Es sind drei Minuten vor Mitternacht – auf dieser Position verharren die Zeiger der „Doomsday Clock“, der Atomkriegsuhr. Vom Bulletin of the Atomic Scientists — einem US-amerikanischen Debattenmagazin für Atompolitik – erdacht, soll die Uhrmetaphorik die Gefahr einer nuklearen Katastrophe verdeutlichen.
Es stand schon einmal besser um uns. Etwa nach dem Ende des Kalten Krieges, als die verantwortlichen Atomwissenschaftler die Uhr auf 17 Minuten vor Mitternacht zurückdrehten – durch das Hin- und Herbewegen der Zeiger wird das aktuelle Risiko eines Atomkriegs immer wieder neu verbildlicht. Seitdem ist einige Zeit vergangen, aber das nukleare Damoklesschwert hängt noch immer über der Menschheit.
Dass man nicht jeden Tag in furchtvoller Erwartung vor anfliegenden Interkontinentalraketen in den Himmel starrt, liegt vielleicht an einem Phänomen, das der österreichische Philosoph Günther Anders als „Apokalypseblindheit“ bezeichnete. Die Atomfrage ist auch heute noch so gewaltig, so aktuell und so alles in Frage stellend, dass wir nicht anders können, als uns damit nicht zu befassen. Würden wir es doch tun, müssten wir verrückt werden.
Denn zum Verrücktwerden sind in jedem Fall die militärisch-politisch-technischen Abläufe, die einem Atomschlag vorausgehen. Da das vorherrschende System eine „nukleare Monarchie“ ist, in der – im Falle der USA – eine einzelne Person, der Präsident (oder möglicherweise bald: die Präsidentin), über den Einsatz von Atomwaffen entscheidet, gibt es keine Checks & Balances, keine Kontrollmechanismen. Ein Atomangriff kann jederzeit angeordnet werden. Als Oberbefehlshaber muss der Präsident keinen Grund für seine Entscheidung anführen und sie vor niemandem rechtfertigen. Weder der Senat braucht darüber in Kenntnis gesetzt, noch der Oberste Gerichtshof um Erlaubnis gebeten zu werden.
Zumindest in der Logik der atomaren Zweitschlagfähigkeit ist dies nachvollziehbar. Beim vergeltenden Second Strike entscheidet jede Sekunde. Es können schlicht keine verfassungsrechtlichen Gremien befragt werden, wenn die Raketen des Gegners im Anflug sind. Dass aber auch über den Erstschlag autokratisch und apodiktisch entschieden wird, erscheint jenseits von Gut und Böse.
Auch das Weiße Haus hat das bereits erkannt – vermutlich aus Sorge vor einem Szenario, in dem der Dünnhäuter Donald Trump seinen zittrigen Finger auf dem Knopf hätte. Angestrebt wird deshalb erneut die bereits vor einigen Jahren vorgeschlagene No-first-use-Politik, die verhindern soll, dass die USA Atomwaffen präventiv einsetzen können. Von Militärstrategen gibt es dazu bereits starken Gegenwind. Ihr Argument: Man kann nie wissen, wie die Zukunft aussieht und ob Atomwaffen nicht doch irgendwann sinnvollerweise zuerst eingesetzt werden können. Im militärischen Stakkato klingt es so: „Amerika muss in der Lage sein, einen nuklearen Erstschlag auszuführen.“
Ist es in den Vereinigten Staaten nur ein einziger Kopf, der über das gesamte Atomarsenal herrscht, entschied sich die einstige Sowjetunion für eine vollständig „kopflose“ Vorrichtung mit der technischen Bezeichnung „Perimetr“. Im Falle eines Enthauptungsschlags gegen die sowjetische Führung hätte dieses System automatisch einen Vergeltungsschlag starten können. Durch die Registrierung von seismischen und radioaktiven Veränderungen im Land, wie sie ein flächendeckender Angriff mit Atomwaffen nach sich zöge, hätte die „Tote Hand“ auf einen massiven Angriff auf die Sowjetunion geschlossen. Anschließend hätte das System den Kreml und den Militärstab kontaktiert – bei fehlender Antwort dieser Stellen hätte es eigenständig einen Atomangriff in die Wege geleitet. Menschliches Versagen: ausgeschlossen. Unklar ist jedoch, ob die Vergeltungsmaschine jemals vollständig aktiv war oder von Russland weiterhin betrieben wird.
Da jede Nuklearmacht offenbar auf ihre ganz eigene Weise an Atomwaffen festzuhalten scheint, haben es Initiativen wie „Global Zero“ oder die neue UN-Arbeitsgruppe für nukleare Abrüstung, die für eine Welt ohne Atomwaffen kämpfen, besonders schwer. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es dauerhaft „kurz vor Mitternacht“ bleibt.
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Es bräuchte Massenmedien, die solche Dinge täglich zur Hauptsendezeit verbreiten, damit die Menschen den Ernst der Lage begreifen.