In den 1920er und frühen 1930er Jahren lieferte sich John Maynard Keynes Auseinandersetzungen mit den „Austeritätsbefürwortern“ seiner Zeit. Letztere waren der Ansicht, es brauche einen ausgeglichenen Staatshaushalt – selbst in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit, Schwäche und Fragilität –, um das „Vertrauen der Anleger“ wiederherzustellen und so für Stabilität zu sorgen. Für Keynes war dies eine geradezu furchtbare Vorstellung.
In Zachary Carters herausragender Keynes-Biografie heißt es, dessen Meinung nach wären Maßnahmenpakete mit Kürzungen der staatlichen Ausgaben sowie Steuererhöhungen „sowohl fruchtlos als auch katastrophal“. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit sei es ein Affront, wenn Lehrpersonal oder Arbeitslose die ganze Last der Abwertung einer den Bach heruntergehenden Währung zu tragen hätten – nur damit der Staatshaushalt ausgeglichen bleibt. Noch schlimmer sei es, den Schuldnerländern Sparmaßnahmen aufzuerlegen, wie es amerikanische Banken damals von mehreren europäischen Staaten verlangten.
Keynes sorgte sich nicht nur um die mangelnde Wirksamkeit und die negativen Verteilungseffekte der Austeritätspolitik. Er befürchtete, dass solche Maßnahmen vor allem die arbeitende Bevölkerung entfremden könnte, dass die Menschen das Vertrauen in ihre politischen Führungspersönlichkeiten verlieren und damit empfänglich werden könnten für rechte Demagogie sowie für Aufrufe zur Gewalt. Seinen Argumenten wurde kein Gehör geschenkt – der Faschismus breitete sich in Europa aus. Die Deflation in Deutschland unter Kanzler Heinrich Brüning führte zu einem Heer von sechs Millionen Arbeitslosen, als Adolf Hitler Anfang 1933 die Macht übernahm.
Fast ein Jahrhundert später – und nach mehr als 100 weiteren Staatsschuldenkrisen – scheinen die für die globale Wirtschaftspolitik Verantwortlichen jedoch nichts gelernt zu haben. Man sagt, wer aus Fehlern nicht lernt und auf die Geschichte nicht hört, der muss fühlen. Leider werden die schlimmsten Auswirkungen der Entscheidungen der Mächtigen nicht von ihnen selbst gespürt und getragen, sondern von anderen.
Sehen wir uns nur an, wie aktuell auf Staatsschuldenkrisen in vielen Ländern mit niedrigem und mittlerem Volkseinkommen reagiert wird. Ein wirksamer Umgang mit ihnen würde rechtzeitiges, faires und überlegtes Handeln erfordern. Maßnahmen müssten so gestaltet sein, dass sie den Volkswirtschaften helfen, aus den Schulden herauszuwachsen, anstatt mit brutalen wirtschafts- und finanzpolitischen Mitteln Rückzahlungen zu erzwingen. Verzögerungen und Warten vergrößern das Problem nur noch weiter und verschlimmern damit das menschliche Leid in diesen Ländern.
1951 schlossen sich die wichtigsten Gläubiger Deutschlands zusammen, um ein Schuldenerlass-Paket zu schnüren.
Wenn man Staaten, die bereits unter einem Wirtschaftsabschwung und sinkender Beschäftigung leiden, Sparmaßnahmen und einen „ausgeglichenen Haushalt“ aufzwingt, verschlimmert man ihren wirtschaftlichen Niedergang nur noch und setzt die ohnehin schon darbenden Menschen noch stärker unter Druck. Wie Keynes für das Europa der 1930er Jahre vorhergesehen hatte, können die daraus resultierende Ungerechtigkeit und die Unzufriedenheit der Massen äußerst unangenehme, ja sogar tödliche politische Folgen haben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden solche potenziellen Auswirkungen von der internationalen Gemeinschaft mit Blick auf den massiven Staatsschuldenüberhang Westdeutschlands erkannt (der Sieg über den Faschismus hatte auch in finanzieller Sicht viel gekostet). Die wichtigsten Gläubiger Deutschlands schlossen sich 1951 zusammen, um ein Schuldenerlass-Paket zu schnüren. Dieses Paket hätte als Vorlage für spätere Schuldenerlassprogramme dienen können und sollen. Es beinhaltete den vollständigen Erlass von etwa der Hälfte der Schulden, während die Rückzahlungen für den verbleibenden Teil auf drei Prozent der jährlichen deutschen Exporteinnahmen begrenzt wurden.
Vergleichen wir dies mit der Vorgehensweise bei Ländern, die heute mit einer explodierenden Schuldenlast zu kämpfen haben. Für viele von ihnen ist die Rückzahlung schwierig (wenn nicht gar unmöglich), da sich viele Einflüsse ihrer Kontrolle entziehen: Sei es die Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Im- und Exporte, die Preissteigerungen auf den globalen Lebensmittel- und Kraftstoffmärkten seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine oder die höheren Zinssätze in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, die dazu geführt haben, dass Finanzmittel zurück in diese Länder fließen.
