Die mittel- und osteuropäischen Staaten sollten ungeachtet der NATO-Russland-Akte von 1997 weiterhin die Stationierung von größeren Kampfeinheiten fordern. Es sei notwendig, ein starkes politisches Signal nach Moskau zu senden und zu beweisen, dass es keine Sicherheitsgarantien zweiter Klasse für neue NATO-Mitglieder gäbe. Diese markigen Forderungen finden sich in einer Studie des renommierten Polish Institute Of International Affairs (PISM) über US Military Presence In Central And Eastern Europe: Consequences For NATO Strategic Adaption, Deterrence And Allied Solidarity, veröffentlich in Warschau im August 2015.
Von einer Kampfansage an die NATO war schon die Rede, als der frisch gewählte polnische Präsident Andrzej Duda in seiner ersten Rede vor der Nationalversammlung am 6. August 2015 seine Forderung nach einem „Newport plus“ skizzierte: Ein ganz elementares Interesse Polens, so Duda, sei die Einheit der NATO. Gemeint (und seither auch in verschiedenen Reden und Interviews konkretisiert) ist damit nichts weniger als eine Verstärkung der Sicherheitsgarantien für Polen und die baltischen Staaten – untermauert durch tatsächliche Militärpräsenz.
Wie muss man diesen Vorstoß bewerten? Für Westeuropas Bürger sind der Krieg in der Ukraine und der Konflikt mit Russland, überspitzt gesagt, eher akademische Herausforderungen. Ihre Lebensrealität und ihr subjektives Sicherheitsempfinden werden durch sie nicht wirklich beeinträchtigt. Das macht es leicht, „Russland-Versteher“ zu sein und die Forderungen der nördlichen und östlichen Bündnispartner nach mehr militärischer Präsenz in den Bereich der Kalten Kriegstreiberei zu verweisen. Aber jedem, der im Umfeld von Außen- und Sicherheitspolitik mit polnischen Politikern und Experten zu tun hatte, ist klar, dass die Wahrnehmung in Polen (und auch im Baltikum,) eine ganz andere ist: das Gefühl einer realen Bedrohung ist real, lässt sich nicht mit Beschwichtigungsformeln aus dem Westen wegrationalisieren und dürfte noch mehr steigen, wenn der Krieg in der Ostukraine weiter anhält und mehr ukrainische Flüchtlinge in Polen ankommen.
Diesem Bedrohungsgefühl will Duda Rechnung tragen. Nicht beschwichtigend nach innen, sondern fordernd nach außen. Dass das PISM als einflussreicher und durchaus regierungsnaher polnischer Think Tank seine deutliche Worte wählende Studie zeitgleich mit Dudas diplomatischer Offensive veröffentlicht, könnte darauf hindeuten, dass diese Forderung keine reine, um die Vergeblichkeit wissende Symbolpolitik ist. Wie der Autor der Studie, Artur Kacpryk, schreibt: „Die Rufe nach einer ständigen NATO-Präsenz werden nicht so schnell verhallen.“ Der nächste NATO-Gipfel findet im Frühjahr in Warschau statt, die polnische Regierung hat mit den Vorbereitungen bereits begonnen.
20 Leserbriefe
Wer sagt uns außerdem, ob Polen nicht selbst imperialistische Ambitionen hat. In der Geschichte Polens gab es auch solche Beispiele. Ich sehe, gerade im Zusammenhang mit der Ukraine, Polen eher zündelnd als befriedend an.
Polen und Russland sollte gemeinsam die historischen Probleme angehen.
Eine gemeinsame Sicherheitspolitik EU / Russland ist dringend erforderlich. Die bestehende Blockade muss aufgelöst werden. Dann hat Polen auch Ruhe.
Dann fragt die Autorin "Wie muss man diesen Vorstoß bewerten?"
Doch die Bewertung liefert sie nicht.
Der Allgemeinplatz "das Gefühl einer realen Bedrohung ist real," ersetzt keine (explizite) Bewertung. Die hätte der Leser aber gern.
Das einzige Land, das ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, sind die USA - als Subkontinent weitab der eurafrikanischen Wirren, geschützt durch einen Grenzzaun gegen Mittelamerika.
Hinzu kommt, dass die USA noch nie einen Krieg unmittelbar erleben mussten - das befördert friedliches Denken leider nicht.
Und dennoch, wir brauchen Kanäle zu Moskau, ohne zu vergessen, wer der Aggressor in dieser Region und anderen Regionen ist und war. Alles auf Eis legen zwischen der NATO und Moskau, bringt nicht viel. Erste zaghafte Bewegungen können wir erkennen, sowohl in der Ostukranie, wie auch im Nahen und Mittleren Osten. Wachsam müssen wir.
