Deutschland befindet sich im Wahlkampfmodus, im Wettstreit der Parteien droht die Unterstützung der Ukraine unter die Räder zu kommen. Wie verlässlich diese zukünftig sein wird, wird wesentlich vom Ausgang der Wahl abhängen, die am 23. Februar 2025 fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine stattfinden wird. Bis dahin – und bis zur Verabschiedung eines neuen Haushaltsplans durch eine neue parlamentarische Mehrheit – werden absehbar jedenfalls keine zusätzlichen Mittel für Kiew bereitstehen.

Und das zu einer Zeit, in der die militärische Lage an der Front für die Ukraine zunehmend prekär erscheint und mit dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA am 20. Januar kommenden Jahres ihr bisher mit Abstand wichtigster Unterstützer auszufallen droht. Trump, sein Vizepräsident J.D. Vance und wichtige Mitglieder seines außenpolitischen Teams sind erklärte Gegner einer Fortsetzung der militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine. Trumps Sohn und Berater, Donald Trump Jr., richtete wenige Tage nach der Wahl auf Instagram eine eindeutige Botschaft in Richtung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: „You’re 38 days from losing your allowance“ – „In 38 Tagen verlierst Du Deinen finanziellen Zuschuss“. Nun droht mit Deutschland auch noch der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine – jedenfalls zeitweise – wegzubrechen.

Dabei geht es nicht allein um Finanzmittel und Militärhilfen. Auch die Geschlossenheit des Westens bei der politischen und diplomatischen Unterstützung der Ukraine scheint zunehmend gefährdet. Als lame ducks werden Joe Biden und Olaf Scholz den politischen Druck auf Akteure wie Viktor Orbán nicht wie bisher aufrechterhalten und die Fliehkräfte innerhalb der Unterstützerkoalition der Ukraine eindämmen können. Tatsächlich gilt auch Deutschland selbst unter den Unterstützern der Ukraine offenbar zunehmend als unsicherer Kantonist. Es sollte der europäischen Zentralmacht jedenfalls zu denken geben, wenn der polnische Premierminister Donald Tusk bei seinem Versuch, eine europäische Unterstützergruppe für die Ukraine als Gegengewicht zu Donald Trump zu mobilisieren, einen weiten Bogen um Berlin macht. Hier wurde augenscheinlich bereits viel Vertrauen verspielt.

Die Unsicherheit, die sich vor diesem Hintergrund in der Ukraine breit macht, ist mit Händen zu greifen: So kritisierte Selenskyj das jüngste Telefonat des Bundeskanzlers mit dem russischen Präsidenten am 15. November scharf: „Der Anruf von Olaf öffnet meiner Meinung nach die Büchse der Pandora“, sagte er in seiner abendlichen Videobotschaft. Dahinter steht die Befürchtung, dass die mächtigen Unterstützer der Ukraine einen Deal mit Putin über die Köpfe Kiews und der mittel- und osteuropäischen Partner hinweg verhandeln können.

Noch immer spricht sich eine klare Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen für die militärische Unterstützung der Ukraine aus.

Befürchtet wird, dass sich die deutsche Ukraine-Politik unter dem Druck eines weiteren Erstarkens von AfD und BSW in der Wählergunst im aufziehenden Wahlkampf noch zögerlicher als bisher gestalten könnte. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des vergangenen Europawahlkampfes sowie der Landtagswahlkämpfe in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erscheint dies nicht ganz unbegründet. Selbst ansonsten durchaus entschlossen auftretende Ukraine-Unterstützer wie Friedrich Merz hatten ihre Forderungen – etwa nach der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern – zu Gunsten der Wahlkämpfer im Osten zeitweise deutlich gedämpft. Auch im Bundestagswahlkampf könnten wohlfeile Rufe nach einem vermeintlichen „Frieden“ um fast jeden Preis bei einer von eigenen wirtschaftlichen Sorgen und Ängsten geplagten Bevölkerung eher verfangen als Durchhalteparolen der Ukraine-Unterstützer. Dabei belegen aktuelle Zahlen der Körber-Stiftung, dass noch immer eine klare Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen sich für die militärische Unterstützung der Ukraine aussprechen (im Vergleich zu gerade einmal 25 Prozent, die selbiges auch für Israel fordern). Auch ist eine – wiewohl knappe – relative Mehrheit von 47 Prozent der Deutschen dafür, dass die Ukraine ihren Kampf fortsetzen solle, um das gesamte von Russland besetzte Territorium zurückzuerobern.