Im vergangenen Jahrzehnt wurden die meisten Länder mit niedrigem und mittlerem Volkseinkommen dazu angehalten, mehr Kredite aufzunehmen.
Im vergangenen Jahrzehnt wurden die meisten Länder mit niedrigem und mittlerem Volkseinkommen dazu angehalten, mehr Kredite aufzunehmen. Dies geschah vor allem über Anleihemärkte, die angesichts der anhaltend niedrigen Zinssätze und einer globalen Liquiditätsschwemme plötzlich an riskanteren Schulden interessiert waren. Dies wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) wohlwollend zur Kenntnis genommen und vom Weltwirtschaftsforum bejubelt (das auf seiner gerade stattfindenden Jahresversammlung die aktuelle Situation recht nüchtern als einen „kritischen Scheidepunkt diverser Krisen“ bezeichnet). Für viele Staaten war die Entwicklung hingegen von Anfang an unhaltbar, und die jüngsten Ereignisse haben dazu geführt, dass selbst Staaten, die als „verantwortungsbewusster“ gelten, mit Rückzahlungsproblemen zu kämpfen haben.
Tatsächlich ist seit mindestens drei Jahren offensichtlich, dass mehrere Länder angesichts der bestehenden Verschuldung vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Dennoch hat die internationale Gemeinschaft, insbesondere die G20, bisher inakzeptabel langsam reagiert.
Seit mindestens drei Jahren ist offensichtlich, dass mehrere Länder angesichts der bestehenden Verschuldung vor der Zahlungsunfähigkeit stehen.
Die Debt Service Suspension Initiative (Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes) vom Mai 2020 war ein Tropfen auf den heißen Stein und verschob die unvermeidliche Abrechnung nur nach hinten. Im darauffolgenden November wurde das Folge-Dokument Common Framework for Debt Treatments auf den Weg gebracht. In diesem Rahmen sollten sowohl die öffentlichen als auch die privaten Gläubiger in die Umstrukturierung der Schulden einbezogen werden, wobei die Zahlungsfähigkeit der Schuldner stets berücksichtigt und ihnen die Möglichkeit gegeben werden sollte, wichtige Ausgaben weiterhin zu tätigen. Bisher hat jedoch kein einziges Land davon profitiert, obwohl mehrere Staaten bereits zahlungsunfähig sind, beziehungsweise kurz davor stehen, es zu werden.
Der gemeinsame Rahmen ist auf die besonders einkommensschwachen Länder limitiert, was eine wesentliche Einschränkung darstellt. Schlimmer noch, der IWF verlangt von zu vielen Schuldnerländern weiterhin, dass sie so schnell wie möglich ihre Haushalte ausgleichen oder sogar Überschüsse erzielen. Im Gegenzug bietet der Währungsfonds winzige Dosen sofortiger Zahlungsbilanzhilfe, wie beispielsweise die Verhandlungen mit Sri Lanka zeigen. Dieser Ansatz muss endlich geändert werden, heißt es unter anderem in einer gemeinsamen Erklärung, die ich zusammen mit über 180 Wirtschaftsexperten unterzeichnet habe.
Außerdem ist es nicht damit getan, lediglich alle offiziellen/staatlichen Gläubiger an einen Tisch zu bringen – wie es bereits in Sambia und im Tschad geschehen ist. Vielmehr geht es auch um die privaten Gläubiger. Diese haben sich bisher grundsätzlich geweigert, sich an einer Lösung zu beteiligen, und verlangen weiterhin die volle Rückzahlung der Schulden, obwohl sie von den höheren Renditen aufgrund der höheren Risikoprämien, die solche Schulden mit sich bringen, erheblich profitieren. Selbst bei den staatlichen Gläubigern ist die hartnäckige Weigerung der internationalen Finanzinstitutionen, die eigenen Schulden zu reduzieren, immer schwerer zu rechtfertigen.
Eine sinnvolle Schuldenregulierung erfordert die aktive Beteiligung der privaten Gläubiger.
Eine sinnvolle Schuldenregulierung erfordert die aktive Beteiligung der privaten Gläubiger. Wenn dabei jedoch auf Freiwilligkeit gesetzt wird, wird dies schlichtweg nicht geschehen. Ein Teil der Maßnahmen muss in die Rechts- und Regulierungssysteme für New York und London verlagert werden, wo der größte Teil der internationalen Schuldverträge abgeschlossen wird. Gesetzliche Änderungen in den Rechtssystemen der USA und des Vereinigten Königreichs könnten staatliche Schuldner zu einer ähnlichen Vorgehensweise wie private Schuldner berechtigen, einschließlich der Möglichkeit eines Schuldenerlasses.
Ohne eine rasche Lösung, die alle Parteien einbezieht, werden immer mehr Schuldnerländer nicht nur mit mangelnder Liquidität, sondern auch mit drohender Zahlungsunfähigkeit zu kämpfen haben. Das wird Ungleichheit, Instabilität und Konflikte innerhalb sowie zwischen den Staaten verschärfen. Wir sollten endlich aus der Geschichte lernen.
© Project Syndicate
Aus dem Englischen von Tim Steins