LONDON – Wieder allein. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs blickt Europa durch eine transatlantische Linse auf die Welt. In der Allianz mit den Vereinigten Staaten gab es Höhen und Tiefen, aber es war eine familiäre Beziehung auf der Grundlage, dass wir in Krisen füreinander da sind und grundsätzlich die gleichen Werte teilen.

Die Wahl Donald Trumps als US-Präsident droht, dies zu beenden – zumindest im Moment. Er glaubt mehr an Mauern und Meere als an Solidarität mit Verbündeten und hat klar gemacht, dass er Amerika nicht nur an erste Stelle setzen will, sondern auch an zweite und dritte. „Wir werden dieses Land und sein Volk“, so erklärte er in seiner einzigen großen Rede über Außenpolitik, „nicht mehr dem falschen Lied der Globalisierung unterwerfen“.

Die Europäer werden sich nicht nur an Trump gewöhnen müssen, sondern auch daran, die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Dafür, dass Trumps Amerika die mit Abstand größte Quelle weltweiter Unordnung sein wird, gibt es vier Gründe:

Erstens kann man sich nicht mehr auf die amerikanischen Garantien verlassen. Trump stellt den Schutz der osteuropäischen NATO-Mitglieder in Frage, wenn sie nicht mehr zu ihrer eigenen Verteidigung tun. Er sagte, Saudi-Arabien solle für den Schutz durch die USA bezahlen. Er ermutigte Japan und Südkorea, sich Atomwaffen zu besorgen. Und in Bezug auf Europa, den Nahen Osten und Asien stellte er klar, dass Amerika nicht mehr die Rolle des Polizisten spielen wird, sondern eher diejenige eines privaten Sicherheitsdienstes, den man mieten kann.

Zweitens werden die globalen Institutionen unter Beschuss geraten. Die Ansicht, die liberale Weltordnung, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut (und nach dem Kalten Krieg ausgeweitet) haben, sei die günstigste Art der Verteidigung amerikanischer Werte und Interessen, lehnt Trump grundsätzlich ab. Wie George W. Bush nach dem 11. September 2001 ist er der Meinung, die Handlungsfreiheit der USA werde durch globale Institutionen auf unerträgliche Weise eingeschränkt. Für fast alle diese Körperschaften, von der Welthandelsorganisation über die NATO bis hin zu den Vereinten Nationen, hat er eine revisionistische Agenda. Die Tatsache, dass er bei allen internationalen Beziehungen die „Kunst des Deals“ – also der Neuverhandlung der Bedingungen aller Abkommen – anwenden will, wird bei den Partnern Amerikas wahrscheinlich zu einer ähnlichen Reaktion führen.

Drittens will Trump alle außenpolitischen Beziehungen der USA auf den Kopf stellen. Die Angst geht um, dass er zu Amerikas Feinden freundlicher sein wird als zu seinen Freunden. Die größte Herausforderung für Europa ist seine Bewunderung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sollte Trump auf der Suche nach dem großen Geschäft seinen Kuschelkurs mit Putin so weit treiben, dass er die russische Besatzung der Krim von 2014 anerkennt, käme die EU in eine schwierige Lage.

Viertens ist da Trumps Unberechenbarkeit. Während der 18 Monate seiner Präsidentschaftskampagne hat er zu fast jedem Thema jeweils gegensätzliche Positionen eingenommen. Die Tatsache, dass er heute das Gegenteil von dem sagt, was er gestern gesagt hat, aber nicht zugibt, dass er seine Meinung geändert hat, zeigt das Ausmaß seiner Launenhaftigkeit.

Einer der Vorteile des politischen Systems der USA ist, dass es eine Übergangszeit von zwei Monaten bietet, um sich auf Trumps Welt vorbereiten zu können. Was also müssen die Europäer jetzt tun?

