Seit gestern läuft die jährliche Parteikonferenz der britischen Labour Party in Manchester. Labour hatte sich für ein schottisches „Nein“ stark gemacht. Ist das Ergebnis nun also Grund zur Freude?

Einerseits:  Ja. In der Labour Partei wie eigentlich in allen Westminster-Parteien herrscht Freude und Erleichterung über das schottische Ergebnis. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Führung der Nein-Kampagne bei Labour lag - zuletzt bei Gordon Brown persönlich. Andererseits ist es für die Partei problematisch, dass 1,6 Millionen Schotten eben für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Ein großer Teil dieser Wählerinnen und Wähler zählt eigentlich als Labour-Anhänger. Nicht zuletzt die Labour-Hochburg Glasgow hat für die Unabhängigkeit gestimmt. Das signalisiert eine enorme Unzufriedenheit. In der Partei geht man davon aus, dass die Abstimmung in erster Linie Frustration mit Westminster reflektiert, doch ganz so einfach ist das nicht. Die Wähler waren offensichtlich auch mit Labour unzufrieden.

In der Labour Partei geht man davon aus, dass die Abstimmung in erster Linie Frustration mit Westminster reflektiert, doch ganz so einfach ist das nicht.

Vor dem Hintergrund, dass in acht Monaten Wahlen stattfinden, ist das alles andere als ein kleines Problem. Tatsächlich ist das Referendum für Labour ein Alarmsignal. Man darf nicht vergessen: 41 der Labour Abgeordneten in Westminster kommen aus Schottland. Das bedeutet, dass das, was in Schottland passiert, für Labour immer an die Substanz geht. Da ist es umso schlimmer, dass auch der Parteivorsitzende Ed Miliband in der Kampagne kaum überzeugen konnte.
 

Seit dem Referendum wird die Debatte nun hauptsächlich über die „englischen Frage“ geführt – also über mehr Autonomierechte für England. Um was geht es?

Am Morgen nach dem Referendum trat Premierminister Cameron vor die Kameras und forderte überraschend auch für die Engländer eine eigene Stimme im Vereinigten Königreich. Vor dem Hintergrund, dass den Schotten nun weitgehende Autonomie – hier spricht man von Devolution Max - versprochen wurde, solle nun als Gegengewicht auch die sogenannte „englische Frage“ beantwortet werden. Darunter ist englische Autonomie für englische Entscheidungen zu verstehen. Die Frage, was ist britisch und was ist englisch, wird im Vereinigten Königreich natürlich seit langem debattiert. Und doch kam Camerons Ankündigung für viele völlig überraschend –nicht zuletzt für den Labour Parteivorsitzenden.

Cameron geht es nun darum, die Einlösung der Zugeständnisse an Schottland an eine Devolution für England zu koppeln. Im gleichen Maße wie Schottland, sollen nun auch den Engländern stärkere Autonomierechte zugestanden werden.  Für Cameron sind die Schlagworte hier Fairness und Legitimität. Mit dem Erfüllen der Zugeständnisse an Schottland müsse nun etwa geklärt werden, inwieweit  schottische Abgeordnete in Westminster weiterhin über englische  Belange befinden können. Die Frage ist aber, ob es bei einer solchen Koppelung der schottischen Devolution Max an die englische Devolution möglich sein wird, den Prozess der Devolution für Schottland in der versprochenen Geschwindigkeit umzusetzen. Schließlich hat Gordon Brown zugesichert, noch vor den Wahlen in acht Monaten konkrete Vorlagen zu erstellen.

Was verspricht sich Cameron davon?

Camerons Vorgehen ist in erster Linie parteipolitisch motiviert. Die Wählerbasis der Tories liegt in England. Aus Schottland wurde gerade mal ein einziger  konservativer Abgeordneter nach Westminster entsandt. Acht Monate vor den Parlamentswahlen geht es Cameron offensichtlich darum, einerseits die eurokritischen, konservativen, englischen Hinterbänkler seiner eigenen Partei zufriedenzustellen. Denn diese hatten die Zugeständnisse an Schottland nur mit Murren akzeptiert.

