlichkeit und sozialen und politischen Konflikten. Weder die UN-Missionen, die Streitkräfte einzelner afrikanischer Länder und die der Afrikanischen Union, noch die Frankreichs und der USA werden in der Niederschlagung von Gewalt erfolgreich sein, wenn sie nicht die Ursachen für die immer wiederkehrenden Unruhen, Jugendaufstände und politisch-religiösen Auseinandersetzungen erkennen. Entscheidend wird es also sein, dass Deutschland langfristig einen wesentlichen Beitrag zu einer afrikanischen Sicherheitsarchitektur leistet und damit die Afrikanische Union befähigt, die Krisen und Konflikte in Afrika eigenständig zu lösen. Erforderlich sind komplementäre Maßnahmen zur Erzeugung wirtschaftlicher Dynamik und Beschäftigungsmöglichkeiten, der Aufbau verlässlicher Institutionen wie Krankenhäuser und Schulen sowie die Wiedergewinnung des Vertrauens der Bevölkerung und die Beseitigung von Unsicherheit.

 

Deutschland und Europa als Zivilmacht

Viele afrikanische Länder werden von autoritären Regimes regiert, wie etwa Äthiopien, Angola, Togo, Sudan, Eritrea, Kamerun und Zimbabwe. Hier bedarf es konzeptioneller Neuüberlegungen, die Fragen von Rechtsstaatlichkeit, Partizipation, Menschenrechtsverletzungen und Spielräume für zivilgesellschaftliche Organisationen aufgreifen. Wie kann beispielsweise die Kooperation mit Äthiopien und Angola vertieft werden, ohne in die Falle des Augen-zu-und-durch zu tappen?

Für die deutsche Politik besteht die vornehmliche Aufgabe darin, keine Strategie der Geopolitik – wie sie China und die USA in Afrika betreiben – zu verfolgen. Eine neue Afrikapolitik kann nur gelingen, wenn Deutschland im Rahmen der EU gemeinsam mit afrikanischen Ländern ein neues zivilmachtorientiertes Konzept entwickelt. Auch wird die Bundesregierung sich mit der Frage zu befassen haben, dass zahlreiche afrikanische Länder sich von Europa abkehren. Diese ist eindeutig im Sudan, Südsudan, Zimbabwe, Angola und Südafrika zu erkennen. Welche Konzeption hat die Bundesregierung gegenzusteuern? Insbesondere das Wegdriften Südafrikas sollte Anlass zur Sorge und zu einer Neuorientierung der deutschen Politik geben.

 

Die Wirtschaftsinteressen koordinieren

Deutschland hat in Afrika vor allem Wirtschaftsinteressen. Eine eindeutige Fokussierung der deutschen Wirtschaftskooperation auf die großen demokratischen Länder Nigeria, Südafrika, Kenia, Tanzania und Ghana wäre geboten. Von größter Bedeutung ist ein koordiniertes Vorgehen, das Handel mit Wirtschaftsentwicklung verbindet, das heißt Förder- und Anreizprogramme für die Ausweitung industrieller Cluster, der Aufbau von Industriezonen, die Integration von lokalen Produzenten in globale Wertschöpfungsketten, die lokale Verbindung von Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie und dadurch eine Vermeidung der einseitigen Ausrichtung der Länder auf Rohstoffproduktion. Nur durch diese beschäftigungsintensiven Tätigkeiten kann die grassierende Arbeitslosigkeit reduziert werden. Auch sollte Deutschland die Wünsche der afrikanischen Länder berücksichtigen: Die meisten afrikanischen Entwicklungsländer wollen neue Kooperationsformate wie Energie- und Technologiepartnerschaften, Kulturkooperation und gemeinsame Agenden für Sicherheitsfragen, Nachhaltigkeit, Energiewende, Jugendarbeitslosigkeit und Industrieentwicklung. Diese Ansatzpunkte sollten ernsthaft geprüft werden und sind allemal wichtiger als alle Konzepte zur Bekämpfung der Armut.

 

Die Rolle des Auswärtigen Amtes

Dem Auswärtigen Amt kommt die Aufgabe zu, die verschiedenen internationalen Aktivitäten zu führen, sie zu justieren, miteinander zu verknüpfen und sicherzustellen, dass deutsche auswärtige Politik mehr ist als die Summe ihrer Ressortpolitiken. Dafür benötigt das Auswärtige Amt dringend eine Finanzausstattung in Form von Gestaltungsfonds in Milliardenhöhe, damit Steuerung möglich wird. Deutschland sollte eine abgestimmtere Agenda verfolgen, in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammengehen mit Entwicklungskooperation, Umwelt-, Bildungs- und Forschungskooperation, Handels- und Investitionsabkommen und Maßnahmen gegen Flucht und Migration.

Die Afrika-Leitlinien aus dem Jahr 2014 verdeutlichen, wie notwendig die Entwicklung einer neuen Afrikastrategie ist. Bevor jedoch eine schnelle Themensetzung durch einzelne engagierte Akteure erfolgt, sollten die involvierten Ministerien nach dem Vorbild des Auswärtigen Amtes und der Debatte um die deutsche Außenpolitik einen Diskurs zur deutschen Afrikapolitik initiieren. Das Auswärtige Amt sollte in diesem Prozess die führende Rolle einnehmen. Ein einfaches „Weiter so“ wird den Realitäten in den verschiedenen Staatengruppen, den unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten, den zahlreeichen Krisenphänomenen und den Vorstellungen der afrikanischen Länder nicht gerecht.