Was noch vor zehn Jahren von CDU/CSU als Provokation begriffen wurde und gegenwärtig von konservativer Seite wieder infrage gestellt wird, ist heute gedankliches Allgemeingut: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Dazu gehört zum einen die dringend notwendige Arbeitsmigration: Es braucht viele und gut qualifizierte Fachkräfte, um den Wohlstand für alle im Land zu sichern. Ihnen muss im Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte ein attraktives Angebot gemacht werden, um international zu bestehen.

Dazu wurde insbesondere mit der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes beigetragen. Es ermöglicht gut integrierten Eingewanderten mehr als ein schnelleres Gefühl der Zugehörigkeit, es gibt ihnen früher eine Stimme. Etwas, das für viele Zugewanderten wichtig ist. Darüber hinaus sollen Menschen, die in Deutschland arbeiten möchten, einfache legale Zugangswege vorfinden und nicht den Weg über das Asylsystem nehmen müssen. Mit der Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zum zentralen Steuerungsinstrument gewährleisten wir genau das. So kann die Bundesrepublik zu einem attraktiven Zielland für Arbeitsmigranten werden.

Zum anderen bietet unser Land im Verbund mit unseren europäischen Partnern Schutz für Menschen, die beispielsweise vor Krieg und Verfolgung fliehen oder politisch verfolgt werden. Diese humanitäre Flüchtlingspolitik ist für uns nicht verhandelbar. Ebenso wenig wie unsere grundsätzliche humanitäre Verantwortung und ganz konkret das Grundrecht auf Asyl. Humanität und Ordnung sind hier untrennbar verbunden und formen unsere Leitmaxime.

Für eine realistische Migrationspolitik ist es jedoch essenziell, Humanität und Ordnung zusammenzubringen. Dies bedeutet, dass Schutz nur tatsächlich Schutzbedürftigen gewährt wird und Nicht-Schutzberechtigte zügig zurückgeführt und auf andere Wege verwiesen werden. Nur wenn wir  hier sortiert sind, können wir eine humanitäre Migrationspolitik aufrechterhalten. Das erwarten auch die Bürgerinnen und Bürger von uns. Es ist die Voraussetzung für die Akzeptanz unserer Migrationspolitik. Dazu bedarf es europäischer Anstrengungen sowie verschiedener nationaler Maßnahmen. Auf beiden Ebenen ist in den vergangenen drei Jahren unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz bereits viel Wichtiges erreicht worden.

Erstmals gibt es einen Solidaritätsmechanismus, damit alle EU-Mitgliedstaaten gemeinsam Verantwortung für Geflüchtete übernehmen.

Die Steuerung und Begrenzung von irregulärer Migration sind grundsätzlich nur gemeinsam in der Europäischen Union möglich. Daher ist die Einigung auf die Reform der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik (GEAS) ein großer Erfolg und ein historischer Schritt. Darin wurde vereinbart, dass ab dem Sommer 2026 die Kontrolle und die Registrierung aller Asylsuchenden an den EU-Außengrenzen verpflichtend sind. Wenn nur eine geringe Aussicht auf Schutzbedürftigkeit besteht, müssen die Asylanträge bereits an den Außengrenzen entschieden werden. Das heißt, erst danach betreten Schutzsuchende europäischen Boden. Neu ist: Erstmals gibt es einen Solidaritätsmechanismus, damit alle EU-Mitgliedstaaten gemeinsam Verantwortung für Geflüchtete übernehmen. Auch ein Vorziehen von Teilen der GEAS-Reform wie beispielsweise die Flughafenverfahren in Absprache mit der EU-Kommission wäre gut denkbar. 

Um die Zeit bis zum Inkrafttreten der Reform des Europäischen Asylsystems zu überbrücken, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser im September 2024 angeordnet, an allen deutschen Landgrenzen zunächst befristete flexible Kontrollen durchzuführen. Niemand möchte sich an Grenzkontrollen in der EU gewöhnen. Das Dublin-System, das bis zur GEAS-Umsetzung 2026 gelten wird, ist jedoch erkennbar an seine Grenzen gestoßen. Vorübergehende, flexible Binnengrenzkontrollen sind das zurzeit notwendige Mittel der Wahl. Die Bekämpfung von Schleusern und grenzüberschreitender Kriminalität sind dabei Schwerpunkte, ebenso wie die Begrenzung von illegalen Grenzübertritten.

Was national möglich ist, hat die Regierungskoalition auf fast allen Ebenen angestoßen. Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt, dass beinahe alle Vorhaben umgesetzt wurden, um Fluchtmigration effektiv zu steuern. Wir haben zum Beispiel dafür gesorgt, dass Asylverfahren schneller, fair und rechtssicher durchgeführt werden. Denn wenn jemand in Deutschland einen Asylantrag stellt, gilt es, schnell zu entscheiden, ob er oder sie bleiben darf oder unser Land wieder verlassen muss, wenn keine Schutzbedürftigkeit vorliegt. Nur durch schnelle, rechtskräftige Entscheidungen können Integrationsmaßnahmen für Bleibeberechtigte sowie Rückführungsmaßnahmen für abgelehnte Asylsuchende effizient umgesetzt werden. Für die Rückführungen sind die Länder zuständig, der Bund unterstützt sie bei ihrer Aufgabe. Hierfür hat er den Ländern mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz weitere Instrumente an die Hand gegeben. Denn zum Ziel, irreguläre Migration nachhaltig zu senken, gehört auch, dass diejenigen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben, das Land wieder verlassen. Die Durchsetzung des Rechtsstaates ist auch im Asyl- und Aufenthaltsrecht von großer Bedeutung.

