Derzeit ziehen für die SPD und die Grünen viele neue, junge und weibliche Abgeordnete in den Bundestag ein. Der Frauenanteil des Bundestages erhöht sich zwar nur von 31 auf 34,7 Prozent, dennoch ist damit die Hoffnung nach einem neuen Schub für mehr Geschlechtergerechtigkeit verbunden. Es wird Zeit, dass in Deutschland endlich eine moderne Familien- und Arbeitsmarktpolitik umgesetzt und mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen erreicht wird. Das würde nicht nur das Leben der Frauen, sondern auch der Männer verbessern. Aber: „Es geht nur gemeinsam!“, wie Jutta Allmendinger im Titel ihres Buches betont. Sowohl Frauen als auch Männer müssen sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit engagieren. Anders geht es nicht. Die Frage ist nur: Wie?

Es wird Zeit, dass in Deutschland endlich eine moderne Familien- und Arbeitsmarktpolitik umgesetzt und mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen erreicht wird.

Jutta Allmendinger, eine der führenden Soziologinnen in Deutschland und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, lenkt zunächst den Blick darauf, was in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch nicht passiert ist. Dabei bezieht sie auch die Zeit der Corona-Pandemie mit ein, die für viele Frauen eher mit einer Re-Traditionalisierung verbunden ist. Viele weibliche Beschäftigte arbeiten während der Pandemie im Homeoffice, müssen sich gleichzeitig um ihre kleinen Kinder kümmern und leiden unter Stress und stark erhöhten Anforderungen, so Allmendinger.Das Jahr 2020 habe Frauen „zurückgeworfen“. Aber auch insgesamt sei in den letzten 40 Jahren nicht viel passiert in Deutschland: Frauen würden in der deutschen Gesellschaft immer noch als Hauptansprechpersonen für die Belange der Kinder und als Zuarbeiterinnen für das Haushaltseinkommen gesehen. Die staatlichen Instrumente für mehr Geschlechtergerechtigkeit seien völlig unzureichend.

Und so entwirft Allmendinger in ihrem Buch dafür einen Fahrplan. Dieser Fahrplan für mehr Geschlechtergerechtigkeit soll dafür sorgen, dass ihre – noch ungeborene Enkeltochter – es einmal besser haben wird. Er umfasst vier fundamentale und leicht verständliche Ziele. Erstens geht es um eine bessere Familien- und Arbeitsmarktpolitik im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit. Mit diesem ersten Ziel verbindet Allmendinger vor allem die Abschaffung des Ehegattensplittings, das immer noch ungleiche Einkommen in Partnerschaften belohnt. Sie argumentiert, dass das Ehegattensplitting zwar kurzfristig zu finanziellen Erleichterungen führt, langfristig aber zulasten der Frauen geht, weil es deren eigenständige Sicherung verhindert. Sie empfiehlt den österreichischen Weg: Österreich hat das Ehegattensplitting bereits 2009 abgeschafft und eine Familienbesteuerung eingeführt. Je mehr Kinder man in Österreich hat, desto geringer sind die zu zahlenden Steuern.

Zu einer neuen Familien- und Arbeitsmarktpolitik gehört laut Allmendinger aber auch die Abschaffung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Diese würden zu deutlichen Renteneinbußen führen, was das ohnehin schon vorhandene Risiko der Altersarmut bei Frauen zusätzlich erhöht.

Zweitens muss die bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Frauen und Männern angeglichen werden. Allmendinger macht die ungleiche Arbeitszeit von Männern und Frauen als hauptsächlichen Grund dafür aus, warum Frauen ein geringeres Monats-, Jahres- und Lebenseinkommen haben als Männer. Daher beziehen sie auch eine wesentlich geringere Rente. Zudem führen niedrige Arbeitszeiten bei Frauen auch dazu, dass sie seltener Führungspositionen besetzen. Als Lösung für dieses Problem schlägt Allmendinger drei wichtige Maßnahmen vor: Das Kinderbetreuungsangebot (Kitas und Ganztagsschulen) müsse umfassend und qualitativ hochwertig ausgebaut werden. Männer müssten ihre Arbeitszeit reduzieren und damit endlich einen aktiven Schritt auf Frauen zugehen. Allmendinger plädiert für die 32-Stunden-Woche für alle. Sie argumentiert, dass es im Grunde eine Vier-Tage-Woche brauche, um beiden Elternteilen jeweils einen freien Wochentag zu geben. Denn im Kern geht es Allmendinger um eine Umverteilung der Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern.

Allmendinger plädiert für die 32-Stunden-Woche für alle.

Dafür sei zusätzlich notwendig, dass Väter generell für zwei Wochen nach der Geburt des Kindes freigestellt würden, damit sie eine frühe Bindung zum Kind aufbauen könnten. Bei der Erziehungszeit plädiert Allmendinger für die Vorgehensweise Schwedens, wo Mütter meist acht und Väter vier Monate Elternzeit nehmen. Die schwedische Regierung initiiere zudem vorbildliche Kampagnen, mit denen Stereotypisierungen abgebaut werden. Auch davon könne sich Deutschland eine Scheibe abschneiden.

Allmendinger fordert, drittens, gleichen Lohn für vergleichbare Erwerbsarbeit. Sobald Erwerbsarbeit und Pflege- bzw. Erziehungsarbeit unter Frauen und Männern gleicher verteilt seien, reduziere sich auch der Gender Pay Gap, so Allmendinger. Denn die hohen Unterschiede im Stundenlohn zwischen Männern und Frauen seien größtenteils langfristige Folgen der Erwerbsunterbrechungen und geringen Arbeitszeiten von Frauen.

Natürlich gibt es immer noch typische Frauenberufe, in denen niedrigere Löhne gezahlt werden. Daher müssten mehr Frauen in sogenannte Männerberufe und mehr Männer in sogenannte Frauenberufe gebracht werden, fordert Allmendinger. Das würde schon einiges ändern. Zudem müssten die Löhne noch stärker als bisher offengelegt werden. Das Entgelttransparenzgesetz gelte bisher nur für Unternehmen ab 500 Beschäftigten. Es müsse unbedingt ausgedehnt werden auf kleinere Unternehmen, weil viele Frauen in kleineren Betrieben arbeiten.

Viertens, so Allmendinger, muss der Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöht werden. Sie geht davon aus, dass Frauen in Führungspositionen eine Signalwirkung haben. Sie sind sichtbare Vorbilder. Weibliche Vorgesetzte zeigten zudem, dass Frauen erfolgreich sein und Unternehmen steuern können. Gerade für junge Frauen sei es daher extrem wichtig, dass sie weibliche Vorbilder in Führungspositionen hätten.

Männer verweigern sich der Veränderung: Es braucht daher feste Quoten.

Warum gibt es dann aber immer noch so wenig Chefinnen? Allmendinger ist sich sicher, dass es nicht am Unwillen der Frauen liegt. Es liege vor allem daran, dass Männer sich der Veränderung verweigern. Es brauche daher feste Quoten, fordert sie – und zwar jetzt. Immerhin hat der Bundestag im Sommer 2021 auf Druck der SPD ein Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen verabschiedet. Es zwingt börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mindestens drei Vorstandsmitgliedern dazu, mindestens eine Frau im Vorstand zu haben. Allerdings betrifft die Regelung bundesweit nur 64 Unternehmen, wovon 42 die Regelung schon erfüllen.

Wenn all diese Ziele erreicht sind, dann müssen sich die heute geborenen Mädchen später nicht mehr dafür rechtfertigen, dass sie erwerbstätig sind und finanziell unabhängig. Dann gäbe es ausreichend Kindertagesstätten und gute Ganztagsschulen. Und die Frauen würden sich die Erziehung ihrer Kinder mit den Männern teilen, was angesichts der 4-Tage Woche einfacher wäre. Die heute geborenen Mädchen würden später auch fair entlohnt werden und es gäbe keine typischen Frauen- oder Männerberufe mehr. Frauen in Aufsichtsräten oder Vorständen wären etwas völlig Selbstverständliches und das System der diversen Führung würde dafür sorgen, dass die Bedürfnisse aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berücksichtigt würden.

Wie Allmendinger schreibt: „Diese Umsteuerung unserer Gesellschaft kann und darf aber nicht Aufgabe der Frauen allein sein. Wir alle profitieren von einer gerechten Gesellschaft. Wir alle müssen uns dafür einsetzen.“ In diesem Sinn sollten sich alle neu gewählten Bundestagsabgeordneten – Männer wie Frauen – Jutta Allmendingers Buch ganz oben auf den Lesestapel legen.