Donald Trump hat die Signale richtig verstanden. Die Welt ist in Unordnung, und die USA können nicht allein für das Aufräumen zuständig sein. Zum einen bedarf das eigene Land präsidialer Aufmerksamkeit für die Innenpolitik. Zum anderen gibt es genügend andere demokratische und wohlhabende Staaten, die sich ebenfalls mit den internationalen Aufräumarbeiten beschäftigen sollten. Freilich behalten sich die USA auch weiterhin vor, Prioritäten und Ziele zu definieren und diese durchzusetzen. Denn wenn es nicht Washington täte, so ein Grundverständnis in den USA, dann würden andere Staaten die Leerstellen füllen – eine unvorstellbare Welt für jeden amerikanischen Präsidenten.
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Was wissen wir – oder was glauben wir zu wissen – über die amerikanische Außenpolitik unter einer zweiten Trump-Administration? Der Anspruch der America First-Bewegung darf nicht mit einem America Alone verwechselt werden. Ein Isolationismus der USA ist nicht zu erwarten. Auch in Zukunft werden sich die USA aktiv in die internationale Politik einmischen. Dabei wird Trump stets darauf bestehen, dass sein Land am Ende eines politischen Prozesses besser dasteht als zuvor. Auf den eigenen Vorteil haben natürlich alle Administrationen geschaut, auch sein Vorgänger Joe Biden. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass Trump vor allem auf kurzfristige Erfolge setzen wird, die er sich rasch ans Revers heften und seinem Wahlvolk präsentieren kann.
Der amerikanische Nachrichtendienst Axios beschreibt Trumps Politik als „roh transaktional“, also rein geschäftsorientiert. Damit ist gemeint, dass es vorrangig um Abschlüsse geht, die in erster Linie im Interesse der USA und mit einem für sie sehr guten Ergebnis enden. Die Interessen von Partnern oder Allianzen werden dabei bewusst in den Hintergrund gedrängt. Dieses Vorgehen ist nicht untypisch für Großmächte, die Unvorhersehbarkeit als zentrales Element ihrer Politik betrachten. Allerdings sind Trumps persönliche Interessen nicht immer deckungsgleich mit denen der USA. Dieses Vorgehen wird von anderen Staaten gefürchtet, da es oft nicht nur ihren eigenen Einfluss mindert, sondern auch die Bedeutung des internationalen Rechts und multilateraler Organisationen untergräbt.
Auf Trumps Liste der wichtigsten außenpolitischen Herausforderungen stehen China, der Nahe Osten und Russland. Um diesen zu begegnen, hat sein Umfeld das Prinzip „Frieden durch Stärke“ formuliert – ein Synonym für Realpolitik, insbesondere in der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Dieses grundlegende Verständnis dürfte von allen außenpolitischen Strömungen innerhalb der Republikanischen Partei geteilt werden. Im Detail jedoch offenbaren sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Fraktionen.
Es wird den Europäern und insbesondere der EU schwerfallen, eine realistische euro-atlantische Sicherheitsordnung zu entwerfen.
Marco Rubio, der designierte Außenminister, gilt als Falke und wird voraussichtlich weiterhin auf ein starkes weltweites Engagement der USA drängen. Michael Waltz, der als Sicherheitsberater vorgesehen ist, ist bekannt für seine harte Haltung gegenüber China. Diese Priorisierung dürfte dazu führen, dass andere Herausforderungen weniger Beachtung finden. Der mögliche Verteidigungsminister Pete Hegseth hingegen hat bislang vor allem als Fernsehmoderator auf sich aufmerksam gemacht. Er tritt für konservative militärische Werte ein, darunter die Ablehnung des Einsatzes von Frauen in aktiven Kampfeinsätzen und die klare Absage an jede Form von politischer Korrektheit, insbesondere in Bezug auf die Rechte von LGBTQ-Minderheiten im Militär. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Republikanischen Partei weiterhin Stimmen, wie die des designierten Vizepräsidenten J.D. Vance, die zwar die USA als führende Weltmacht sehen, aber eine drastische Reduzierung von Auslandseinsätzen fordern.
Was bedeuten diese zum Teil stark divergierenden Ansätze für die transatlantischen Beziehungen? Während der Globale Süden – wie Bilahari Kausikan, der ehemalige ständige Sekretär des Außenministeriums von Singapur, in einem kürzlich in Foreign Affairs veröffentlichten Artikel beschreibt – Trumps mögliche zweite Amtszeit als „Rückkehr zur natürlichen Position der USA“ betrachtet, wird dies in vielen europäischen Amtsstuben, insbesondere bei Verantwortlichen für Sicherheits- und Wirtschaftsfragen, weiterhin als abnormal angesehen.
Doch diese müssen sich darauf einstellen, übrigens auch in Gesprächen mit der Demokratischen Partei, dass die NATO-Mitgliedstaaten auf ihre Verteidigungsabgaben abgeklopft werden. Trump fordert bereits Verteidigungsausgaben von über fünf Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts der Mitgliedstaaten. Laut den Empfehlungen der konservativen Heritage Foundation im Project 2025-Papier – einer Art Blaupause für eine zweite Trump-Administration – sollten auch die USA ihre Militärausgaben weiter erhöhen. Diese liegen aktuell bei etwa 3,5 Prozent des BIP, was rund 824 Milliarden US-Dollar entspricht. Zum Vergleich: Der deutsche Verteidigungshaushalt beträgt derzeit etwa 52 Milliarden Euro.
