Frankreich
Frankreichs Medien, in deren täglichen Ausgaben stets ein kurzer Bezug zu Deutschland auftaucht, hatten diese Bundestagswahlen in den zurückliegenden Wochen in allen Facetten begleitet. Dass diese Wahlen eine strategische Bedeutung weit jenseits der deutschen Grenzen, ja für ganz Europa hatten, daran ließen französische Beobachtende keinen Zweifel. Spätestens seit der Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance in München war dies offensichtlich.
Präsident Emmanuel Macron wirkte am Sonntagabend erleichtert. Sein Beziehungsstatus im Hinblick auf Olaf Scholz hatte stets das Label „schwierig“ getragen. Macron schien förmlich nach Berlin hinüberzuwinken und fügte seiner Gratulation an Friedrich Merz, auch in den sozialen Medien, hinzu: „Wir sind mehr denn je entschlossen, gemeinsam große Dinge für Frankreich und Deutschland zu erreichen, mit dem Ziel, ein starkes und souveränes Europa aufzubauen.“
Damit setzte Macron den Ton für einen Quasi-Neustart der deutsch-französischen Beziehungen, die seit längerem als festgefahren galten. Schon seit Wochen – genauer gesagt seit dem Amtsantritt Donald Trumps – war in Paris die Bereitschaft spürbar, über den institutionellen Rahmen hinauszudenken. Die politische Zäsur in Deutschland wurde als Chance gesehen, die europäische Zusammenarbeit zu stärken und gemeinsam auf die transatlantischen Spannungen zu reagieren. Friedrich Merz, so war im Regierungsviertel zu hören, habe ein größeres Interesse daran, le franco-allemand zu machen. Ein Mann aus der guten alten bilateralen CDU-Tradition.
Der Sieg der Konservativen und der Aufstieg der extremen Rechten in Deutschland könnten das politische Gleichgewicht in Europa neu konfigurieren.
Frankreichs Kommentatoren sehen die Sache ähnlich, wenn auch düsterer: Der Sieg der CDU/CSU und der Aufstieg der extremen Rechten in Deutschland könnten das politische Gleichgewicht in Europa neu konfigurieren. Für viele manifestiert sich in Deutschland mit der Schwächung der demokratischen Mitte und dem Erstarken der AfD eben jenes Geschwür, welches die französische Demokratie in Gestalt des Rassemblement National (RN) vor Jahren schon infiziert hat. In mehreren Leitartikeln wurde betont, dass der spektakuläre Aufstieg der AfD als Warnung für ganz Europa verstanden werden sollte. Es gelte nun erhöhte Wachsamkeit zu zeigen und über die Migrations- und Sicherheitspolitik nachzudenken, um ein Abgleiten in den Populismus zu verhindern.
Obwohl es keine offizielle Stellungnahme der französischen Sozialistischen Partei gab, reagierten linke Zeitungen – allen voran Libération und Le Monde – konkret auf den Rückschlag für die SPD. Sie sehen den Niedergang der traditionellen linken Parteien in Europa als Symptom einer umfassenderen Krise des sozialdemokratischen Modells. Einige Kommentatoren fordern daher eine tiefgreifende strategische Erneuerung, um das Vertrauen der Wählerschaft zurückzugewinnen. Sie warnen zudem davor, dass die Abkehr vieler linker Wählerinnen und Wähler sich auch auf andere europäische Länder, einschließlich Frankreich, auswirken könnte.
Das Rassemblement National (RN), das seit Langem ideologische Affinitäten zur AfD pflegt, reagierte am Sonntag mit einer Würdigung des spektakulären Abschneidens der AfD. In Foren und sozialen Netzwerken beschrieben einige RN-Funktionäre – allen voran Marine Le Pen – die Ergebnisse als Zeichen dafür, dass die europäischen Wähler die etablierte Ordnung ablehnen und sich einer souveränen Politik zuwenden. Für sie ist der Aufstieg der AfD ein klares Signal für ein Umdenken in der Migrationspolitik und für ein Wiedererstarken der nationalen Souveränität, was eine engere Zusammenarbeit zwischen den nationalistischen Parteien in Europa erfordere. An die eigene Adresse gerichtet, forderte das RN zudem, aus diesem „Wind des Wandels“ Kapital zu schlagen, um das eigene Programm in Frankreich voranzutreiben.