Die Einstufung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten ist auch ein wichtiger Baustein bei der Steuerung von Migration. Asylverfahren von Staatsangehörigen dieser Staaten können dadurch schneller bearbeitet und im Falle einer negativen Entscheidung über den Asylantrag kann ihr Aufenthalt in Deutschland schneller beendet werden. 

Gleichzeitig kümmert sich Deutschland intensiv darum, mit wichtigen Herkunfts- und Transitstaaten der irregulären Migration bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen zu kooperieren. Diese Staaten hatten bislang wenig Interesse, ihre irregulär nach Deutschland eingereisten ausreisepflichtigen Staatsangehörigen wieder zurückzunehmen. Viele Rückführungen scheiterten dadurch an praktischen Problemen. Im Rahmen der Migrationspartnerschaften kann das Interesse Deutschlands an regulärer Arbeitsmigration als Angebot und Hebel genutzt werden, Herkunftsstaaten auf Augenhöhe zur Kooperation bei der Begrenzung der irregulären Migration zu bewegen.

Migrationspolitik ist zu einem kontroversen Politikfeld geworden.

Damit die ganze Einwanderungsgesellschaft von Migration profitieren kann, ist wirksame Integration unerlässlich. Bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten unterstützt der Bund die Länder und die Kommunen finanziell, denn Geflüchtete müssen vor Ort integriert werden – auf dem Dorf, bei der Arbeitsstelle und im Fußballverein. Dazu zählen auch die über eine Million Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Schutz gefunden haben. Zahllose Menschen engagieren sich hier, bieten ihre Hilfe für neu ankommende Menschen an und unterstützen die Integration vor Ort. Ihnen gebührt ein großer Dank. Die Kommunen, die Länder und der Bund leisten gemeinsam mit den vielen Helferinnen und Helfern großartige Arbeit. Vor allem die Kommunen benötigen eine Atempause bei der Unterbringung und Integration von Geflüchteten.

Zu einer erfolgreichen Integration gehört außerdem ein schneller Zugang zu Sprachkursen und Arbeit. Mit dem Chancenaufenthaltsgesetz haben wir als Gesetzgeber den Zugang aller Asylsuchenden zu Integrationskursen geregelt, und das unabhängig von Herkunft und Bleibeperspektive. Menschen, die seit vielen Jahre bei uns im Land geduldet werden und die oft schon gut integriert sind, können zudem leichter ein reguläres Bleiberecht erhalten. Zu guter Integration gehört für uns, wie oben angesprochen, auch ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht.  Wer unsere Werte teilt und das Grundgesetz anerkennt und seit Jahren in Deutschland zu Hause ist, der soll auch offiziell dazugehören und kann nun schneller die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Humanität und Ordnung heißt auch genaues Hinschauen. Wir stehen solidarisch an der Seite aller Menschen, die auf Schutz angewiesen sind, und verteidigen ihre Menschenwürde und ihre Grundrechte – unabhängig davon, woher sie stammen, welche sexuelle Orientierung oder Religion sie haben. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass auch Menschen unter den vielen Hunderttausenden in unser Land gekommen sind, die über eine extremistische Weltanschauung verfügen und die moderne liberale Gesellschaft ablehnen. Gleichzeitig finden Radikalisierungen hier in Deutschland statt. Extremistische, gegen den Staat und seine Menschen gerichtete Bestrebungen, Missbrauch unseres Landes durch Terroristen und schwerste Straftäter und die Bekämpfung unserer freiheitlichen Werte werden wir in keiner Weise akzeptieren.

Die islamistischen Terroranschläge der letzten Monate haben unser Land ins Mark getroffen. Wir trauern mit den Angehörigen um die Toten und Verletzten. Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht, dass die Politik Regeln und Gesetze immer wieder hinterfragt, nicht zuletzt um bestehende Regelungen neu zu justieren und Maßnahmen anzupassen. Es gebietet auch der staatliche Schutzauftrag für die Bürgerinnen und Bürger, Ereignissen Rechnung zu tragen und darauf adäquat zu reagieren.

Migrationspolitik ist zu einem kontroversen Politikfeld geworden. Kaum ein anderes politisches Thema wird derzeit so erhitzt diskutiert. Viele Debattenbeiträge jonglieren dabei mit Maximalforderungen: Die einen verlangen Abschottung, egal um welchen menschlichen Preis, die anderen weitgehende, ungeregelte Zuwanderungsmöglichkeiten ohne Rücksicht auf Kapazitäten und Stabilität. Umso wichtiger ist es, eine moralische Richtschnur zu haben. Deutschland sollte Menschen in Not einen sicheren Hafen bieten – und zugleich in der Lage sein, zu steuern, wer zu uns kommt. Das eine geht nicht ohne das andere. Nur mit geregelter Arbeitskräfte-Zuwanderung wird der Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig bleiben.

Humanität und Ordnung bedeuten auch, in Sicherheit und Freiheit zu leben – das ist ein zentrales Versprechen unseres Staates. Die Regierungskoalition setzt dieses Versprechen konsequent um zur Verteidigung unserer Demokratie und unseres offenen, toleranten und humanitären Einwanderungslandes.