Heute lebe ich in Russland geniesse hohes Ansehen und habe ungeahnte Freiheiten die ich in Europa so nie erlebt habe. Das ist eben Russland. Warum sollte Russland eine Bedrohung fuer Polen sein, das ist ein so irrsinniges Statement, dass man das gar nicht ernst nehmen kann. Was hat Polen denn zu bieten was wir in Russland nicht haben? Gar nichts. Von mir aus koennen die Polen ihre Phobie ausleben, uns in Russland stoert das wenig, weil wir dafuer nicht die Kosten tragen muessen, dafuer ist dann Angela Merkel wieder zustaendig.
Interessant in diesem Zusammenhang finde ich immer wieder die Verwendung des Wortes Europa. Im Geografieunterricht in der Schule habe ich mal gelernt, das der Kontinent Europa vom Atlantik (Irland) bis zum Uralgebirge (mitten in Russland) reicht. Dieser Geografieunterricht ist, zugegeben, 55 Jahre her. Scheinbar ist Europa während dieser Zeit geschrumpft wie ein zu heiß gewaschener Wollpullover, denn Europa wird heute meist mit Frankreich und Deutschland gleichgesetzt.
Ich denke, ein friedliches vereintes Europa wird ohne Russland als gleichberechtigtem Partner niemals zustandekommen.
Russland ist Europa, EU und Russland zusammen wären ein Machtzentrum in dieser Welt - genau das liegt nicht im Interesse der USA ...
Da muss man auch kein Russlandversteher (welch dämliches und sinnfreies Wort) sein, um nicht zu sehen, dass seitens der USA alles getan wird, um Gründe vorzutäuschen aufrüsten zu können.
Noch ein Beispiel zum Vergleich, wie unterschiedlich Bewertungen ausfallen können. Frau Merkel nennt die Annexion der Krim durch Russland verbrecherisch. Wie müsste Frau Merkel die Katastrophe, die die USA unter Bush im Irak angerichtet hat denn nennen? Gibt es vielleicht sehr viel mehr USA-Versteher?
Die NATO sollten daher ja nicht einseitig das Abkommen durch Aufrüstung vor Ort verändern. Wir müssten mit Russland in dem Sinne verhandeln, dass die NATO ihr jetziges Gebiet mit allen Mitteln verteidigt und dafür auch weitere Truppen stationieren darf, die auch den Russen offen gelegt werden – wie bei Truppenbewegungen prinzipiell schon vereinbart. Aber dass die NATO keinen Schritt darüber hinaus gehen wird, kein anderes Land aufnimmt, auch wenn eines oder mehrere einen Antrag stellen. Und kein Land aus der NATO mit anderen Ländern in Europa ein Militärbündnis eingeht – also auch nicht mit der Ukraine, Georgien, Serbien, Weißrussland, Moldawien oder sonst wen. Die NATO müsste dann garantieren, dass sie wegen anderer nicht zur NATO gehöriger Staaten keine militärischen Operationen einleitet, keine Waffen liefert, keine Milizen unterstützt, keine Kriegsubsidien bezahlt usw.
Gegenwärtig sind da überall Grauzonen, um die auch mit Propagandakriegen darum gerungen wird, zu welcher Einflusszone sie gehören sollen. Und es gibt auch im Westen Kräfte, die dort „Brinkmanship“ wie im Kalten Krieg betreiben: „Brink to war“ bis an den Rand des Krieges.
Das gibt/gab es aber schon alles! Vielleicht sollte jeder sich mit Geschichte auseinander setzen. Unter welchen Konditionen haben die vier Siegermächte/Alliierte der Wiedervereinigung Deutschland's zugestimmt?
Vielleicht sollte man dazu auch mal das Buch von Peter Scholl-Latour lesen: Russland im Zangengriff, erschienen im Jahre 2006. Darin wird zum damaligen Zeitpunkt geschrieben was heute aktuell ist und wurde auch genauso voraus gesagt!
Polen und die baltischen Staaten haben nichts von Russland zu befürchten! Die Historie bezüglich des Ukrainekrieges, wie und wann was angefangen hat, sieht leider unangenehm für die NATO aus. Vielleicht sollte man sich auch fragen warum der oberste Nato-Befehlshaber nur ein Amerikaner sein darf!? Oder sind wir Deutschen nicht in der Lage eine Armee zu führen? Oder die Franzosen?
Ich glaube viele Sachen stecken im Detail und das Polen ein so hohes Angstgefühl hat ist ok, aber hat nichts mit einer wirklichen Bedrohung durch Russland zu tun!
Meine Eltern haben mir etwas wesentliches beigebracht, die Frage zu stellen: "Wem nützt bzw. wer profitiert von dieser Handlung?" Und viele Sachen lassen sich dann sehr gut nachvollziehen!
- Der Militäretat aller NATO Länder beträgt in Summe mehr als 1.000 Mrd US$ pro Jahr. Russland gibt dagegen weniger als 100 Mrd Us$ aus. Wer bedroht wen ?
