Dass Elon Musk in vielen Hinterzimmern der Macht nicht eben wohlgelitten ist, dürfte kaum jemanden überraschen. Den derzeit mal wieder reichsten Mann der Welt umweht seit jeher eine Aura juveniler Unberechenbarkeit – sowohl privat, wo der Vater von zwölf Kindern gerne mit kuriosen Namensneuschöpfungen („X Æ A-Xii“) für seinen Nachwuchs auf sich aufmerksam macht, als auch in politischen Angelegenheiten. Während andere Superreiche sich dezent im Hintergrund halten und es bei der üblichen Kontaktpflege oder dem Bereitstellen von Wahlkampfmitteln belassen, drängt es ihn spätestens seit dem Kauf des (in X umbenannten) Kurznachrichtendienstes Twitter immer mehr ins Rampenlicht, positioniert er sich als Streiter für Meinungsfreiheit und kritisiert die Wokeness, die sich an allen Schlüsselstellen der US-Gesellschaft bereit gemacht habe.

Nicht selten reicht dabei bereits ein Retweet oder ein dahingehuschter Zweizeiler, um eine öffentliche Kontroverse auszulösen. Nachdem etwa der umstrittene Satiriker Sebastian Hotz (alias „El Hotzo“) jüngst eine reichlich geschmacklose Wortmeldung zum Attentat auf Donald Trump in die Weiten des Netzes gesandt hatte, richtete Musk das digitale Wort an niemand anderen als Olaf Scholz: „@Bundeskanzler, was ist das?“, fragte er und erhob den Humorblindgänger eines 28-jährigen Franken so in den faktischen Rang einer Staatsaffäre.

Seine Vertrautheit mit echten Staatsaffären stellte Musk wiederum diesen Montag unter Beweis. Da flatterte ihm nämlich ein Schreiben des französischen EU-Kommissars Thierry Breton – selbst ehemaliger tech executive, eingefleischter Macron-Verbündeterund seit 2019 verantwortlich für den europäischen Binnenmarkt – auf den Schreibtisch, in dem unmissverständlich vor rechtlichen Folgen gewarnt wurde, sollte es im Zuge eines angekündigten Gesprächs zwischen Musk und Trump („einer Live-Konversation zwischen einem US-Präsidentschaftskandidaten und Ihnen“) zu Verstößen gegen den europäischen Digital Services Act (DSA) kommen. Dessen umfangreiches Regelwerk sieht unter anderem Maßnahmen zur Regulierung der Inhalte großer Onlineplattformen vor: Fehlinformationen sollen so eingedämmt, gewaltverherrlichende Sprache entfernt, Hass und Hetze frühzeitig erkannt und unterbunden werden.

Breton insinuierte nun, dass gerade die Konversation mit Trump diesem Ziel zuwiderlaufe; er schrieb von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, von Risikoprofilen und der Verbreitung von Inhalten, die „zu Gewalt, Hass und Rassismus“ anstacheln würden. Zuletzt erklärt er Musk in kämpferischem Tonfall, er und sein Team blieben „äußerst wachsam gegenüber allen Anzeichen, die auf Verstöße gegen den DSA hinweisen“, und wollten diese auch in die anstehende Gesamtbewertung „der Einhaltung europäischen Rechts [auf X]“ aufnehmen.

Der Staat aber hat sich aus den Meinungen seiner Bürger herauszuhalten, sofern diese nicht einen unmittelbaren Aufruf zu Straftaten beinhalten.

Nun gibt es keinen Zweifel, dass das Internet aus deliberativer Sicht etliche Probleme bereithält und man sich gerade auf X häufig zivilere Umgangsformen wünschen würde. Doch verdeutlicht der Brief aus Brüssel vor allem das diesen Wunsch übersteigende (und für den Betrachter reichlich blasiert daherkommende) Unvermögen europäischer Entscheidungsträger, bei der Durchsetzung ihrer Rechtsvorstellungen abweichende Perspektiven auch nur im Ansatz miteinzubeziehen. Die Idee, Plattformen mit rechtlichen Mitteln zum kleinteiligen Unterbinden problematischer Beiträge zu nötigen, erscheint dem an andere Vorstellungen von freedom of speech gewöhnten Amerikaner schlechterdings als autoritäre Anmaßung; das Beharren darauf mithin als Ausweis einer unfreien, unter meinungsmonopolistischer Kuratel stehenden Gesellschaft.

