Die Große Koalition hat eine überfällige Debatte über die Ausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik angestoßen. Die Diskussion unter der Überschrift „mehr Verantwortung übernehmen“ ist ein wichtiger Schritt, der durch die ins Auge gefasste Ausweitung des deutschen militärischen Engagements in Mali, der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) und Somalia beschleunigt wird.
Keinesfalls darf sich die öffentliche Debatte – wie leider bereits absehbar - auf das Militärische, sprich Bundeswehreinsätze, verengen.
Aber was heißt „mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen“ im Klartext? Im Kern bedeutet es zunächst einmal politische Einflussnahme und in Konsequenz politische Risikoteilung und (Mit)Haftung für die Folgen, im Positiven wie im Negativen. Es geht letztlich um eine sicherheitspolitische Einflussnahme auf der Basis einer immer wieder fallbezogen zu definierenden Balance zwischen deutschen Interessen und Wertvorstellungen sowie den legitimen Erwartungen der Partner. Mit anderen Worten: es geht um eine stärkere verantwortungsethische Einflussnahme und damit auch um eine praktische Einmischung in internationale Konflikte mit zivilen, und wenn unabdingbar, auch mit militärischen Mitteln. Keinesfalls darf sich die öffentliche Debatte – wie leider bereits absehbar - auf das Militärische, sprich Bundeswehreinsätze, verengen.
Die Kluft zur Öffentlichkeit
Die meisten Äußerungen in Politik und Medien zur Begründung eines verstärkten deutschen militärischen Afrika-Engagements bewegen sich auf der politisch-moralischen Ebene oder weisen beispielsweise auf das Risiko von Migrationsbewegungen hin. Umfragen bestätigen allerdings auch aktuell wieder eine überwiegend skeptische bis ablehnende Haltung in der Bevölkerung gegenüber einem solchen Engagement. Die hier aufscheinende Kluft zwischen politischer Willensbekundung, die etwa auch auf der Münchener Sicherheitskonferenz geballt wahrnehmbar war, und der öffentlichen Meinung sollte nicht bagatellisiert werden: Für die notwendige öffentliche Unterstützung ist eine differenzierte und überzeugende Begründung notwendig.
So bedarf etwa der Hinweis auf mögliche massive Flüchtlingsströme in die europäischen Länder einer Untermauerung. Es wäre ja auch möglich, dass die Flüchtlingsströme aus Afrika über das Mittelmeer und die Kanaren nach Norden primär eine Folge der schlechten Regierungsführung und der wirtschaftlichen Misere in afrikanischen Ländern sind. Oder dass sowohl Flüchtlingsströme als auch Bürgerkriege die Folge gravierender ökonomischer Ungleichheiten sind. Natürlich gibt es massive Flüchtlingsströme aus Kampfzonen heraus. Von denen sind aber weit überwiegend die ohnehin fragilen Nachbarländer betroffen. Eine massive humanitäre Unterstützung und der Schutz dieser Menschen in den Nachbarländern wäre dann die erste Antwort darauf.
Keine Beteiligung ohne ganzheitliche Analyse
Militärische Ausbildungshilfe und Ausbildungsunterstützung für afrikanische Streitkräfte, die von legitimen Regierungen hinreichend gut geführt werden, ist grundsätzlich ein zweckmäßiger Beitrag, um fragile Staaten zu stabilisieren - im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe. Eine solche Unterstützung für afrikanische Staaten existiert allerdings seit vielen Jahren, einschließlich der Ausbildung von Offizieren in den USA und Europa und auch in der Bundeswehr. Die teilweise schwachen Ergebnisse, beispielsweise auch in Mali, zeigen jedoch: militärische Ausbildungsunterstützung ist nur dann sinnvoll, wenn sie in einen politisch-strategischen „Comprehensive Approach“ eingebettet wird, der alle relevanten Politikbereiche umfasst. Militärische Ausbildung in fragilen Streitkräften muss sich außerdem mit den inneren Führungssystem und der Funktionsfähigkeit der politischen Kontrolle über die Streitkräfte befassen. Denn es wäre fatal, wenn sich die internationale Ausbildung auf die praktischen Fähigkeiten der Soldaten konzentriert, während in den Hinterköpfen der Militärführung bereits der nächste Putsch oder die militärische Unterdrückung von Minderheiten angedacht wird.
