Nachdem Donald Trump 2016 die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, hegten viele den Verdacht, das Abstimmungsergebnis sei durch russische Machenschaften beeinflusst worden. Die Internet Research Agency, eine „Trollfabrik“ im Großraum Sankt Petersburg, postete über Accounts, mit denen die Trolle sich als US-amerikanische Bürger oder Nachrichtenagenturen ausgaben, Tausende und Abertausende von Nachrichten, die Trump den Rücken stärken sollten und in vielen Fällen gefälscht waren. Reichte der Einfluss der Russen tatsächlich so weit, dass sie eine US-Wahl manipulieren konnten?
Seit Kurzem lautet die Antwort erwiesenermaßen: Nein. Im Januar 2023 fanden Gregory Eady, Tom Paskhalis und ihre Kollegen in einer Studie heraus, dass die russische Propaganda zum überwiegenden Teil (70 Prozent) nur von einem Prozent der Twitter-Nutzer konsumiert wurde und dass dieses eine Prozent aus strammen Republikanern bestand, die höchstwahrscheinlich sowieso für Trump gestimmt hätten. Die von den Trollen verbreiteten Fake News rannten also einfach nur offene Türen ein. Einen Sinneswandel bewirkt haben sie offenbar bei niemandem. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Studie, die 2019 unter der Federführung von Chris Bail durchgeführt wurde: Die Interaktion mit Accounts der russsichen Internet Research Agency hatte keinen Einfluss auf die politische Meinung und das Verhalten der Twitter-Nutzer.
Dass Fake News offenbar so wenig Wirkung zeigen, klingt vielleicht überraschend vor dem Hintergrund, wie viel Raum die Angst vor russischer Einflussnahme in der medialen Diskussion einnimmt. Doch bei Versuchen der Massenbeeinflussung sind Fehlschläge eher die Regel als die Ausnahme. Eine Auswertung von Erkenntnissen aus Geschichtswissenschaft, Psychologie und Sozialwissenschaft stellte kürzlich fest, dass es nicht gelingt, die überwältigende Mehrheit einer anvisierten Zielgruppe mit Überredungsbemühungen wie Werbung, autoritären Reden und politischen Kampagnen umzustimmen.
Wem das nicht glaubhaft erscheint, erinnere sich an die Vorwahlen der US-Demokratischen Partei 2020. Michael Bloomberg ließ sich seine Kampagne 500 MillionenUS-Dollar kosten, Tom Steyer machte fast 350 Millionen Dollar locker. Beide zusammen gaben mehr als die Hälfte dessen aus, was bei diesen Vorwahlen von allen Kandidatinnen und Kandidaten zusammen investiert wurde. Trotzdem brachten die Werbefeldzüge weder Bloomberg noch Steyer etwas: Sie konnten bei den Wählerinnen und Wählern nicht punkten und stiegen aus dem Kandidatenrennen aus.
Bei Versuchen der Massenbeeinflussung sind Fehlschläge eher die Regel als die Ausnahme.
Dasselbe gilt in der Tendenz auch für die russische Propaganda. Untersuchungen zeigen, dass in den besetzten Gebieten der Ukraine pro-russische Botschaften in erster Linie bei denen verfangen, die Russland ohnehin positiv gegenüberstehen. Hier zeigt sich ein Grundmuster autoritärer Propaganda. Auf der einen Seite ist sie für manche Zwecke durchaus zielführend – indem sie die Macht des betreffenden Regimes demonstriert oder so viele Sendefrequenzen in Beschlag nimmt, dass weniger Platz für andere Meinungen bleibt. Andererseits bestätigt die Forschung, was Historikerinnen und Historiker herausgefunden haben: In der Regel gelingt es mit autoritärer Propaganda nicht, Menschen zu überzeugen, die nicht sowieso schon auf der Linie des Regimes liegen.
Ganz gleichgültig sollten die russischen Einmischungsversuche uns dennoch nicht sein. Viele autoritäre Regime wissen um die Grenzen der Propaganda alter Schule, mit der das Publikum einfach dazu gebracht werden soll, eine vorgegebene Botschaft zu akzeptieren. Inzwischen entwickeln sie alternative Taktiken, mit denen die Menschen nicht überzeugt, sondern abgelenkt und polarisiert werden sollen. Zum Glück gibt es nur sehr wenige Indizien dafür, dass Russland beim Erreichen dieser alternativen Ziele mehr Erfolg hat.