Das bedeutet nicht, dass man in Übersee etwas gegen private Konsequenzen einzuwenden hätte – wenn einen der Arbeitgeber nach einer über das Ziel hinausschießenden Äußerung vor die Tür setzt, der Sandkastenfreund die Beziehung aufkündigt oder der Plattformbetreiber einen Inhalt von seiner Seite entfernt, ist das deren gutes Recht. Der Staat aber hat sich aus den Meinungen seiner Bürger herauszuhalten, sofern diese nicht einen unmittelbaren Aufruf zu Straftaten beinhalten. In der bekannten Supreme-Court-Entscheidung zu Brandenburg v. Ohio (1969) heißt es entsprechend: „Ein Gesetz, das diese Unterscheidung nicht trifft, stellt einen unzulässigen Eingriff […] dar. Es erfasst mit seiner Verurteilung die [öffentliche] Rede, die unsere Verfassung staatlicher Kontrolle enthoben hat.“

Inwiefern eine solche Schrankenlosigkeit sinnvoll ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Auch in Europa gibt es bekanntlich nicht die eine best practice beim Austarieren des Verhältnisses von Meinungsfreiheit und anderen schützenswerten Rechtsgütern, sondern einen mit diversen nationalen Eigenheiten gespickten Flickenteppich des Verbotenen. In Griechenland und auf Zypern etwa steht die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe, in Frankreich gibt es das immer wieder verschärfte Gesetz „gegen Anstiftung zum Rassenhass“ und hierzulande bekanntlich die Volksverhetzungsnorm im Strafrecht.

Es ist auch durchaus möglich, sich die Position der Kommission zu eigen zu machen und in dem „beispiellosen Maß an öffentlicher Aufsicht über Online-Plattformen in der gesamten Union“ (so die Pressemitteilung zum DSA) tatsächlich ein wichtiges Operationsmanöver auf dem diskursiv einflussreichsten Schlachtfeld unserer Tage zu sehen. Doch selbst in diesem Fall stellt sich die Frage, ob Bretons nassforsche Kampfansage an Musk geeignet ist, dieses Ziel zu befördern.

Formal mag der Franzose recht damit haben, dass die Inhalte von X auch in Europa abrufbar sind und folglich in diesen Fällen den Bestimmungen des DSA unterliegen. Politisch aber dürfte er sich ordentlich vergaloppiert haben, denn erstens wirkt das Versenden eines in holpriger Prosa abgefassten Drohbriefs an den Privatmann Musk höchst unprofessionell. Zweitens muss der Verweis auf das Gespräch mit Trump selbst dem Gutmütigsten als kommissionsseitiges Foul im Sinne einer ungebührlichen Einmischung in den US-Wahlkampf erscheinen. Und drittens überschätzt Breton offenbar den Respekt, den man ihm als Digitalregulator an amerikanischen Gestaden zu zollen bereit ist. Niemand dort wartet auf einen Europäer, der sich zum obersten Richter über die Tweets dieser Welt aufspielen will.

Niemand dort wartet auf einen Europäer, der sich zum obersten Richter über die Tweets dieser Welt aufspielen will.