Nicht nur eine klare Bevölkerungsmehrheit, auch sämtliche Parteien der demokratischen Mitte tragen die Unterstützung der Ukraine, wiewohl mit unterschiedlichen Akzentuierungen, seit nunmehr fast drei Jahren mit. Sie alle zeigten sich jedoch in den zurückliegenden Wahlkämpfen, wiederum in unterschiedlicher Form, nicht immun gegenüber populistischem Druck – sei es in Form des „Egopazifismus“ einer selbsternannten Friedensbewegung oder einer nationalpopulistischen „Unser Land zuerst“-Rhetorik. Die Risiken – und die potenziellen Konsequenzen – eines Nachgebens gegenüber solchem Druck wären im Bundestagswahlkampf ungleich gravierender als auf Landesebene: Eine tatsächliche, statt nur deklaratorische, Aufgabe oder Reduktion der Unterstützung der Ukraine, zumal zum jetzigen Zeitpunkt, hätte gravierende Folgen für die fundamentalen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland.

Seit nunmehr 1 000 Tagen verteidigt die Ukraine auch unsere Sicherheit und unsere Freiheit.

Seit nunmehr 1 000 Tagen verteidigt die Ukraine auch unsere Sicherheit und unsere Freiheit, indem sie den russischen Imperialismus und Expansionismus in die Schranken weist. Gerade in einer Zeit, in der die US-amerikanische Sicherheitsgarantie nicht mehr in gleicher Weise unbedingt und unbeschränkt gilt wie in der Vergangenheit, wäre es für die Sicherheit Deutschlands und Europas fatal, wenn von der Ukraine das Signal ausginge, dass sich Rechtsbruch und militärische Aggression in Europa auszahlen. Die Aufrechterhaltung der Ukraine-Unterstützung muss daher im gemeinsamen Interesse aller Parteien liegen, die staatspolitische Verantwortung tragen. Um diese Verantwortung gegen populistische Spaltungsversuche abzuschirmen und die Unterstützung der Ukraine gegen wahltaktische Vereinnahmung zu schützen, könnten die Parteien der demokratischen Mitte für den heraufziehenden Wahlkampf einen „Pakt für die Ukraine“ schließen, der sich in seiner Anlage an dem im Mai dieses Jahres von CDU, CSU, SPD, Grünen, FDP und Linkspartei vereinbarten „Kodex für faire Wahlkämpfe“ orientiert: Er markiert gemeinsame Positionen, die zwischen den Parteien der Mitte unstreitig sind und auf deren Grundlage sich den Vertreterinnen und Vertretern der populistischen Ränder begegnen ließe.

Konkret könnte eine solche überparteiliche Vereinbarung zur Ukraine-Politik drei Punkte umfassen: als Erstes ein klares Bekenntnis, dass Russlands Angriff auf die Ukraine und die europäische Friedensordnung nicht erfolgreich sein darf und die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Zweitens die Selbstverpflichtung, die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine fortzusetzen und gegebenenfalls auch den Wegfall der US-Hilfen (teilweise) zu kompensieren. Und drittens die Zusicherung, dass nur die Ukraine selbst über die Aufnahme und Bedingungen von Friedens- beziehungsweise Waffenstillstandsverhandlungen entscheiden kann.

Sofern sich alle Parteien der demokratischen Mitte – und damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch die zukünftigen Koalitionäre – bereits zu Beginn des Wahlkampfs auf diese drei zentralen Punkte verständigen würden, könnte es gelingen, das Thema im Wahlkampf zu de-politisieren und gegen populistische Angriffe von ganz links wie ganz rechts abzuschirmen. Vor allem aber würde sich daraus ein starkes demokratisches Mandat für eine künftige Bundesregierung ergeben, die Unterstützung der Ukraine entschlossen fortzuführen. Dies würde tatsächlich Verlässlichkeit bedeuten – für die Ukraine, aber auch für unsere internationalen Partner und die Rüstungsindustrie. Wenn die Spitzenkandidaten der Parteien der demokratischen Mitte zu Beginn der heißen Wahlkampfphase zusammenkämen, um einen solchen „Pakt für die Ukraine“ zu unterzeichnen, dann würden sie am Vorabend der Amtseinführung von Donald Trump ein wichtiges Signal der Entschlossenheit und Verlässlichkeit der deutschen und europäischen Ukraine-Politik senden.