Der neugewählte griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras jagt alteingesessenen Parteien Angst und Schrecken ein. Seine Botschaft im krisengebeutelten Griechenland besteht aus zwei Kernaspekten: Erstens dem Ende der Fremdherrschaft durch Troika, Europa und Merkel und zweitens aus dem Versprechen der sozialen Gerechtigkeit. Im Kern geht es um Freiheit (von fremdem Einfluss), Gleichheit (aller Europäer in Europa) und um soziale Gerechtigkeit.

 

Wilderer in sozialdemokratischen Jagdgründen

Tsipras verkörpert einen neuen Politikertypus, der in Südeuropa zunehmend häufiger anzutreffen ist. Jung, smart und dynamisch, greift er die von links an und wildert tief in den klassischen Jagdgründen der europäischen Sozialdemokratie. Seinen ersten stolzen Zwölfender hat er auch schon an der Wand hängen: die langjährige griechische Regierungspartei PASOK existiert nur noch als Splitterpartei. Ihre 44 Prozent von 2009 sind längst Geschichte. Der ehemalige Ministerpräsident Georgios Papandreou hat es noch nicht einmal mehr ins Parlament geschafft. Tsipras wird Ministerpräsident und zum ersten Mal seit 1928 wird kein Mitglied der Familie Papandreou mehr im Parlament sitzen.

Tsipras droht, in den dunklen Wald der Links- und Rechtspopulisten in Europa abzudriften.

Auch sein neues Jagdrevier hat Tsipras bereits abgesteckt: Europa soll es sein, darunter macht es der ehemalige Spitzenkandidat der europäischen Linken nicht mehr. „Griechenland geht voran – Europa verändert sich“, lautete sein Slogan im Wahlkampf. Damit reiht er sich in eine etwas disparate Gruppe junger Wilder ein, die ebenfalls entweder dorthin unterwegs oder bereits angekommen sind. Matteo Renzi, der italienische Ministerpräsident ist, wenn auch kein Parteifreund, dann doch Bruder im Geist. Manuel Valls, der französische Premier, wäre ebenfalls ein passendes Mitglied der roten Boygroup. Allerdings ist er durch die tragende Rolle Frankreichs ein wenig gehemmt. Beide sind zwar im Lager der Sozialdemokraten verortet, sorgen aber von Innen für Unruhe. Und dann ist da noch Pablo Iglesias, der Podemos-Vorsitzende aus Spanien. Er ist Freund und Parteigenosse von Tsipras, der seiner heimischen Sozialdemokratie ebenfalls den Kampf angesagt hat. Schon im Herbst will er das Halali auf die stolze Partei von Felipe Gonzalez anstimmen.

Alexis Tsipras sieht sich selbst als Vorreiter dieser jungen Wilden und muss nun auch vorlegen. Er ist nun Ministerpräsident des europäischen Krisenstaates par excellence. Und doch findet er dort bessere Bedingungen vor, als seine beiden Vorgänger Samaras und Papandreou. Der Haushalt ist vor Schuldendienst ausgeglichen. Die beiden ehemaligen Volksparteien haben die tiefsten Spareinschnitte auf sich genommen und damit dem jungen Linken das Feld bestellt.

Die beiden ehemaligen Volksparteien haben die tiefsten Spareinschnitte auf sich genommen und damit dem jungen Linken das Feld bestellt.

Daher kann Tsipras nun eine Diskussion aufgreifen, die europäische Sozialdemokraten zu Beginn der Eurokrise einmal zaghaft begonnen hatten, dann aber aus Angst vor unpopulären Maßnahmen schnell wieder fallen ließen: Schuldenschnitte oder Streckungsmodelle, öffentliche Wachstumsinitiativen à la Marshallplan oder Sparprogramme, Vermögensabgaben statt Arbeitsmarktliberalisierung. Für Europa ist dies eine wichtige und notwendige Debatte und die positiven Reaktionen auf den Wahlsieg von Tsipras aus Brüssel haben deutlich gemacht, dass sie nun wieder aufgenommen wird.

Aber Alexis Tsipras kann diese Debatte nur dann aus einer starken Position heraus führen, wenn er seine Hausaufgaben macht. Dazu gehört auch, ein griechisches Reformprogramm auf den Weg zu bringen. Denn nur dann ist Griechenland als Ökonomie und auch als Gesellschaft in der Lage, eine Schuldenrestrukturierung oder öffentliche Wachstumsimpulse in Wachstum und Arbeitsplätze umzusetzen. Die Vergangenheit bis 2010 hat gezeigt, dass europäische Gelder an Griechenland dort oft in einem Morast aus Korruption, Verschwendung und Fehlallokation versickert sind. Die Hauptgründe dafür lagen und liegen noch heute in der öffentlichen Verwaltung, der Steuerung der europäischen Mittel sowie den lokalen Strukturen. Das am Wahlabend groß in Athen verkündete „griechische Reformprogramm“ von Alexis Tsipras muss diese Missstände beseitigen. Und das ist auch das größte Hindernis auf seinem Weg in die europäischen Jagdgründe. Denn mit den Rechtspopulisten der „Unabhängigen Griechen“ um Panos Kammenos hat er sich einen Partner in die Regierung geholt, mit dem man sich nur schwer eine Politik vorstellen kann, die Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Ihre Existenzgrundlage ist die Gegnerschaft zum Memorandum.

Die eher bizarre kleine Partei kann daher zwar mit Verschwörungstheorien, antideutschen Parolen und migrationsfeindlichen Äußerungen punkten, konstruktive Vorschläge für eine sozial ausgewogene Politik oder auch eine kluge europäische Verhandlungsstrategie findet man kaum. Mit diesem Jagdgehilfen wird es Tsipras schwer fallen, die europäische Sozialdemokratie anzugehen. Stattdessen droht er damit, in den dunklen Wald der Links- und Rechtspopulisten in Europa abzudriften. Dort wird er schon sehnlich erwartet: Marine le Pen hat seinen Sieg als Anfang vom Ende Europas begrüßt. Sie wird sich freuen, ihn jetzt in Begleitung von alten Bekannten der französischen Rechtspopulisten anzutreffen.