Um die „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM) ist es in den letzten Monaten etwas stiller geworden. Die Corona-Pandemie, die Diskussion über den menschengemachten Klimawandel, die durch Extremwetterereignisse neu angefacht wurde, und vor allem der noch immer nicht aufgearbeitete „Sturm auf das Kapitol“ vom 6. Januar 2021 haben die BLM-Debatte zweitweise medial überdeckt. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass die von BLM angeprangerte strukturelle Benachteiligung und Bedrohung schwarzer Amerikanerinnen und Amerikaner und die durch Trump angestachelte politische Gewalt eng miteinander verwoben sind.

Die scharfe politische und gesellschaftliche Polarisierung hat in den USA toxische Ausmaße angenommen. Nicht nur Trumps radikalste, von weißen Überlegenheitsfantasien angetriebene Anhänger, sondern ein großer Teil der Unterstützer der Republikanischen Partei stellt inzwischen in Frage, wer überhaupt zum Volk gehört. Bereits bei der Tea Party-Bewegung innerhalb der Partei hieß es „Wir wollen unser Land zurück!” und schon damals musste man sich fragen: Von wem eigentlich?

Die zunehmend hasserfüllte Dämonisierung und Entmenschlichung des politischen Gegners trifft dabei insbesondere die ethnischen Minderheiten. Deren Wahlbeteiligung soll mit allen Mitteln beschränkt und verhindert werden. Im Fokus stehen vorrangig die schwarzen Amerikanerinnen und Amerikaner, deren volle Bürgerrechte erst in den 1960er Jahre erkämpft wurden – aber offenbar nicht nachhaltig, wie die aktuelle Lawine von wahlrechtsbeschränkenden Gesetzesvorhaben zeigt. Neben Gesetzen nutzen die Republikaner auch alle administrativen Möglichkeiten, z.B. die Schließung von Wahllokalen in mehrheitlich afro-amerikanischen Bezirken. Diese „Jim Crow-Gesetze für das 21. Jahrhundert“ (Joe Biden) ignorieren wissentlich die lange und tragische Geschichte der Sklaverei, Segregation, Gewalt und Einschüchterung, die bis heute bei vielen schwarzen Amerikanerinnen und Amerikanern als kollektives Trauma wirkt und Angst auslöst – nicht nur gegenüber der Polizei, sondern mancherorts auch bei der schlichten Ausübung des Stimmrechts.

Diese Angst vor einem von Hass aufgepeitschten Mob ist es, die im Vordergrund der Graphic Novel „Gejagt. Die Flucht der Angela Davis“ der Franzosen Fabien Grolleau und Nicolas Pitz steht. