Rechtsruck in Deutschland, Rechtsruck in Frankreich, Rechtsruck in Italien – bei den Analysen zur Europawahl dominiert Trübsal wegen der Erfolge von Rechtsaußen. Dabei fällt oft hinten runter, dass sich die radikale Rechte europaweit durchaus deutlich mehr erhofft hatte – und dass es auch Erfolge auf der anderen Seite des politischen Spektrums gab. Von den Taktiken kleiner Linksparteien lässt sich durchaus etwas lernen.
Knapp drei Prozent erreichten die Kommunisten in Österreich bei den Europawahlen. So nah waren sie einem Mandat seit Menschengedenken nicht gekommen. Und dabei war das noch ein eher schlappes Ergebnis: Ein besserer Wahlkampf, ein wahrnehmbarerer Kandidat, und es wäre mehr möglich gewesen. Denn die KPÖ fährt seit einigen Jahren regional und kommunal bemerkenswerte Wahlergebnisse ein: In Graz holten die Kommunisten 2021 fast 29 Prozent und stellen seither die Bürgermeisterin. Bei den Landtagswahlen im rustikalen Bundesland Salzburg erreichte die KPÖ im Vorjahr knapp 12, bei den Gemeinderatswahlen in der Stadt Salzburg in diesem Frühjahr 23 Prozent. Und beinahe aus dem Stand kamen die Kommunisten kurz darauf in Innsbruck auf fast sieben Prozent, eine andere akzentuierte Links-Liste auf fünf Prozent; in Summe haben kommunistische und linksalternative Listen also beinahe 12 Prozent auf sich vereinigt.
Auf kommunaler Ebene haben sich die Kommunisten in einigen Städten als volksnahe Kümmererpartei etabliert.
Auf kommunaler Ebene haben sich die Kommunisten in einigen Städten – Graz und Salzburg sind nur die größten – als volksnahe Kümmererpartei etabliert, die sich der Sorgen der Menschen annimmt, vor allem gegen die Wohnungsnot und explodierende Mieten kämpft, und deren Frontleute sich mit einem Facharbeiter-Einkommen zufriedengeben und den Rest des Lohns an Sozialfonds überweisen. Hinzu kommt: In Graz und Salzburg haben sie mit Elke Kahr und Kay-Michael Dankl extrem gewinnende, überzeugende Spitzenkandidaten. Kahr ist heute Bürgermeisterin in Graz, Dankl Vize-Bürgermeister in Salzburg. Das ist ein durchaus österreichisches Phänomen, da die KPÖ heute als beinahe ideologiefreie „Kleine-Leute-Partei“ auftritt, der man vertrauen kann. Bisher hatte sich in der Alpenrepublik noch keine Partei links von Sozialdemokraten und Grünen wirklich etablieren können.
In Österreich ist dieser Prozess also neu, während in anderen Ländern prononcierte Linksparteien schon etabliert sind. So brachten die Europawahlen durchaus bemerkenswerte Erfolge für radikalere Linksparteien. In Schweden etwa konnten sich, nach den Niederlagen bei den Parlamentswahlen, die Linken generell stabilisieren: Die Sozialdemokraten gewannen leicht dazu, die Linkspartei sogar massiv. Bemerkenswert auch das Ergebnis in Dänemark: Die linksgrüne „Sozialistische Volkspartei“ (Socialistisk Folkeparti) gewann stark, während die Sozialdemokratie dramatisch abstürzte. Die Linkspartei liegt jetzt bei 17,4 Prozent, die Sozialdemokraten bei 15,6. Das ist auch deshalb bemerkenswert, da die Sozialdemokratie von Premierministerin Mette Frederiksen mit ihrem harten Migrationskurs eigentlich als Blaupause für eine „rechtere“ Sozialdemokratie galt und von vielen Kommentatoren als erfolgversprechend hingestellt wurde. Die Socialistisk Folkeparti, die anders als die KPÖ seit Jahren eine fixe Größe in ihrem Land ist, verband die ökologische Frage klug und schlau mit dem Thema der Lebenshaltungskosten. Botschaft: Erneuerbare Energien auszubauen, ist gut für das Klima und senkt die Energiepreise.
Dass jenseits der etablierten sozialdemokratischen Parteien Linksparteien bestehen oder aufsteigen, ist gewiss nicht gänzlich neu. Frankreich hatte lange eine starke kommunistische Partei, Spanien ebenso, und dass in den skandinavischen Ländern mit ihren heterogenen Parteiensystemen prononcierte Linksparteien sogar an Regierungen beteiligt sind, ist eine Art regionaler Gewohnheit. Im Zuge der Finanz- und Eurokrise ab dem Jahr 2008 sind vor allem in Südeuropa starke Parteien entstanden, die eine Art von Bündnis aus linksradikalen Zirkeln, alternativen Lebenskulturen und neuen linken Basisbewegungen waren. Allen voran Syriza in Griechenland – die Allianz der radikalen Linken, deren Spitzenmann Alexis Tsipras zwei Perioden als Premierminister amtierte – oder etwa Podemos in Spanien. In Deutschland war zeitweise „Die Linke“ stark, weil sie sich einerseits auf die regionale Verankerung der früheren „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) in Ostdeutschland, andererseits auf die Unzufriedenheit sozialdemokratischer Milieus mit der Agenda 2020 stützen konnte. In Frankreich profitierte La France insoumise des altbacken-populistischen Jean-Luc Mélenchon wiederum vom zeitweiligen De-facto-Kollaps der Parti Socialiste.
Linksparteien profitieren heute da, wo es Unzufriedenheit mit den Sozialdemokraten und anderen Mitte-links-Parteien in deren eigenen Wählermilieus gibt.
Linksparteien profitieren heute da, wo es Unzufriedenheit mit den Sozialdemokraten und anderen Mitte-links-Parteien in deren eigenen Wählermilieus gibt – sei es, weil diese in Regierungskoalitionen feststecken, sei es, weil sie als gemäßigte Mittelklasseparteien „langweilig“ geworden sind oder bürokratisch verknöchert sind, eine unerträgliche Funktionärssprache sprechen und undurchlässig für junge Aktivistinnen und Aktivisten sind. Die KPÖ etwa setzt stark auf soziale Fragen und das Wohnungs- und Mietthema und präsentiert sich als jene Partei, die die Stimme jener ist, die keine Stimme haben. Ihre Wahlerfolge erklären sich auch mit der Mobilisierung bisheriger Nichtwähler. Dort, wo die KPÖ den Protest, den Zorn und einfach die Unzufriedenheit mobilisiert, wachsen daher auch die Bäume der rechten Populisten nicht in den Himmel.
Bei allen Unterschieden, was die Umstände anbelangt, gibt es zumindest ein Muster, das in praktisch allen westeuropäischen Ländern anzutreffen ist: Der heutige Zeitgeist ist Amtsinhabern nicht günstig. Linksparteien wie die Kommunisten sind selten Amtsinhaber – was so gesehen heute ein Vorteil ist. Wenn sie es schaffen, den vorhandenen Unmut und Frust zu repräsentieren und zugleich Konzeptionen von „Hoffnung“ und „Wandel“ zu artikulieren, dann können sie Erfolge einfahren, die vor einigen Jahren noch eher unwahrscheinlich schienen.