Als sein Erstlingswerk vor drei Jahren in Frankreich erscheint, ist Édouard Louis gerade mal 20 Jahre alt. Dass sein Roman „Das Ende von Eddy“ ein echter Überraschungserfolg wird, ist der beste Beweis dafür, dass literarische Brillanz keine Frage des Alters ist. In Frankreich verkaufte sich der Roman seitdem mehr als 200.000 Mal. Seit Februar steht dieses eindrucksvolle Buch nun endlich auch in deutscher Übersetzung in den Bücherregalen – auch in meinem.
Der Roman beschreibt das Leben und Leiden eines jungen Schwulen in der nordfranzösischen Provinz. Eddy lebt in einem Dorf, in dem die Entdeckung der eigenen Homosexualität immer noch einer Katastrophe gleichkommt. Es ist eine Welt, in der er sich fehl am Platz fühlt. Denn Eddy ist anders. Er hat eine hohe Stimme und geht lieber ins Theater, während die anderen Jungs Bier trinken und Fußball spielen. Eddy erlebt eine ziemlich grausame Kindheit und Jugend: Tägliche Demütigungen durch die Mitschüler, eine zerrüttete Familie und ein Milieu, das geprägt ist von Armut, Rassismus, Homophobie und Gewalt.
Die Welt, in der Eddy heranwächst, ist die düstere soziale Realität derjenigen, die sich als die großen Verlierer der Globalisierung fühlen, die sich von der etablierten Politik abwenden und in die Radikalität abdriften. Nicht umsonst errang die Front National in der Region Picardie, dem Schauplatz des Romans, bei Wahlen zuletzt mehr als ein Drittel der Wählerstimmen.
Dass der Roman in Frankreich für so viel Wirbel sorgte, hat viel mit der damaligen politischen und sozialen Lage in Frankreich zu tun. Als das Buch im Jahr 2012 auf den Markt kommt, toben in Frankreich gerade kontroverse Debatten über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Der Gesetzentwurf hatte heftige Proteste ausgelöst, bei denen Demonstranten ihrem Hass gegen Homo- und Transsexuelle freien Lauf ließen.
Dieses Timing war reiner Zufall, doch als literarische Provokation kam der Roman genau zur rechten Zeit, eben weil er der Gesellschaft so unerbittlich den Spiegel vorhält. Nicht das Buch ist der Skandal, sondern die traurige Realität, die Édouard Louis so eindrücklich beschreibt! Der junge Autor erinnert uns daran, dass auch im Herzen Europas keineswegs alle Schwule und Lesben ganz offen ein „normales“ Leben inmitten unserer Gesellschaft führen können. Auch in Frankreich oder Deutschland müssen immer noch Menschen tagtäglich Erniedrigungen und Beleidigungen wegen ihrer sexuellen Orientierung erdulden.
So sehr mich sein Roman bewegt hat, so inspirierend empfinde ich auch die erste Begegnung mit dem Autor. Ich lud Édouard Louis im März zu einer Lesung nach Berlin ein. Er ist seinem Roman ziemlich ähnlich: intelligent, analytisch, nachdenklich, wortgewaltig. Bewundernswert, dass ein so tiefgründiges und gesellschaftskritisches Buch aus der Feder eines damals 18-Jährigen stammt. Ein echtes intellektuelles Wunderkind eben!
Überhaupt macht die Nähe zwischen dem Autor Édouard und dem Protagonist Eddy den Reiz dieses Buches aus. Denn das Leben von Eddy ist ein bisschen auch das Leben von Édouard. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen und bisweilen fragt man sich, ob man denn nun eigentlich einen Roman oder eine Autobiographie in den Händen hält. Ja, und vielleicht hat mich das Buch auch gerade deshalb so bewegt, weil es bei mir auch eigene Erinnerungen geweckt hat. An meine Kindheit und Jugend in einem kleinen nordosthessischen Bergarbeiterstädtchen, meine nicht immer einfache Schulzeit und die Studienjahre in Frankfurt, die ich als große Befreiung empfand.
Und dennoch ist „Das Ende von Eddy“ mitnichten ein Buch, das sich ausschließlich an ein schwules Publikum richtet. Édouard Louis erzählt die Geschichte von einem, der anders ist, und der es schafft, ein anderer zu werden, ohne so zu werden wie die anderen. Es ist ein eindrückliches Plädoyer für Akzeptanz und gegen Stigmatisierung. Einfach ein starkes Stück Literatur!