Camerons Ankündigung kam für viele völlig überraschend –nicht zuletzt für den Parteivorsitzenden der Labourpartei.

Zugleich geht es Cameron aber offenbar auch darum, der nationalistischen UKIP das Wasser abzugraben. Es geht darum, diesen beiden Gruppen zu begegnen, Labour zu bekämpfen und dabei den Prozess der Devolution an Schottland zu verlangsamen.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Forderung nach mehr Autonomie für England zunächst eine politische Forderung der konservativen Partei ist. Es ist ja nicht so, dass dies ein breit getragener Wunsch der englischen Bevölkerung gewesen wäre. Dabei ist auch klar, dass die Taktik nicht ohne Risiken ist. Denn es könnte durchaus sein, dass zunehmender englischer Nationalismus der UKIP in die Hände spielt.

Bei aller Taktik: Dahinter steht eine grundsätzliche Reform des politischen Systems. Ist das Land für diese Debatte bereit?

Das ist die große Frage. Tatsächlich ist in Großbritannien ein wirklich föderales System nur schwer vorstellbar. Dafür sind die Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Landesteilen schlicht zu groß. Hier gibt es verschiedene Optionen, wie etwa das Einführen einer neuen Regierungsebene oder etwa Dezentralisierung für Städte. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung  in Großbritannien schon heute eher ein Zuviel an Verwaltung als ein zu wenig existiert. Vor diesem Hintergrund, ist tatsächlich unklar, ob dem britischen Premierminister wirklich die Auswirkungen seiner Ankündigung in aller Konsequenz bewusst waren. Cameron ist dafür bekannt, kurzfristig parteipolitisch motiviert zu handeln. Und nun hat er eine Debatte losgetreten, die sich kaum wieder eindämmen lassen wird.

Wie hat Labour darauf reagiert? Wie kann die Partei reagieren?

Labour ist von der Entwicklung ganz stark herausgefordert und steht unter enormem Zugzwang. Die Partei hat die Nein-Kampagne angeführt. Das Versprechen, Schottland mehr Zugeständnisse zuzugestehen, wurde nicht zuletzt von Gordon Brown mit Rückendeckung aller Parteien in Westminster abgegeben. So konnte die Abwanderung von Wählerinnen und Wählern in das Ja-Lager zumindest eingedämmt werden. Doch das bedeutet auch, dass Labour das Versprechen jetzt einlösen muss. Das große Problem hier ist nur: Wenn die von Cameron vorgeschlagene Koppelung zwischen schottischer und englischer Devolution akzeptiert wird, wird das den Prozess so ausbremsen, das Labour für die Verzögerung in Haftung genommen werden kann.

Ziel muss es deswegen sein, den schottischen Autonomie-Prozess von der „englischen Frage“ zu entkoppeln.

Ziel muss es deswegen sein, den schottischen Autonomie-Prozess von der „englischen Frage“ zu entkoppeln. Kurzfristig brauchen wir die Umsetzung und Erfüllung der den Schotten gegebenen Versprechen. Parallel dazu muss eine Debatte um eine neue Verfassung für Großbritannien geführt werden. Hier hat Labour auch schon Vorschläge unterbreitet. So wird ein Verfassungskonvent unter Einbezug der Bürger und der Zivilgesellschaft in Betracht gezogen, der mit dem Zeithorizont Herbst nächsten Jahres eine breit angelegte Debatte über die Entwicklung einer Verfassung führen soll.

Dabei ist es ein strategisches Ziel von Labour, diese Debatte nach den Wahlen zu führen. Was die Kommunikation angeht, muss es nun darum gehen, deutlich zu machen, dass es dem Premierminister in erster Linie um Parteitaktik geht.  Sonst muss sich die Labour Partei im Wahlkampf den Vorwurf gefallen lassen, unfair gegen England zu sein.

 

Die Fragen stellte Michael Bröning.