Die schwache Erfolgsbilanz des zwölfjährigen Afghanistan-Einsatzes der NATO dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass es von Anfang an nicht gelungen ist, den Konflikt in seiner ganzen Komplexität zu verstehen.
Jeder deutschen Beteiligung an einer Krisenintervention mit militärischen Kräften, und sei es auch nur im Ausbildungs- und Logistikbereich, sollte eine eigene profunde Analyse der Konfliktsituation und der Konfliktursachen vorausgehen. Es bedarf stets eines eigenen durchdeklinierten strategischen Ansatzes, der gleichwohl für die multilaterale Abstimmung in UN, NATO und EU offen sein muss. So müssen Zielformulierungen konkret, überprüfbar und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit umsetzbar sein. Zugleich jedoch dürfen sie nicht als unverrückbar im Sinne eines Dogmas betrachtet werden. Die schwache Erfolgsbilanz des zwölfjährigen Afghanistan Einsatzes der NATO dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass es von Anfang an nicht gelungen ist, den Konflikt in seiner ganzen Komplexität und in seinen ursächlichen Zusammenhängen und Wirkungsketten zu verstehen und darauf eine kohärente, Erfolg versprechende Interventionsstrategie aufzubauen. Wenn die Diagnose nicht stimmt, kann auch die Therapie nicht hinreichend wirken.
Der Fall Mali
Haben wir etwa im Blick auf Mali, die Zentralafrikanische Republik und Somalia bereits ein ausreichendes Hintergrundwissen gesammelt und die entscheidenden Konflikttreiber erkannt, verstanden und berücksichtigt? Und sind wir uns mit unseren Partnern, v.a. den Franzosen, in unseren Einschätzungen einig? Es lässt sich schwer darüber hinweg sehen, dass es Frankreich trotz permanenter politischer, wirtschaftlicher und militärischer Präsenz und Einflussnahme nicht gelungen ist, in den mehr als fünf Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit eine nachhaltige Stabilisierung in Mali und der Zentralafrikanischen Republik zu erreichen.
Mali ist eines der ärmsten und reichsten Länder Afrikas zugleich. Der Armut und Unterentwicklung großer Teile der Bevölkerung steht ein großer Reichtum an Bodenschätzen vor allem im Norden des Landes gegenüber. Mali ist bereits heute ein großer Goldexporteur, zahlreiche internationale Rohstoffunternehmen explorieren begehrte Rohstoffe wie Öl, Gas und Eisenerze. Eine zentrale Ursache für die Armut Malis ist daher wohl die offenbar seit Jahren ineffiziente Regierungsführung in der Hauptstadt Bamako, die keinen wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich zwischen dem Süden und Norden des Landes zustande gebracht hat – trotz jahrelangem Beifall der internationalen Geber in Sachen Good Governance.
Was muss, was geht, was legitimiert?
Jeder militärische Einsatz zur Stabilisierung des Landes muss also in ein tragfähiges politisches, wirtschaftliches und soziales Entwicklungskonzept eingebettet sein. Hierzu gehört, dass die Art der bisherigen Regierungsführung grundlegend verändert, der Reichtum des Landes gerechter verteilt und die verbreitete Korruption eingedämmt wird. Trauen sich die intervenierenden Mächte, diese Konfliktursachen, in die auch internationale Konzerne verflochten sind, anzugehen? Ist für einen solchen umfassenden und längerfristigen Ansatz wirklich ausreichend internationaler politischer Wille vorhanden? Die Bundesregierung müsste auch solche Fragen und Aspekte bi- und multilateral aufnehmen und sich stärker in die gesamtpolitische Konfliktlösung einmischen, wenn sie mit signifikanten zivilen und militärischen Kräften in Mali präsent sein will.
Wäre „Frankreich helfen“ bzw. eine Verbesserung des Verhältnisses zu Frankreich ein Hauptmotiv des deutschen Engagements in Mali, würde die Bundesregierung in eine neue Kultur der Zurückhaltung gleiten, nämlich der diplomatischen Zurückhaltung gegenüber den französischen nationalen Interessen in Afrika und den französischen Stabilisierungsvorstellungen für diese Länder. Es wäre auch im Blick auf die wichtige deutsch-französische Freundschaft und Kooperation in Europa nicht gut, lediglich als „Beifahrer“ der Franzosen in einen solchen Einsatz zu gehen, ohne bereit zu sein, sich auf die gemeinsame Entwicklung einer Politik einzulassen, die den Stabilisierungskurs und dessen strategische Parameter bestimmt. Ein solches Versäumnis wäre umso brisanter, weil der Marsch der Rebellen aus dem Norden des Landes auf die Hauptstadt Bamako Anfang 2013 auch eine indirekte Folge der vom damaligen französischen Präsidenten Sarkozy initiierten Luftoperation der NATO gegen Libyen war. Die Tuareg-Söldner Gaddafis waren nach dem Regimewechsel in Libyen nach Mali ausgewichen und hatten dort die Rebellion gegen die schwachen malischen Regierungstruppen maßgeblich unterstützt.
Aufklärung gegen die Kluft zur Öffentlichkeit
Ein hinreichendes Verständnis der Zusammenhänge in Mali fällt in der deutschen Öffentlichkeit auch deshalb schwer, weil sich das internationale Krisenmanagement auf verschiedene Operationen und Missionen verteilt, die unterschiedliche Bundestagsmandate mit unterschiedlichen Verlängerungsterminen erfordern. So sind in Mali neben den in nationaler Verantwortung agierenden französischen Truppen, die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSMA) und die Ausbildungsunterstützungsmission der Europäischen Union (EUTM) im Einsatz, beide bereits heute mit deutscher Beteiligung. Die französischen Truppen und die meist afrikanischen MINUSMA-Soldaten haben einen Stabilisierungs- und Kampfauftrag im Norden Malis, während die EUTM in Zentral-Mali Streitkräfte ausbildet. Den Schutz der EUTM-Ausbilder sollen künftig dem Vernehmen nach Bundeswehreinheiten übernehmen. Mit einer Schutzfunktion für die EUTM müssten dann erstmals auch deutsche Kampftruppen ins Land gebracht werden. Die Erwartungen Frankreichs dürften bereits heute deutlich über diesen Beitrag hinausgehen.
Eine komplette Destabilisierung Nordafrikas hätte auch erhebliche strategische Auswirkungen auf Europa – und würde damit direkt auch deutsche sicherheitspolitische Interessen berühren.
Schließlich darf die Öffentlichkeit auch Analysen und Aussagen der Bundesregierung zur Abschätzung der längerfristigen Einsatzrisiken erwarten. Eine vorausblickende Risikoabschätzung ist bei allen militärischen Einsätzen von Anfang an unabdingbar, denn erfahrungsgemäß werden die meisten Fehler zu Beginn gemacht. Wie steht es um das Risiko einer schleichenden Ausweitung des bewaffneten Einsatzes („mission creep“), falls es nicht gelingen sollte, eine Rückkehr der islamistischen Rebellengruppierungen in den Norden Malis zu verhindern? Der Stabilisierungseinsatz könnte in diesem Fall in einen länger anhaltenden asymmetrischen Konflikt abgleiten, mit der möglichen Folge eines verstärkten politischen Drucks auf Deutschland, sich auch in den Kampfzonen zu beteiligen. Auch die Waffenströme an islamistische Rebellen müssen analysiert und eingedämmt werden, einschließlich der Akteure im Hintergrund. Zudem dürfte die mit Rebellen verwobene organisierte Kriminalität im Norden Malis und im Sahel einen Risikofaktor darstellen, der sorgfältig abgeschätzt werden muss – auch mit Blick auf etwaige destabilisierende Folgen für den nördlichen Nachbarn Algerien. Eine komplette Destabilisierung Nordafrikas hätte auch erhebliche strategische Auswirkungen auf Europa – und würde damit direkt auch deutsche sicherheitspolitische Interessen berühren.
Fokus auf den zivilen Fußabdruck
Wenn der Schlüssel zur Stabilisierung Malis wie beschrieben im Politisch-Ökonomisch-Sozialen liegt, wäre überdies in der Öffentlichkeit zu kommunizieren, wie der deutsche zivile Fußabdruck in Mali aussieht, d.h. wie groß der personelle deutsche Beitrag im Bereich des staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbaus aussieht. Gerade in diesen zentralen zivilen Sektoren ist, um einmal einen alten militärischen Spruch zu benutzen, „nicht kleckern, sondern klotzen“ angesagt. Leider wird darüber in der Öffentlichkeit viel zu wenig geredet.