Es wird den Europäern und insbesondere der EU schwerfallen, eine realistische euro-atlantische Sicherheitsordnung zu entwerfen, wenn sie weiterhin davon ausgehen, dass die USA so solidarisch agieren werden wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Stattdessen werden sich die Vereinigten Staaten voraussichtlich verstärkt auf den geopolitischen Wettbewerb mit China konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit auf den Mittleren Osten richten. Dies geschieht nicht mehr primär wegen der Rohstoffe, sondern vielmehr um sich nach dem Ende der Diktatur in Syrien und der Schwächung des Iran – bei gleichzeitiger Stärkung Israels und weiterer Schwächung Palästinas – für einen langfristigen Frieden zu engagieren.
Gleichzeitig wird die Trump-Administration die Ukraine keinesfalls verlieren wollen.
In Europa werden die USA auf der Grundlage agieren, dass eine Verlängerung des Kriegs in der Ukraine nicht in ihrem Interesse liegt. Gleichzeitig wird die Trump-Administration die Ukraine keinesfalls verlieren wollen. Es ist zu erwarten, dass sie die Beendigung der Kampfhandlungen und den Wiederaufbau der Ukraine zu einem erheblichen Teil der EU überlassen wird, ohne sich jedoch vollständig zurückzuziehen. Moskau wird dabei auf die Beteiligung der USA an Verhandlungen zur Beendigung des Angriffskriegs drängen.
Bei all diesen außenpolitischen Initiativen Washingtons ist die Gefahr groß, dass die USA weit weniger auf die Interessen der EU achten werden als unter den Regierungen von Barack Obama und insbesondere Joe Biden, einem überzeugten Transatlantiker. Während Brüssel im Idealfall anstrebt, längerfristig ausgerichtete Politik zu betreiben, wird die Trump-Administration verstärkt auf kurzfristige Erfolge abzielen, die vorrangig den USA zugutekommen. Dies betrifft gleichermaßen die Handels- und die Zollpolitik, deren Auswirkungen sich für die Europäer am schnellsten und am negativsten bemerkbar machen könnten. Ad-hoc-Koalitionen sind denkbar, ebenso bilaterale Abkommen mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Doch in Bezug auf die Beziehungen zur EU insgesamt ist nur wenig zu erwarten.
Trumps Verhandlungsmethode basiert auf den Faktoren Überzeugung, Stärke und Bluff. Während seiner ersten Amtszeit erzielte er damit nur mittelmäßige Erfolge. Um dies in einer erneuten Präsidentschaft zu vermeiden, hat sein Team deutlich gezielter und strategischer vorgearbeitet. Innerhalb der Republikanischen Partei wird es auch weiterhin unterschiedliche Ansichten zu seiner Politik geben, fundamentale Gegensätze jedoch kaum. Die dadurch entstehende sehr eingeschränkte Perspektive auf die Realität birgt ein erhebliches Potenzial für Missverständnisse – nicht nur zwischen den USA und ihren Konkurrenten, sondern auch zwischen den USA und ihren Verbündeten.
Trumps Verhandlungsmethode basiert auf den Faktoren Überzeugung, Stärke und Bluff.
Wie ernst sie auch gemeint sein mag: Die sehr aggressive Polemik gegenüber Grönland – also gegenüber Dänemark – und Kanada sagt einiges über das NATO-Verständnis von Trump aus. Gleichzeitig könnte diese Haltung Staaten wie Russland und China in ihrer Annahme bestärken, dass Großmächte in turbulenten Zeiten durchaus das Recht haben könnten, über die Einverleibung von Territorien nachzudenken.
Aufgrund seines überzeugenden Wahlsiegs besitzt Trump ein klares Mandat, innenpolitische Veränderungen vorzunehmen. Gleichzeitig eröffnet die Schwäche des globalen sicherheitspolitischen Status quo und die nach wie vor bestehende Stärke der USA drei mögliche Pfade, um eine stabile Sicherheitsordnung zu schaffen: alte Strukturen zu renovieren, woran er wenig Interesse zeigt; sich allein auf die Stärke der USA zu verlassen, was vermutlich seine bevorzugte Strategie ist; oder neue Ansätze in Betracht zu ziehen, die sich aus den sich abzeichnenden neuen Machtverhältnissen ergeben – ein Weg, an dem er bisher kein Interesse gezeigt hat. Gerade dieser letzte Ansatz könnte nicht nur Europa, sondern auch dem Globalen Süden entgegenkommen.
Es muss daher im Interesse dieser beider Ländergruppen liegen, die USA von den Vorteilen gemeinsamer Interessen und eines koordinierten Handelns in den Bereichen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zu überzeugen. Hoffnung besteht darin, dass im Kontext eines weltweit bereits in vollem Gange befindlichen Rüstungswettlaufs – wie die Zahlen des internationalen Thinktanks SIPRI belegen – die Bevölkerungen aller beteiligten Staaten irgendwann Rechenschaft über die Sinnhaftigkeit dieser enormen Ausgaben verlangen werden.
Entgegen aller Prognosen und Wahrscheinlichkeiten – insbesondere im Hinblick auf den America First-Ansatz und den geschäftsorientierten Politikstil – ist es nicht auszuschließen, dass Donald Trump mit seinem unideologischen und dadurch pragmatischen Ansatz, gepaart mit seiner Eitelkeit, einem Gespräch über eine zukünftige Sicherheitsordnung nicht abgeneigt wäre. Ähnlich wie unter Ronald Reagan, dessen Dialog mit der Sowjetunion ursprünglich nicht geplant gewesen war, könnte sich ein solcher Prozess im Laufe der Amtszeit entwickeln, insbesondere angesichts der Gefahr einer unkontrollierbaren und finanziell nicht tragbaren militärischen Eskalation. Solange es möglich ist, sollte die EU Trump daher als schwierigen, aber radikalen Reformer in unsicheren Zeiten betrachten – nicht als reinen Zerstörer.