- Russland hat nach dem Ende des kalten Krieges die Patrouillienflüge seiner Luftwaffe im internationalen Luftraum VOLLSTÄNDIG eingestellt. Die USA hingegen haben ihre Patrouillienflüge in vollem Umfang wie zu Zeiten des kalten Krieges fortgeführt. Wer bedroht wen ? (als aber Russland nach Beginn der Ukraine Krise auch wieder einige Patrouillienflüge durchführte, wurde dies sofort als Beweis seiner bedrohlichen Absichten vermeldet).
-Die atomare Abschreckung (MAD), die im kalten Krieg verhinderte, daß er heiss wurde, beruhte unter anderem auf dem Verbot von Raketenabwehrsystemen, festgelegt im ABM Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion. Der ABM Vertrag wurde einseitig von den USA aufgekündigt. Wer bedroht wen ?
-Russland wurde bei der deutschen Wiedervereinigung - zugegebenermaßen nur mündlich - versprochen, daß die NATO sich nicht nach Osten ausdehnen werde. Seitdem wurden in drei Erweiterungsrunden bis 2009 insgesamt zwölf osteuropäische Staaten in die NATO aufgenommen. Wer bedroht wen ?
-Und in der Ukrainekrise ist der Westen natürlich völlig unbeteiligt und Russland hat aus heiterem Himmel die Krim besetzt.
Nun sind natürlich auch die Russen keine real- und machtpolitischen Waisenknaben -genauso wenig wie die Länder der NATO. Ich will hier auch nicht die einseitige Berichterstattung unserer Medien einfach durch eine ebenso einseitige Darstellung aus russischer Sicht konterkarieren. Aber eine alleinige Schuldzuweisung an Russland für die wieder zunehmenden Spannungen scheint mir auf Basis obiger Fakten in keiner Weise gerechtfertigt.
Wer dies ignoriert und wie die polnische Führung - frei nach Paul Watzlawick - "mehr desselben", d.h. eine weitere Verstärkung der militärischen Drohung der NATO in Richtung Rußland fordert, hat entweder die russische Mentalität nicht verstanden ... oder ein Interesse an einer Konfrontation des Westens mit Russland.
Aus geopolitischer Sicht könnte ich ein solches polnisches Interesse sogar nachvollziehen
ich warte immer noch auf eine Refokussierung, einen Blickwechsel, einen Reorientierung der Politik, der das gesamte Denken, die ganze Argumentation umkrempelt. NOT-wendig ist sozusagen ein prioritäres, oberstes handlungsleitendes Politikziel, nämlich vom Freiden her zu denken, zu sprechen und dann auch zu handeln! WENN es überhaupt eine Deutsche Verantwortung im 21. Jahrhundert gibt, dann ist diese solch ein Politikziel bewusst zu setzen und durchzusetzen, nämlich Frieden und die gesamte Orientierung daraufhin. Nur dies Politikziel kann sich erheben, sich Deutsche Verantwortung im 21. Jahrhundert zu nennen!
Andererseits hat der Konflikt auch auf russischer Seite Veränderungen hervorgerufen. Wir können nicht einfach zum Status quo vor den Veränderungen in der Ukraine oder gar vor der Erweiterung der NATO nach Osten zurückkehren. Die Glaubwürdigkeit des Westens ist zerstört und das Misstrauen bei der russischen Führung grenzenlos. Im russischen Volk hat sich, nach allem was man liest, eine Stimmung ausgebreitet, die sowohl einen starken Staat mit starker Führung wünscht (vielleicht auch nur nach dem Motto, ein Mafiaboss ist besser als viele, die sich bekämpfen. Da ist für den einzelnen Bürger es leichter, sich zu orientieren und nicht zwischen die Fronten zu geraten), als auch Trauer über den Verlust des sowjetischen Imperiums, in dem es die scheinbare Gleichheit, Sicherheit und Stabilität gab. Diese Stimmung wird gefördert und genutzt zum Machterhalt des Systems Putin.
Also müssen wir nach einer Form der nicht konfrontativen Sicherheit suchen. Unsere Politik muss versuchen, demonstrativ Russland als Verhandlungs- und Vertragspartner wieder auf die Weltbühne zurückzuholen und damit Putin einen Sieg gönnen, z.B. dass Krim-Problem damit zu lösen versuchen, dass dort noch einmal eine international überwachte und dann auch anerkannte Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu welchem Staat abgehalten wird (Beispiel Saarland – Volksabstimmungen), und dem russischen Volk durch praktische Taten zu helfen, soweit hier dazu überhaupt Möglichkeiten gefunden werden, dass seine wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit verbessert werden: z.B. Fluchtgelder russischer Oligarchen, wie damals die vom Gaddafi-Clan, festzuhalten und an den russischen Staat zurück zu geben und Investitionen in Russland zu befördern, die dem dortigen Binnenmarkt dienen und nicht nur auf Rohstoffausbeutung setzen.