Nachdem die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) die Verantwortung für die schuldenbedingte Wirtschaftskrise Griechenlands und die anhaltende Sparpolitik übernommen hatte, ging mit ihr die gesamte linke Mitte des Landes unter. Nun hoffen die griechischen Sozialdemokraten, dass aus den Überresten der einst mächtigen Partei eine neue Mitte-Links-Bewegung entsteht.
Am 19. November wählten landesweit mehr als 150 000 Griechinnen und Griechen die Spitze dieses neuen, noch namenlosen Bündnisses. Sie entschieden sich für die Pasok-Chefin Fofi Gennimata, die sich gegen ihren jüngeren Herausforderer durchsetzte, den Pasok-Abgeordneten Nikos Androulaki.
Gennimata führt nun eine Partei, die sich erst noch entwickelt, deren Parteiprogramm noch verfasst und deren Führungsteam noch bestimmt werden müssen. Diese Aufgaben muss Gennimata in den kommenden Wochen lösen, um den sozialdemokratischen Kräften in Griechenland ein gemeinsames Ziel zu geben.
Viele halten sie für eine fantasielose Wahl, die für die Rettung der linken Mitte ungeeignet ist. Die frühere stellvertretende Gesundheits- und Innenministerin lenkte seit 2015 die Pasok mit ruhiger Hand, konnte jedoch keinen neuen Schwung in die Partei bringen. Allerdings unterstützte sie den Versuch, mit der Pasok, der gemäßigten To Potami und diversen anderen kleinen Partnern links der Mitte ein Bündnis zu formen, damit die griechischen Wählerinnen und Wähler neben der linken Syriza und der konservativen Nea Dimokratia eine dritte Partei zur Auswahl haben. Dieser Vorstoß gilt als Versuch, der linken Mitte neues Leben einzuhauchen, nachdem sie in den Abwärtssog geraten war, der die griechische Politik nach dem ersten internationalen Rettungspaket 2010 erfasst hatte.
Wenn Griechenland seinerzeit die politischen Umbrüche vorwegnahm, kann es dem Kontinent bald auch als Vorbild für das Wiedererstarken der linken Mitte dienen?
Ein Rückblick: Im Herbst 2009 kehrte die Pasok mit einem Wahlergebnis von 43,9 Prozent zum fünften Mal an die Macht zurück. Weniger als drei Jahre später, im Juni 2012, war ihr Stimmenanteil auf 12,3 Prozent abgestürzt. Man hatte der Partei die Schuld dafür gegeben, dass die öffentlichen Finanzen eingebrochen waren und schmerzhafte Maßnahmen nötig wurden. So entstand der Begriff „Pasokifizierung“, mit dem politische Analysten in ganz Europa den Kollaps der Mitte-Links-Parteien und den Aufstieg radikaler Alternativen beschreiben.
Wenn Griechenland seinerzeit diese politischen Umbrüche vorwegnahm, kann es dem Kontinent bald auch als Vorbild für das Wiedererstarken der linken Mitte dienen?
Ehe es so weit kommt, hat die neue Partei zunächst eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen. Als Erstes gilt es, die Wählerinnen und Wähler wieder zu mobilisieren. Die linke Mitte in Griechenland hat sich in den vergangenen Jahren zersplittert: Einzelpersonen riefen diverse Initiativen ins Leben – etwa der ehemalige Ministerpräsident Giorgos Papandreou seine 2015 gegründete Bewegung der demokratischen Sozialisten. So verstärkte sich der Eindruck, dass die Sozialdemokraten mehr gegeneinander als gemeinsam um die Macht kämpfen.
Das Ergebnis der beiden Wahlgänge war für die linke Mitte in Griechenland durchaus ermutigend. Mehr als 210 000 Menschen gaben in der ersten Runde, in der neun Kandidatinnen und Kandidaten antraten, ihre Stimme ab. Diese Wahlbeteiligung war höher als von den meisten Experten erwartet; Meinungsforschern zufolge entspräche sie in Parlamentswahlen einem Stimmenanteil von mindestens 10 Prozent.
Um diese Dynamik zu nutzen, muss die 53-jährige Gennimata nun das öffentliche Image der linken Mitte verbessern, und hier liegt ihre zweite große Aufgabe: Sie muss jüngere Leute und auch Persönlichkeiten außerhalb der engen Grenzen des Parteisystems für ihre Sache gewinnen. Der Wahlerfolg Emmanuel Macrons in Frankreich gibt für eine solche Erneuerung für ganz Europa gewissermaßen den Ton an. In Griechenland hat der Chef der Nea Dimokratia Kyriakos Mitsotakis diesen Prozess eingeleitet, indem er sich als griechischen Macron darstellt, die Kandidatenliste seiner Partei auffrischt und Experten von außen in die politische Arena holt.
Die größte Herausforderung für die neu gewählte Chefin besteht jedoch darin, zu verhindern, dass aus der jungen Partei eine Pasok im neuen Gewand wird. Die hohe Wahlbeteiligung der ersten Abstimmungsrunde erklärt sich unter anderem dadurch, dass Kandidatinnen und Kandidaten aus anderen Parteien und aus den Kommunen daran teilnahmen – vor allem To-Potami-Chef Stavros Theodorakis und der Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis.
Damit die linke Mitte den Ballast abwerfen kann, den die Pasok in den Jahrzehnten an der Macht angehäuft hat, muss Gennimata die neue Bewegung möglichst integrativ führen.
Zwar vereinten diese beiden Hoffnungsträger im ersten Wahlgang insgesamt weniger als 25 Prozent der Stimmen auf sich, doch Gennimata konnte nach der Wahl erklären, dass sie in einem offenen, nicht auf die Pasok beschränkten Wettbewerb gesiegt hatte. Damit die linke Mitte den Ballast abwerfen kann, den die Pasok in den Jahrzehnten an der Macht angehäuft hat, muss Gennimata die neue Bewegung nun möglichst integrativ führen. Die Pasok war Veränderungen gegenüber allerdings nicht sonderlich offen. So bildete sie 2014 für die Europawahlen mit sieben weiteren sozialdemokratischen Bewegungen und Parteien die Allianz Elia (Olivenbaum), doch nach der Wahl zweier Abgeordneter ließ der damalige PASOK-Chef Evangelos Venizelos das Bündnis rasch wieder fallen.
In der Presse war Gennimata, Tochter eines Pasok-Gründers, zu sehen, wie sie am letzten Sonntag mit führenden Pasok-Funktionären der 1980er Jahre feiert. Solche Bilder stützen nicht gerade den Eindruck, dass für die linke Mitte eine neue Ära angebrochen wäre. Es wird Gennimata viel Arbeit kosten, um die von Skeptikern geäußerte Ansicht zu widerlegen, dass sie mitnichten versuche, eine neue Identität zu schaffen, sondern dass der derzeitige Prozess nur ein Vorwand sei, um die 1974 von Andreas Papandreou gegründete sozialistische Partei wiederzubeleben.
Umfragen zufolge wäre es ein fataler Fehler, würde sich Gennimata die Chance einer Erneuerung der linken Mitte verstreichen lassen. In den Parlamentswahlen im September 2015, ihren ersten als Pasok-Chefin, erreichte ihre Partei gerade einmal 6,29 Prozent der Stimmen, obwohl sie sich mit Papandreous Bewegung und kleineren Mitte-Links-Gruppierungen zusammengeschlossen hatte. Laut einer Umfrage der Universität Makedonien in Thessaloniki kamen die Pasok und ihre Verbündeten im vergangenen Monat auf einen Anteil von 6,5 Prozent. Es hat sich also in den letzten zwei Jahren so gut wie nichts verändert. Sieht man einmal von einem kleinen harten Kern überwiegend älterer Anhänger ab, die der Partei seit den glorreichen Zeiten in den 1980er Jahren treu sind, hält sich das Interesse an einer sozialistischen Partei, die ihre Uraltform beibehält, in Grenzen.
Gennimata sollte demnach nicht die Pasok erneuern, sondern die griechischen Sozialdemokraten auf ein ehrgeizigeres Ziel einschwören: eine Kampagne zur Neugestaltung der linken Mitte und das Bemühen, ihr in der Zeit nach der Krise wieder zu Relevanz zu verhelfen. Einer aktuellen Umfrage der Universität Makedonien zufolge, sind 56 Prozent der Griechen der Meinung, die neue Gruppierung solle einen unabhängigen Weg einschlagen; 13,5 Prozent finden, sie solle sich mit Syriza verbünden, nachdem Ministerpräsident Alexis Tsipras seine Partei von ihren radikalen linken Wurzeln weggeführt hat und ihr gern einen sozialdemokratischen Anstrich verpassen möchte.
Um wirklich an Einfluss zu gewinnen, muss Gennimata ihrer Bewegung Raum verschaffen: zwischen der Nea Dimokratia, die derzeit ihr Image aufpoliert, von den langjährigen rechtspopulistischen Positionen der Mitte-Rechts-Parteien abrückt und damit die Meinungsumfragen anführt – und Syriza, die nach einer neuen Identität sucht.
Griechenland wird im nächsten Sommer sein drittes und hoffentlich letztes Rettungspaket abschließen. Obwohl damit eine Rückkehr zu den internationalen Anleihenmärkten verbunden ist und erste Anzeichen auf eine wirtschaftliche Erholung hindeuten, bleiben massive Probleme bestehen: etwa der schlechte Zustand des griechischen Gesundheitssystems, die stark geschwächten Arbeitnehmerrechte, eine hohe Steuer- und Sozialabgabenlast, eine schlecht aufgestellte öffentliche Verwaltung und, laut einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung, die größte soziale Ungerechtigkeit in der gesamten Europäischen Union.
Das sind die Themen, denen sich die griechischen Sozialdemokraten mit progressiven Maßnahmen stellen müssen. Die linke Mitte der Vergangenheit hatte dafür keine Lösungen parat. Gennimata und ihre künftigen Mitstreiter müssen daher neue Wege eröffnen. Wenn sie das schaffen, kann ihr Erfolg Genossinnen und Genossen in anderen Teilen Europas als hoffnungsvolle Schablone dienen. Wenn sie sich aber lieber im verblassten Glanz von Pasok sonnen, wird die Sozialdemokratie in Griechenland ein abschreckendes Negativbeispiel bleiben.