In Spanien hat ein Misstrauensvotum gegen den konservative Regierungspräsident Mariano Rajoy den Sozialdemokraten Pedro Sánchez überraschend zum neuen Regierungschef Spaniens gemacht. Was ist da passiert?
Seit 2011 amtierte der konservative Regierungspräsident Mariano Rajoy von der Partido Popular (PP), zuletzt mit einem Minderheitskabinett. So manche Krise hat er stur und stoisch überstanden. Zuletzt verlor er im Zeichen schlechter Umfragen indes selbst in der eigenen Partei an Rückhalt, agierte ohne Lösungsperspektive in der Katalonienfrage, stand hilflos immer neuen Korruptionsskandalen seiner PP gegenüber und glänzte durch aussitzen und Stillstand.
Mit 180 zu 169 Stimmen setzte sich nun am Freitag, den 1. Juni die Anti-Rajoy Koalition durch und installierte den Sozialdemokraten Pedro Sánchez als neuen Regierungschef Spaniens. Erstmals in der Geschichte der Demokratischen Verfassung nach 1977 gab es ein erfolgreiches Misstrauensvotum. Noch am Samstag ernannte der König ihn offiziell zum neuen Regierungspräsidenten. Spätestens am Donnerstag rechnen die politischen Beobachter mit der neuen Ministerriege.
Wer ist der neue Regierungschef Pedro Sánchez?
Der 46-jährige Volkswirt begann seine politische Laufbahn im Jahr 2000, fungierte als Berater der Regionalregierung von Madrid und arbeitete später Ministerpräsident Zapatero zu. 2014 setzte er sich als neuer Chef derSozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) durch, wurde aber nach zwei verlorenen Wahlen und zwei vergeblichen Anläufen einer Regierungsbildung im Herbst 2016 von der Mehrheit der eigenen Abgeordneten und PSOE-Regionalvorsitzenden zum Rücktritt gezwungen. Dann das Comeback: im Mitgliederentscheid vom Mai 2017 kehrte er mit einem basisdemokratischen und mehr linkem Profil an die Spitze der Partei zurück. Nun rückt er überraschend als dritter Sozialdemokrat an die spanischen Regierungsspitze.
Was sind die größten Herausforderungen der neuen Regierung, wie viel Spielraum hat eine neue Koalition?
Aus dem bunten Anti-Rajoy-Bündnis eine stabile Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Juni 2020 zu machen ist ein schwieriges Unterfangen. Die Führung der linkspopulistischen Podemos-Partei hat unisono verlauten lassen, dass die Zeit einfarbiger Regierungen in Spanien vorbei sei – zumal mit nur 84 sozialistischen Parlamentssitzen. Sie erwarte ein Koalitionsangebot für eine progressive Regierungsallianz – ansonsten sehe sie sich als Opposition.
Zusammen kämen sie mit 155 zwar auf mehr Stimmen als bisherige PP-Minderheitsregierung, blieben jedoch weiter auf die Regionalparteien angewiesen, um bei den Abstimmungen die Mehrheitshürde von 176 Sitzen zu nehmen. Mit der parlamentarischen Unterstützung der liberalen Ciudadanos wird nicht zu rechnen sein. Parteichef Albert Rivera drängt im Zeichen verheißungsvoller Meinungsumfragen auf baldige Neuwahlen, um selbst den Stuhl des Regierungschefs einzunehmen.
Wird die neue Regierung einen neuen Kurs in der Katalonienfrage einschlagen?
Sánchez hatte mit dem Versprechen einen neuen Dialoganfang zu machen die Katalanen auf seine Seite gezogen. Er versprach eine Regierung der Demokratie, machte indes auch deutlich, dass eine Abspaltung nicht infrage komme. Die konservative PP und die liberale Ciudadanos werden mit Argusaugen darauf achten, dass die neue Linksregierung der separatistischen Regionalregierung in Barcelona nicht zu weit entgegenkommt.
Im Parlament war die PP im letzten Jahr der PSOE Forderung nach Einsetzung eines Ausschusses zur Finanz- und institutionellen Reform des dezentralen Struktur des Landes nachgekommen. Schon bislang war sie die Ausschussarbeit nur zögerlich nachgekommen. Sowohl PP wie C dürften jetzt dafür sorgen, dass sich hier bis zu Neuwahlen nichts bewegt.
Was wird sich sozialpolitisch ändern?
Für weiterreichende Initiativen bleiben die Möglichkeiten beschränkt. Er wolle mit dem verabschiedeten Budget des Vorgängers arbeiten, hat Sánchez angekündigt – dies hatte er den baskischen Nationalisten versprechen müssen – indes auch, um einen neuen Haushaltsentscheid des Parlaments zu vermeiden.
Die eigne Parteilinke sowie Podemos möchten gerne an der sozialpolitischen Schrauben drehen. Für die beiden Gewerkschaftsbünde UGT und CCOO steht die Revision der konservativen Arbeitsrechtsreform aus dem Jahr 2012 ganz oben auf der Prioritätenliste.
Auch die Rentenfrage steht weit vorne auf der Agenda. Weite Teile der Bevölkerung sind über die Zukunft der Renten verunsichert. Im jüngsten Barometer des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS vom April 2018 avancierte die Rentenfrage mit 15,5 Prozent nach der Arbeitslosigkeit mit 65,9 Prozent zu den zentralen Problemen des Landes.
Die Fragen stellte Hannes Alpen.