Dies umso mehr, als es sich bei Musk um jemanden handelt, der mit seiner kontroversen Plattformpolitik und seinem wachsenden Engagement für die Sache der US-Konservativen eine leicht auszumachende Profilierungsfläche darstellt. Zu Beginn der republikanischen Vorwahlen noch als Unterstützer von Floridas Gouverneur Ron DeSantis in Erscheinung getreten, hat der 53-Jährige sich in den letzten Monaten immer mehr dem Trump-Lager angenähert und dürfte heute mit Finanzgrößen wie Bill Ackman und Marc Andreessen zu den prominentesten Unterstützern des Immobilientycoons in der Geschäftswelt zählen. Eine Paarung, die auch abseits des Politischen naheliegt, eint beide doch eine Vorliebe für den großen Auftritt, ein intuitives Gespür, wann welche Taste auf der Klaviatur der Aufmerksamkeitsökonomie zu betätigen ist – und ein Talent, den Kopf immer wieder aus der Schlinge zu ziehen und den eigenen Willen auch gegen erhebliche Widerstände durchzusetzen. Zuletzt aber schien ihre Liaison in eine neue Phase eingetreten zu sein: So rief Musk ganz offen zur Wahl Trumps auf und wurde im Gegenzug von dessen ältestem Sohn Donald Jr. als zukünftiger Vorsitzender eines von seinem Vater einzuberufenden „Effizienzkomitees“ ins Gespräch gebracht. Für einen ambitionierten EU-Regelhüter mit liberalen credentials also durchaus ein lohnenswertes Zielobjekt. Zumal Breton, ähnlich wie seine für Wettbewerbsfragen zuständige Kollegin Margrethe Vestager, seit jeher den Eindruck eines gewissen Sendungsbewusstseins versprüht.

Allerdings ist Vestagers Stern spätestens seit der Covid-19-Pandemie stark im Sinken begriffen und auch Bretons eigenmächtiges Vorgehen stößt im Berlaymont, dem Sitz der Kommission, scheinbar nicht überall auf Gegenliebe. Wenig zeigt dies deutlicher als die Reaktion Ursula von der Leyens, die ihren übermütigen Binnenmarktkommissar schon kurz nach Einsetzen der Berichterstattung konsterniert zurückpfiff. Dessen Brief, so hieß es, sei nicht abgesprochen gewesen und gebe auch nicht die Position der Kommission wieder – eine Distanznahme, aus der sich Überraschung ebenso wie aufsteigender Unmut ablesen lässt.

„Die EU mischt sich nicht in fremde Wahlkämpfe ein [und sollte jeden derartigen Eindruck vermeiden]“, zitiert etwa das Magazin POLITICO einen anonymen Funktionär, der verärgert hinzusetzt, die Implementierung des DSA sei viel „zu bedeutend, als dass sie von einem aufmerksamkeitsheischenden Politiker auf der Suche nach dem nächsten Posten“ missbraucht werden dürfe. Und auch die X-Vorstandsvorsitzende Linda Yaccarino nahm den Ball gerne auf und schimpfte ihrerseits über Bretons Versuch, der amerikanischen Öffentlichkeit europäisches Recht überzustülpen. Ganz zu schweigen von den zahlreichen EU-Bürgern, denen er offenbar die Fähigkeit abspreche, sich selbst ein Bild der Dinge zu machen. Meinungsfreiheit, die Zweite.

Erwartungsgemäß kam zum Schaden noch der Spott hinzu, denn auch Musk selbst reagierte keineswegs konziliant auf die Post aus Brüssel. Stattdessen postete er ein der Actionkomödie Tropic Thunder entlehntes Meme, dessen nicht jugendfreier Begleittitel den Betrachter auffordert, „sich ins Gesicht zu f*cken“ – und setzte gehässig zu, dass dies allein Illustrationszwecken diene und er selbstverständlich „NIEMALS eine so freche und unverantwortliche“ Antwort geben würde. Mit Sicherheit ebenfalls kein feiner Zug, doch angesichts der Schärfe der Provokation durchaus erwartbar.

Für den Multimilliardär ist die Affäre so jedenfalls zur goldenen Gelegenheit geworden, sich in seiner Paraderolle als Kämpfer gegen bürokratische Allmachtsfantasien zu gerieren. Und für sein französisches Gegenüber zur verlorenen Kraftprobe, die ihn nicht zuletzt einiges an Goodwill von Seiten der alten und neuen Kommissionspräsidentin gekostet haben dürfte. Die bastelt derzeit ohnehin an ihrer neuen Mannschaft und kann unnötige Nebenkriegsschauplätze dabei ebenso wenig gebrauchen wie einen Affront gegen Musks Gesprächspartner Trump, der nach wie vor gute Chancen hat, neuer US-Präsident zu werden. Nicht unwahrscheinlich, dass die ganze Angelegenheit noch ein internes Nachspiel haben wird. Vielleicht ja schon bei der anstehenden Zuschneidung und Verteilung der Brüsseler Ressorts.