Erstens müssen wir versuchen, den Druck auf die USA zu erhöhen. Wir wissen aus Trumps Büchern und seinem Verhalten, dass er wahrscheinlich als starker Mann auftreten und Schwäche als Einladung zur Aggression verstehen wird. Am Beispiel Irak konnten wir erkennen, dass der Einfluss eines geteilten Europas auf die USA nur gering sein kann. Wo Europa – wie beim Datenschutz, im Wettbewerbsrecht und im Steuerrecht – zusammengearbeitet hat, konnte es den USA aus einer Position der Stärke gegenübertreten.

Dies galt auch für die sogenannte E3+3-Politik gegenüber dem Iran – wo die großen EU-Mitglieder durch ihre gemeinsame Haltung den Standpunkt der USA beeinflussen konnten. Um auf eigenen Füßen zu stehen, muss die EU jetzt damit beginnen, sich in den Bereichen der Sicherheit, Außenpolitik, Migration und Wirtschaft auf eine gemeinsame Politik zu einigen. Dies wird schwer, da Europa tief gespalten ist. Frankreich fürchtet den Terrorismus, Polen hat Angst vor Russland, Deutschland leidet unter der Flüchtlingskrise und Großbritannien strebt einen Alleingang an.

Zweitens müssen die Europäer zeigen, dass sie sich absichern und Bündnisse mit anderen schließen können. Um die globalen Institutionen gegen den Trumpschen Revisionismus zu schützen, muss die EU auch anderen Mächten ihre Hand reichen. Ebenfalls muss sie ihre außenpolitischen Beziehungen diversifizieren. Anstatt darauf zu warten, dass Trump die EU mithilfe von Russland und China marginalisiert, müssen die Europäer ihre eigenen Drachen steigen lassen. Sollten sie beispielsweise mit den Chinesen über das EU-Waffenembargo reden, um die USA an den Wert der transatlantischen Allianz zu erinnern? Könnte die EU ein anderes Verhältnis zu Japan entwickeln? Und wenn sich Trump bei Russland einschmeicheln will, sollte er vielleicht den Normandieprozess für die Ukraine übernehmen?

Drittens müssen die Europäer anfangen, in ihre eigene Sicherheit zu investieren. Von der Ukraine bis nach Syrien, von Cyber-Angriffen bis hin zu Terroranschlägen: Europas Sicherheit steht vor vielen Herausforderungen. Obwohl die EU durchaus versteht, dass sich 500 Millionen Europäer für ihre Sicherheit nicht mehr auf 300 Millionen Amerikaner verlassen können, hat sie nur wenig dafür getan, die Lücke zwischen ihren Sicherheitsanforderungen und ihren Möglichkeiten zu schließen. Es ist Zeit, den französisch-deutschen Plan zur europäischen Verteidigung konkreter zu machen. Und es ist wichtig, institutionelle Wege dafür zu finden, Großbritannien in Europas neue Sicherheitsarchitektur einzubinden.

Auf all diesen Gebieten müssen die Europäer gleichzeitig offen für eine transatlantische Zusammenarbeit bleiben. Diese Allianz – die so oft Europa vor sich selbst geschützt hat – ist größer als jedes Individuum. Trump wird schließlich nicht ewig Präsident bleiben. Wahrscheinlicher wird das Überleben der transatlantischen Beziehungen aber, wenn es auf zwei Säulen aufgebaut ist, die beide ihr eigenen Interessen verstehen und verteidigen.

Dies umzusetzen wird schwierig sein – nicht zuletzt deshalb, weil Europa mit seiner eigenen Art von populistischem Nationalismus fertig werden muss. Unter den ersten, die Trump zum Sieg gratulierten, war Marine Le Pen, die Parteichefin der französischen Nationalen Front, und Trump hat gesagt, nach dem Brexit werde er sich besonders um Großbritannien kümmern. Aber sogar für die europäischen Politiker, die Trump am ähnlichsten sind, gilt, dass die Verteidigung ihrer nationalen Interessen durch einen Alleingang erschwert würde. Um in einer Trumpschen Welt zu überleben, sollten sie versuchen, Europa wieder bedeutend zu machen.

(c) Project Syndicate