Adrienne Woltersdorf, FES Paris
Polen
Der Wahlsieg von Friedrich Merz für die CDU und der Einbruch der SPD bei den Bundestagswahlen haben in Polen nur wenige überrascht. Man hatte mit einem Regierungswechsel gerechnet und weint der Ampel-Regierung nicht nach. Seit Donald Tusk im Dezember 2023 mit einer breiten Koalition die rechtspopulistische PiS abgelöst hatte, hat sich die Rhetorik gegenüber Deutschland in Polen geändert. Während die PiS Deutschland als Gegner und Bedrohung der Souveränität Polens dämonisierte, verbesserte sich die Atmosphäre mit der neuen polnischen Regierung unter Donald Tusk spürbar. Die großen Erwartungen auf einen „Neuanfang“ in den deutsch-polnischen Beziehungen wurden jedoch bislang nicht erfüllt.
Olaf Scholz wird von polnischer Seite vorgeworfen, angesichts dieser Voraussetzungen kommunikativ zu wenig getan zu haben. Zudem sitzt das Misstrauen gegenüber den Deutschen sehr tief – vor allem wegen der zögerlichen Unterstützung der Ukraine, allen Beteuerungen von Kanzler Scholz zum Trotz. Und schließlich konnte man dem langen Schatten der Vergangenheit – die unter der PiS in gigantischen Reparationsforderungen an Deutschland gipfelten – in keiner konstruktiven oder kreativen Form entkommen.
In Friedrich Merz, so die Hoffnung in Polen, trifft Donald Tusk immerhin auf einen Parteifreund der Europäischen Volkspartei.
In Friedrich Merz, so die Hoffnung in Polen, trifft Donald Tusk immerhin auf einen Parteifreund der Europäischen Volkspartei. Vielleicht findet man dann leichter zu einer gemeinsamen Sprache. Innenpolitisch steht Donald Tusk jedoch selbst unter Druck; die polnische Opposition aus der national-konservativen PiS und der rechtsextremen Konfederacja treiben ihn als „deutschen Agenten“ vor sich her. Vor allzu großer Offenheit oder gar Zugeständnissen gegenüber Deutschland muss er sich daher hüten, besonders mit Blick auf die polnischen Präsidentschaftswahlen am 18. Mai 2025. Die Großwetterlage zwischen Deutschland und Polen dürfte sich unter der Führung zweier EVP-Regierungschefs zwar weiter aufhellen. Doch es bleibt zu befürchten, dass die Fortschritte in der Substanz weiter sehr mager ausfallen.
Der geopolitische Druck nimmt weiter zu. Ohne eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen in Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik kann Europa dem im Osten grassierenden und neuerdings im Westen aufblitzenden Imperialismus nicht standhalten. Besonders die Stärkung der NATO-Ostflanke entlang der langen ukrainischen und belarussischen Grenze erfordert europäische, und damit auch deutsche Unterstützung. Gerade diese sicherheitspolitische Notwendigkeit könnte helfen, bestehende Spannungen in den bilateralen Beziehungen zu überwinden. Von der nächsten Bundesregierung wird erwartet, dass sie klare Positionen bezieht – insbesondere bei der Finanzierung der europäischen Verteidigung. Friedrich Merz selbst ist in Polen kaum bekannt. Mit Spannung erwartet man seinen Antritt und man wird genau beobachten, an welcher Stelle seiner Reisetätigkeiten Polen steht. Denn angesichts des Krieges in der Ukraine schreibt sich Polen eine ebenso bedeutende Rolle zu wie Deutschlands größtem Nachbarn im Westen, Frankreich.
Das Erstarken der AfD wird in Polen mit großer Sorge verfolgt. Die klare Absage an eine Koalition mit der AfD – auch durch Friedrich Merz – sowie die übersichtlichen Machtverhältnisse nach der Bundestagswahl haben die schlimmsten Befürchtungen aber beruhigen können. Die polnischen Sozialdemokraten von der Nowa Lewica (von der „Neuen Linken“) schauen mitleidig, aber wenig überrascht auf das schwache Ergebnis der SPD. Sie sind selbst mit zuletzt 6,3 Prozent bei den Europawahlen im Mai 2024 kleinster Koalitionspartner in Tusks Vier-Parteien-Bündnis. Inspiration geht für sie am ehesten noch vom medienwirksamen Wahlkampf der deutschen Linkspartei aus, die mit sozialpolitischen Themen viele junge Menschen erreichen konnte. Die SPD hingegen fällt als Vorbild für Deutschlands östliches Nachbarland Polen derzeit leider aus.
