Mit der am 13. Juli vom Kabinett verabschiedeten China-Strategie legt zum ersten Mal eine Bundesregierung ihre Sichtweise zum Stand und zu den Perspektiven der Beziehungen mit China dar. Damit soll unser Land in die Lage versetzt werden, in der komplexen Beziehung zu China unsere Werte und Interessen besser zu verwirklichen sowie Wege und Instrumente aufzuzeigen, wie Deutschland mit China zusammenarbeiten kann, ohne unsere freiheitlich-demokratische Lebensweise, unsere Souveränität, unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und unsere Partnerschaften mit anderen zu gefährden.

Bemerkenswert ist, dass die nun vorgelegte Strategie nicht nur defensiv ausgerichtet ist, sondern offensiv und selbstbewusst unsere Stärken und Fähigkeiten hervorhebt, mit denen Deutschland und Europa im weltweiten Systemwettbewerb reüssieren können. Als demokratisch verfasstes Gemeinwesen mit einer sozialen Marktwirtschaft als zentraler Grundlage sind wir in der Lage, attraktive Angebote sowohl an die eigene Bevölkerung als auch an andere Länder zu formulieren.

Die Rahmenbedingungen für die Weltordnung von morgen verändern sich. Multilateralismus und Demokratie stehen unter erheblichem Druck. Die Zukunft der regelbasierten Ordnung wird maßgeblich in Asien entschieden. Deutschland und Europa müssen über traditionelle Bündnispartner hinaus Partnerschaften insbesondere mit den Ländern vorantreiben, die an einer Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung interessiert sind. Gerade jetzt ist der strategische Dialog auf Augenhöhe mit den Ländern des globalen Südens daher eine Kernaufgabe. Gemeinsames Ziel müssen Reformen für gerechtere, inklusivere und repräsentativere Strukturen sein.

Die Zukunft der regelbasierten Ordnung wird maßgeblich in Asien entschieden.

Im vergangenen Jahr konnten wir auf das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China zurückblicken. Im Juni dieses Jahres wurden zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie wieder deutsch-chinesische Regierungskonsultationen abgehalten. Und im nächsten Jahr jährt sich der unter Willy Brandt aufgenomme Parteiendialog zwischen der SPD und der Kommunistischen Partei Chinas zum vierzigsten Mal. Doch alle bilateralen Formate und Jubiläen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Positionen beider Seiten in zentralen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen so weit auseinander liegen wie nie zuvor.

Der jahrzehntelange Aufstieg der Volksrepublik China hat die Welt dramatisch verändert, doch das scheinbar unaufhaltsame Wachstum der Volksrepublik stößt an seine Grenzen. Krisenhafte Entwicklungen im Land gehen einher mit einem zunehmend autoritärem Verhalten nach innen als auch einer wachsenden Aggressivität nach außen. Die muss uns dazu veranlassen, unseren Blick auf China zu schärfen und – wo erforderlich – neu zu justieren. Dazu leistet die jetzt vorgelegte China-Strategie der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag.

Dabei nehmen wir die von China ausgehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen zunehmend auch als Herausforderung für Europa wahr. Chinas Verhältnis zu Russland ist insbesondere seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für Deutschland von unmittelbarer sicherheitspolitischer Bedeutung. Die Sicherheit in der Straße von Taiwan ist von zentraler Bedeutung für Frieden und Stabilität in der Region und weit darüber hinaus. Eine militärische Eskalation würde auch deutsche und europäische Interessen berühren. Eine Veränderung des Status Quo darf daher nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war es immer eine Selbstverständlichkeit, dass die Politik gegenüber China stets durch einen kontinuierlichen politischen Dialog geprägt wird. Es gilt der Grundsatz, nicht nur über, sondern auch mit China zu reden. Ohne den Dialog mit China ist die Gestaltung der ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen unserer Zeit kaum vorstellbar.

Die jetzt vorliegende China-Strategie ist vor allem eine Strategie zum Umgang mit den von China ausgehenden Herausforderungen. Sie umfasst dabei drei Dimensionen: die bilateralen Beziehungen zu China, die Stärkung Deutschlands und der EU und die internationale Zusammenarbeit.

Der jahrzehntelange Aufstieg der Volksrepublik China hat die Welt dramatisch verändert.

Ein zentrales Prinzip für uns ist dabei, dass es eine rein deutsche Chinapolitik nicht geben wird. Wir richten sie konsequent europäisch aus und verfolgen unsere Interessen im Einklang mit Zielsetzungen der EU. Damit soll die deutsche China-Strategie einen Beitrag zur Stärkung einer kohärenten europäischen Chinapolitik leisten.

Um Abhängigkeiten zu verringern und Diversifizierung zu fördern, unterstützen wir eine wachstums- und innovationsfördernde Standortpolitik in der EU und in Deutschland zur Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit. Dazu gehört auch die Vertiefung des EU-Binnenmarktes, eine Kapitalmarkt- und Bankenunion, grüne und digitale Transformation, Fachkräftesicherung, Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie eine leistungsfähige Infrastruktur und eine effiziente Verwaltung.