An Versuchen mangelt es jedoch nicht. Gegenüber der eigenen Bevölkerung setzen sowohl die chinesische als auch die russische Regierung auf Ablenkungsmanöver. Das chinesische Regime bezahlt Web-Nutzer – zum Beispiel die Angehörigen der berüchtigten 50-Cent-Armee – dafür, dass sie Internetdebatten über Krisen, die ein schlechtes Licht auf das Regime werfen, gezielt manipulieren. In eine ähnliche Richtung gehen die Versuche der russischen Regierung, junge Menschen dadurch vom Demonstrieren und Protestieren abzuhalten, dass sie Konzerte für sie veranstaltet.
Parallel versuchen die Regime, im Ausland Misstrauen zu säen und dort die Gesellschaften zu polarisieren. Diese Strategie fährt Russland in den USA und anderswo schon seit Längerem. Im Kalten Krieg versuchten russische Agenten, Rassenkonflikte zu schüren, die die US-Gesellschaft zu zerreißen drohten (und bis zu einem gewissen Grad noch heute zu zerreißen drohen), indem sie zum Beispiel unter Afroamerikanern das Gerücht verbreiteten, das AIDS-Virus sei vom Pentagon entwickelt worden. Die russischen Trolle von heute haben zwar einen Hang zur konservativen Seite, streuen ihre Inhalte aber an ein breites Adressatenspektrum von „bekennenden Waffennarren, Verehrern von Martin Luther King Jr., Trump-Wählern und Clinton-Anhängern“, wie die Washington Post berichtete. Nachdem im Mai 2016 im texanischen Houston pro-islamische und anti-islamische Protestler gegeneinander demonstriert hatten, kam heraus, dass von russischer Seite versucht worden war, auf beide Streitparteien Einfluss zu nehmen.
Parallel versuchen die Regime, im Ausland Misstrauen zu säen und dort die Gesellschaften zu polarisieren.
Diese Strategie bringt es mit sich, dass Unmengen von Fake News in Umlauf gebracht werden. Autoritäre Regime sind offenbar überzeugt, dass diese etwas bringen: Durch die Verbreitung von Fake News können sie die Reihen der eingefleischten Unterstützer noch dichter schließen, Kontrahenten gegeneinander aufbringen und dadurch für mehr Polarisierung sorgen. Überspitzt formuliert: Die russischen Agenten verhalten sich so, als wollten sie die Welt in Flammen aufgehen sehen. Worauf die Russen letztlich aus sind, ist also ziemlich klar. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in den USA und anderen Ländern die gruppenbezogene Polarisierung dramatisch zunimmt (man spricht auch von „affektiver Polarisierung“ – gemeint ist, dass Anhängerinnen und Anhänger unterschiedlicher politischer Parteien anfangen, sich gegenseitig zu hassen).
Doch so beunruhigend die russische Einflussnahme auch ist – sie dürfte bei diesem Epochenwandel nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben, denn die Einmischungsversuche machen nur einen winzigen Teil dessen aus, was die Menschen in den sozialen Medien konsumieren. Und die sozialen Medien insgesamt lassen sich bekanntlich nicht allein für alle Unbill unserer Gegenwart verantwortlich machen. Sie werden von Menschen in aller Welt genutzt, wohingegen die Hyper-Polarisierung alles andere als ein universales Phänomen ist. Die meisten Menschen sind weit davon entfernt, auf Fake News hereinzufallen, und Social-Media-Accounts, die für die Weitergabe von Fake News bekannt sind, verlieren nachweislich rapide an Glaubwürdigkeit. Dennoch gibt es einen Wirkungsweg, auf dem die russische Fake-News-Offensive wirklichen Schaden anrichten könnte. Wenn die Medien um Falschinformationen (russischen oder sonstigen Ursprungs) einen permanenten Hype veranstalten, schwächen sie damit paradoxerweise das Vertrauen der Menschen in die Medien insgesamt. Doch selbst diese Effekte sind, wie Untersuchungen ergeben haben, nur vorübergehend.
Die Behauptung, die Probleme Amerikas und anderer Länder würden durch russische Einmischung verursacht, greift also zu kurz. Höchstens werden durch diese Einmischung Probleme verschärft, die es zuvor ohnehin schon gab. Wenn wir die trennenden Gräben, die uns spalten, wirklich verstehen und schließen wollen, müssen wir, statt nach äußeren Feinden Ausschau zu halten, unser eigenes Gemeinwesen in den Blick nehmen.
Dieser Artikel erschien zuerst im US-OnlinemagazinPersuasion.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld