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Vor zwei Wochen verkündete Facebook-Chef Mark Zuckerberg im kalifornischen San José auf der jährlich stattfindenden Entwicklerkonferenz seine Vision zur Zukunft des Unternehmens. Die Aufmerksamkeit von Medien aus aller Welt für diese Konferenz belegt, dass Facebook inzwischen mächtiger ist als die meisten Nationalstaaten. Die Produkte des Konzerns liefern die Infrastruktur für demokratische Kernfunktionen wie freie Meinungsäußerung, die Verbreitung von Nachrichten und den Zugang zu Informationen. Unsere Gesellschaften werden in einem immer größeren Maße davon geprägt, wie Zuckerberg und eine kleine Elite von Unternehmenslenkern aus dem Silicon Valley Geschäfte machen. Die Resultate sind katastrophal.

Seit dem „Brexit“-Referendum 2016 und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Jahr darauf hat sich die Diskussion über die negativen Auswirkungen sozialer Netzwerke auf die Demokratie intensiviert. „Fake News“, Desinformationen, russische Einmischung und Propaganda sind zur neuen Normalität geworden. In einem TED-Talk beschrieb Carol Cadwalladr, Journalistin beim Guardian, wie Facebook in der Brexit-Kampagne zu einer Plattform für Lügen und rechtswidriges Verhalten wurde.

„Haben die sozialen Medien die Welt zu einem besseren Ort gemacht?“ Als Poppy Harlow von CNN diese Frage Kara Swisher stellte, einer der einflussreichsten Journalistinnen im Technologiebereich, lautete die trockene Antwort: „Nein, bislang nicht.“ Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, fordert die Regulierung des Internets, da dies der einzige Weg sei, es zu retten. Jaron Lanier, Internetphilosoph und Wegbereiter der Virtual Reality, hat ein Buch darüber geschrieben, warum die Menschen so schnell wie möglich aus den „sozialen Medien“ aussteigen sollten.

Der Wirtschaftswissenschaftler Dani Rodrik brachte den Begriff Trilemma in die Diskussion über den Zustand der Weltwirtschaft ein - Hyper-Globalisierung, demokratische Politik und nationale Souveränität seien schlicht nicht miteinander kompatibel. Seiner Ansicht nach können zwei der drei Dinge kombiniert werden, aber niemals alle drei gleichzeitig und vollständig.

Es scheint sinnvoll, die Diskussion über den globalen Informationsraum auf die gleiche Weise zu strukturieren. Man kann Demokratie sowie Marktbeherrschung und destruktive Geschäftsmodelle der Tech-Giganten haben – aber nicht gleichzeitig. Für eine funktionierende Demokratie sind der Zugang zu Informationen sowie ein Nachrichten- und Informationspluralismus unerlässlich. Warum? Reporter ohne Grenzen drückten das im letzten Herbst in ihrer Erklärung über Information und Demokratie so aus: „Wissen ist für Menschen notwendig, um ihre biologischen, seelischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten zu entwickeln.“

Statt uns zu informieren und uns Wissen bereitzustellen, wird mit der jetzigen Informationsinfrastruktur das Gegenteil erreicht. In der heutigen Welt verbreiten sich Lügen schneller und haben eine größere Reichweite als die Wahrheit. Natürlich hat es immer schon Desinformationen und Propaganda gegeben, aber nicht in diesem Ausmaß und nicht auf diese Art und Weise – zumindest nicht in funktionierenden Demokratien. Die Gefahr für die Demokratie erwächst aus zwei verschiedenen, sich überschneidenden Denkweisen. Die eine ist das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke. Die andere ist die vorherrschende Position, die sie in unserem Informationsraum einnehmen. Eine dieser Denkweisen allein kann unserer Demokratie nicht schaden, aber in ihrer Kombination wirkt der Mechanismus tödlich.

In einem klassischen Essay bezeichnete Ethan Zuckerman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Entscheidung der Techno-Riesen, Werbung zu ihrem Geschäftsmodell zu machen, als „die Erbsünde des Internets“. Als Facebook und Google diese Entscheidung trafen, hätten sie den Grundstein für viele Probleme gelegt, die wir heute erleben. Werbung lebt von Daten, so Zuckerman. Mehr zielgerichtete Werbeanzeigen an die Kunden und Kundinnen zu verkaufen, bedeute, diese bei der Stange zu halten und eine maximale Datenmenge von ihnen zu sammeln. Das schaffe Anreize für die Unternehmen, eine immer detailliertere Überwachung und kleinteiligere Personalisierung zu betreiben. Und die Folgen? Zuckerman verwies auf eine Studie von Gilad Lotan, in der dieser die Ansichten von Teilnehmern aus Israel und Palästina über den Gaza-Krieg als „personalisierte Propaganda“ bezeichnete.

Zuckerman schrieb seinen Essay vor fünf Jahren. Seitdem sind die Dinge eskaliert – nicht nur in Gaza, sondern überall in der Welt. Hass, Lügen und Propaganda verbreiten sich wie ein Lauffeuer, nachdem sie auf die Online-Profile von Einzelpersonen zugeschnitten wurden. Das hat enorme Auswirkungen im realen Leben – auf die Politik und das Leben der Menschen. Lisa-Maria Neudert, Wissenschaftlerin am Oxford Internet Institute, hat die Probleme der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie folgendermaßen zusammengefasst: „Es sind die irreführendsten und konspirativsten Inhalte, die im Mittelpunkt stehen und zu den meisten Diskussionen führen, und genau darauf reagieren die Algorithmen.“

Wir leben in einem öffentlichen Raum, der sich bestmöglich Furore zunutze macht. Und das ist kein leicht aus der Welt zu schaffender Schönheitsfehler oder ähnliches. Das Problem ist im Kern der Geschäftsmodelle verankert, die den Unternehmenseignern Profite in Rekordhöhe bescheren. Das auf Werbung basierende Geschäftsmodell wäre nicht so gefährlich, wenn wir in einer Welt mit einer Vielzahl an Produkten leben würden, die im Informationsraum miteinander konkurrieren. Stattdessen erleben wir in zweifacher Hinsicht eine Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Zum einen werden Facebook und Google (zu dem YouTube gehört) gerade zu einem Duopol auf dem Daten- und Werbemarkt. Sie kaufen die Konkurrenten auf und bedienen sich wettbewerbswidriger Maßnahmen, um ihre Positionen zu stärken und auszuweiten. Der zweite Aspekt ist die Schwächung des Journalismus als Folge dieser Entwicklung. Wo soziale Netzwerke Erfolg haben, breiten sich „Nachrichtenwüsten“ rasant aus – große geografische Bereiche, in denen es keinerlei Lokalberichterstattung mehr gibt.

Heute nutzen über 2,3 Milliarden Menschen täglich Facebook, und YouTube hatte letztes Jahr 1,8 Milliarden angemeldete Nutzer. Die Mehrheit der US-Amerikaner beziehen ihre Nachrichten aus den sozialen Medien und Gleiches gilt für die meisten europäischen Länder. In der gesamten Menschheitsgeschichte hat es noch nie Unternehmen mit solch einer Reichweite und Auswirkung auf Informationen und die menschliche Kommunikation gegeben. Die Größe der Nutzerschaft verstärkt die von diesen Geschäftsmodellen ausgehende Problematik in einem gefährlichen Maß. Wären kleinere Akteure im Kommunikationssektor wettbewerbsfähiger, wäre die Situation nicht so problematisch für die Demokratie. Wenn aber nur die großen Plattformen vorherrschen, werden Wissen und Wahrheit verdrängt.

Das Trilemma besteht dann darin, dass man Demokratie und auf Werbung beruhende Geschäftsmodelle haben kann, diese aber nicht mit einer Marktbeherrschung einhergehen dürfen. Und theoretisch wären auch Demokratie und marktbeherrschende Plattformen möglich, wenn diese auf eine Weise operieren würden, die nicht so stark auf Furore ausgerichtet wäre, sondern stattdessen Pluralismus garantieren würde. Und natürlich kann man Duopole und schädliche Geschäftsmodelle haben. Aber dann wird die Demokratie nicht mehr funktionieren – wie wir allmählich realisieren.

Letzten Endes stehen wir – genau wie bei Rodriks Modell – vor der Wahl. Wenn wir die Demokratie bewahren wollen, müssen wir im Informationssektor Pluralismus sicherstellen, indem wir für Wettbewerb sorgen. Dazu müssen wir das Duopol zerschlagen oder Sicherheitsvorkehrungen gegen ein Geschäftsmodell treffen, das mit der Demokratie nicht vereinbar ist.

Wie tun wir das? Ich bin nicht sicher, aber ich widerspreche mit Entschiedenheit dem Gedanken, dass es „zu kompliziert“ wäre. Reporter ohne Grenzen empfehlen in ihrer Erklärung, dass Plattformen „eine Vielfalt an Ideen und Informationen und einen Medienpluralismus fördern sowie zufälligen Entdeckungen Vorrang einräumen sollten“. Weiter heißt es: „Die zur Aufbereitung und Indexierung – also zur Zusammenstellung, Sichtung und Schwerpunktsetzung von Nachrichten – eingesetzten Werkzeuge müssen alternative Lösungen bereitstellen, also einen Pluralismus bei der Indexierung zulassen und damit den Nutzenden eine Wahlfreiheit einräumen.“

Wenn diese Prinzipien umgesetzt würden, könnte das die Geschäftsmodelle der Social-Network-Riesen grundlegend verändern und dazu beitragen, das Trilemma zu lösen. Die andere Möglichkeit ist natürlich die in den USA von der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren vorgeschlagene: die Unternehmen zu zerschlagen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die wichtigste Erkenntnis, dass die drei Punkte des Dreiecks nicht gleichzeitig vorliegen dürfen. Man sollte die Warnung der Philosophin Hannah Arendt im Gedächtnis behalten: „Was die Herrschaft einer totalitären oder jeder anderen Diktatur ermöglicht, ist, dass die Menschen nicht informiert sind; wie kann man eine Meinung haben, wenn man nicht informiert ist?“

Dieser Artikel wurde gemeinsam von Social Europe und dem IPG-Journal veröffentlicht