Max Brändle, FES Warschau
USA
Am Tag nach den Bundestagswahlen dominierten in den großen US-Tageszeitungen andere Themen: die politischen Verwerfungen unter Donald Trump, der dritte Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Washington. Die USA sind gerade vor allem mit sich selbst beschäftigt. Entweder in großer Verzücktheit (so die Unterstützer des Präsidenten) oder in Wut und Verzweiflung (so die Demokraten). Und für nicht wenige Staatsbedienstete geht es darum, sich einen neuen Job zu suchen aufgrund der Kettensäge (die Elon Musk am Wochenende bildlich in der Hand hielt), die die Bürokratie dramatisch verkleinern soll.
Da spielen deutsche Parlamentswahlen keine große Rolle. Über deren Ergebnis wurde pflichtgemäß berichtet, aber auch nicht mehr. Ein Grund dafür war, dass die AfD zwar ihren Stimmenanteil verdoppeln konnte, aber sicherlich keine Regierungsverantwortung übernehmen wird. Erleichtert wurde zudem wahrgenommen, dass weder Musks öffentliche Unterstützung der AfD noch das Gespräch der Parteivorsitzenden mit dem US-Vizepräsidenten J.D. Vance der Partei maßgeblich geholfen haben.
Amerikanische Beobachter waren sich vor dem Wahltag sehr unsicher ob des Resultats. In Gesprächen mit Politikern und Journalisten waren deutlich Befürchtungen herauszuhören gewesen, dass Deutschland einen ähnlichen Weg einschlagen könnte wie die USA. Also ein Erstarken rechtsextremer Positionen, die eine stabile Regierung in der Mitte Europas unmöglich machen könnten. Und das im größten, wirtschaftlich bedeutendsten und bisher stabilsten Land der EU.
Washington ist noch skeptisch ob der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands und der Bereitschaft, sich stärker verteidigungspolitisch zu engagieren.
Umso erleichterter waren die Kommentare nach der Wahl. Das Wall Street Journal titelte: „Deutsche Wahl versetzt Europas Zentristen einen Schub“. Sogar der amerikanische Präsident schloss sich dieser Analyse an, indem er auf der Plattform Truth Social schrieb: „Es schaut so aus, als ob die konservative Partei in Deutschland die sehr große und besonders erwartete Wahl gewonnen hätte.“ Dies sei ein großer Tag für Deutschland und die USA. Ansonsten hielten sich Politiker im Kongress zurück mit Kommentierungen.
Besonders aufgenommen wurde die Ansage vom Wahlgewinner und künftigen Kanzler Merz, Deutschland in Zukunft unabhängiger von den USA zu machen. „Was heißt das?“, fragte die Washington Post besorgt. Schließlich gilt Deutschland offiziell weiterhin als enger Partner der USA. Dies zeigte sich zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, wo eine hochrangige Delegation aus Demokraten und Republikanern vertreten war, angeführt von Vizepräsident J.D. Vance und Außenminister Marco Rubio.
Es bleibt abzuwarten, ob die USA unter Präsident Trump einen Draht zu der neuen Bundesregierung finden wird. Washington ist noch skeptisch ob der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands und der Bereitschaft, sich stärker verteidigungspolitisch zu engagieren. Das Wall Street Journal favorisiert eine Koalition der CDU mit der SPD; „weniger wünschenswert“ wäre eine Koalition mit den Grünen. Insgesamt betrachtet das konservative Blatt beide progressiven Parteien eher als Bremser. Es müsse sich nun zeigen, ob eine zentristische Regierung in Deutschland angesichts des Erstarkens der populistischen Parteien in Europa und einer sehr kritische US-Administration die notwendigen Reformen angehen und die Probleme lösen kann.
Reinhard Krumm, FES Washington