Extremismus und Polarisierung gewinnen immer mehr an Stärke, insbesondere in Europa, Lateinamerika und in den Vereinigten Staaten. Der Stimmenzuwachs für die extreme Rechte in Ländern wie Frankreich und Deutschland bei der Europawahl versetzt die Politik in Aufruhr. Um dieser existentiellen Bedrohung des sozialen Friedens entgegenzuwirken, müssen die Regierungen in qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investieren, die für das Leben der Menschen entscheidende Veränderungen bewirken. Das derzeit größte Problem für die Demokratie ist daher, wie mehr Einnahmen erzielt werden können. Die Antwort ist schlicht und einfach: Das Geld dort holen, wo es ist, nämlich in den Taschen der großen multinationalen Konzerne und der Superreichen. Die sind Experten darin, ihr Geld zu verstecken, um ihren gerechten Anteil an Steuern nicht zahlen zu müssen.
Die gute Nachricht ist, dass die Idee einer globalen Mindeststeuer für die Ultrareichen immer mehr Anklang findet. Wie aus neueren Umfragen hervorgeht, sind viele Menschen für diese Steuer und halten sie für die richtig Lösung. Eine von der Initiative Earth4All durchgeführte Umfrage unter 22 000 Bürgerinnen und Bürgern aus den weltgrößten Volkswirtschaften zeigt, dass eine überwältigende Mehrheit – 68 Prozent – der Befragten aus G20-Staaten sich für eine höhere Besteuerung der Vermögenden ausspricht, um mit den Einnahmen die wirtschaftliche Lage und den Lebensstil der Menschen erheblich zu verbessern. Eine weitere Umfrage stammt von den Patriotic Millionaires, einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation. Diese ergab, dass über 60 Prozent der Befragten die zunehmende Ungleichheit als eine Bedrohung für die Demokratie erachten. Die Mehrheit – 62 Prozent – der 800 befragten Erwachsenen mit einem Vermögen von über einer Million US-Dollar (ohne ihre Häuser) unterstützt einen internationalen Standard für die Besteuerung der Superreichen. Mit anderen Worten: Es besteht die weit verbreitete Auffassung, dass das derzeitige internationale System veraltet und ungerecht ist und ein hohes Maß an Steuerhinterziehung und -vermeidung durch die Mächtigen begünstigt.
Die Panama Papers, Luxemburg-Leaks und Pandora Papers öffneten den Menschen in aller Welt die Augen.
Dieses Thema rückte erneut in den Fokus, als Brasilien im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft vorschlug, einen weltweiten Standard von mindestens zwei Prozent Steuern zu beschließen, die von den Superreichen der Welt erhoben werden – etwa 3 000 Einzelpersonen. Dazu hat Professor Gabriel Zucman, ein Kollege von mir in der Unabhängigen Kommission zur Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT), im Auftrag der brasilianischen G20-Präsidentschaft einen Bericht verfasst: „A blueprint for a coordinated minimum tax on ultra-high-net-worth individuals“. Dieser wurde im Vorfeld des G20-Gipfels der Finanzminister im Juli herausgegeben und liefert Einblicke in die Umsetzung einer solchen Steuer, die unter anderem von Spanien, Frankreich und Südafrika befürwortet wird. Auch auf dem letzten G7-Gipfel in Italien wurde der Vorschlag Brasiliens aufgegriffen und das Versprechen abgegeben, die internationale Zusammenarbeit in dieser Sache voranzutreiben.
Schon vor einem Jahrzehnt wurden von Whistleblowern einige Finanzskandale aufgedeckt: Die Panama Papers, Luxemburg-Leaks und Pandora Papers öffneten den Menschen in aller Welt die Augen und führten dazu, dass die G20 zusammen mit der OECD einen Reformprozess in die Wege leitete, der in einer „Zwei-Säulen-Lösung“ mündete. Dieser Vorschlag beinhaltet, dass sehr große multinationale Konzerne in allen Ländern, in denen sie Umsätze erzielen, Steuern zahlen sollten (Säule 1) und die globale Einführung einer Unternehmensbesteuerung in Höhe von mindestens 15 Prozent (Säule 2). Dieser Ansatz brachte zwar das Thema voran, ohne aber einen Vorteil für die Entwicklungsländer zu bieten. Enttäuscht von den Ergebnissen und Manipulationen der hochentwickelten Volkswirtschaften, entschieden diese Länder, das Thema vor die Vereinten Nationen zu bringen. Im November 2023 hat die UN-Generalversammlung auf Antrag der Länder der Afrikanischen Union mit großer Mehrheit die Resolution verabschiedet, Verhandlungen über eine UN-Rahmenkonvention zur Zusammenarbeit im Steuerwesen in die Wege zu leiten. Bis August soll ein zwischenstaatliches Ad-hoc-Komitee die Rahmenbedingungen dieser neuen Konvention erarbeiten. Lateinamerika geht derweil voran. Mit der Gründung einer regionalen Plattform für steuerliche Zusammenarbeit in Lateinamerika und in der Karibik stehen die Zeichen gut für eine steuerpolitische Koordination. In diesem Jahr hat Chile den Vorsitz der Plattform inne.
Jahrzehnte der Privatisierung und Kommerzialisierung haben die öffentlichen Dienstleistungen geschwächt und Ungleichheiten verschärft.
Wenn dieser sich ausbreitende Trend zur Zusammenarbeit im Steuerwesen in die richtige Richtung weitergeht, könnten die Entwicklungsländer über die notwendigen Ressourcen verfügen, um in die öffentlichen Dienstleistungen zu investieren und globalen Herausforderungen wie dem Klimanotstand anzugehen – der vergangene Mai war der wärmste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und der zwölfte Monat in Folge mit Rekordtemperaturen auf dem Planeten. Diesen Phänomenen muss dringend mit Investitionen in öffentliche Maßnahmen entgegengewirkt werden. Leider haben Jahrzehnte der Privatisierung und Kommerzialisierung die öffentlichen Dienstleistungen geschwächt und Ungleichheiten verschärft. Hier muss es zu einer Kehrtwende kommen, indem die inländische Ressourcenmobilisierung durch eine Zusammenarbeit im Steuerwesen erhöht wird – wie es Brasilien in der G20 und die Afrikanische Union in den Vereinten Nationen engagiert vorschlugen.
Möglicherweise ist dies auch die einzige Hoffnung für Schwellenländer, die von einer untragbaren Schuldenlast und unkontrollierter Inflation betroffen sind, sich die notwendigen Einnahmen zu sichern, um den gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Durch eine gerechte Besteuerung von multinationalen Konzernen und Superreichen können dringend benötigte Einnahmen erzielt werden. Das wird nicht nur den sozialen Zusammenhalt fördern, sondern auch Instrumente schaffen, um die Bedrohung der Demokratien zu bewältigen. Qualitativ hochwertige Dienstleistungen sind das Fundament jeder funktionierenden Gesellschaft und unser wichtigstes Instrument, um globale Herausforderungen anzugehen und bedeutsame Veränderungen voranzutreiben. Investitionen in gute Dienstleistungen können ein effektives Gegenmittel gegen die realen Bedrohungen durch Extremismus und Populismus sein und damit unsere Zukunft schützen.
Aus dem Englischen von Ina Goertz