Darüber hinaus unterstützen wir eine aktive und ambitionierte Handelspolitik der EU zu Verbesserung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Diversifizierung und setzen uns für eine rasche Finalisierung laufender Verhandlungen sowie eine zügige Ratifizierung ausverhandelter Abkommen ein. Auch die Diversifizierung der Bezugsquellen für Rohstoffe, zum Beispiel für Seltene Erden und pharmazeutische Wirkstoffe, soll mit Hilfe von Rohstoffpartnerschaften forciert werden.

Besonders wichtig ist die Stärkung der chinapolitischen Koordinierung und der China-Kompetenz. Wissenschaft, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sollen für Menschenrechts- und Sicherheitsaspekte sensibilisiert und beim Umgang mit Risiken in der Zusammenarbeit mit China gestärkt werden. Außerdem ermutigen wir Schulen, Hochschulen und andere Bildungsreinrichtungen zur verstärkten Vermittlung von China-Kompetenz, inklusive Sprachkompetenz. Ein wachsender zivilgesellschaftlicher Austausch mit China ist dabei wünschenswert.

Es geht dabei immer auch um eine nüchterne Analyse der Veränderungen in Chinas Politik. Erforderlich ist ein stärkerer Fokus auf die Herausforderungen, mit denen China uns konfrontiert, unter anderem im politischen, wirtschaftlichen, technologischen, ökologischen und sicherheitspolitischen Bereich. Dabei bleibt der Dreiklang aus Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale bestehen. Zutreffend stellt die Strategie fest, dass die Elemente des Wettbewerbs und der systemischen Rivalität mit China in den vergangenen Jahren jedoch zugenommen haben. Zusammenarbeit und systemische Rivalität schließen sich jedoch nicht aus.

Die Zusammenarbeit mit China beim Klimaschutz ist unerlässlich.

Die Kooperation mit China ist ein grundlegendes Element der Strategie. Die Wirtschaftsbeziehungen bleiben ein zentraler Bestandteil der bilateralen Zusammenarbeit. Wir wollen auch nicht die wirtschaftliche Entwicklung Chinas behindern, sondern setzen uns für ein qualifiziertes De-Risking ein. Dies umfasst die Verringerung von Abhängigkeiten in kritischen Bereichen, die Betrachtung wirtschaftlicher Entscheidungen auch unter geopolitischen Aspekten und die Steigerung unserer Resilienz. Ein De-Coupling, wie von manchen gefordert, lehnen wir jedoch klar ab. Dies würde nicht nur unseren eigenen Interessen erheblichen Schaden zufügen. Es wäre in einer zunehmend vernetzten Welt auch unrealistisch und kaum umsetzbar.

Klar ist aber auch, dass Unternehmen die geopolitischen Risiken bei ihren Entscheidungen stärker berücksichtigen müssen. Es kann nicht sein, dass im Falle einer geopolitischen Krise die Erwartung vorhanden ist, dass automatisch staatliche Mittel zur Rettung von Unternehmen zur Verfügung stehen. Wir erwarten daher von den Unternehmen, dass sie sich im Rahmen der bestehenden Risikomanagement-Prozesse konkret mit relevanten chinabezogenen Entwicklungen und Risiken auseinandersetzen.

Chinas Politik der zivil-militärischen Fusion muss konsequenterweise auch Auswirkungen auf die Investitionsprüfung haben. Aus Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen in Deutschland darf kein Risiko für die deutsche öffentliche Ordnung und Sicherheit erwachsen. Dem Schutz der Kritischen Infrastrukturen kommt deshalb eine noch wichtigere Bedeutung zu. Und in umgekehrter Richtung werden wir eine verstärkte Exportkontrolle im Bereich der Dual-Use Güter anwenden, damit Ausfuhren aus Deutschland keinen Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten, die innere Repression nicht stärken und weder der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen noch der weiteren militärischen Aufrüstung dienen.

Die Zusammenarbeit mit China beim Klimaschutz ist unerlässlich. Deshalb wird sie künftig ein Schwerpunkt der bilateralen Zusammenarbeit sein, insbesondere im Rahmen des neuen Klima- und Transformationsdialogs. Die Ansprache von Menschenrechten, Frauenrechten und Rechtsstaatlichkeit wird Querschnittsaufgabe für die gesamte Bundesregierung und soll grundsätzlich in allen Dialogformaten angegangen werden.

Die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit ist und bleibt ein Kernanliegen der Koalition und spiegelt sich auch in der China-Strategie wider. Wir werden nur dann im Wettbewerb mit China bestehen können, wenn wir gemeinsam mit unseren Partnern innerhalb und außerhalb Europas agieren. Dabei können wir gerade von den Erfahrungen unserer Partner in Ostasien profitieren, die bereits seit langem mit der Herausforderung durch China vor der eigenen Haustür konfrontiert sind.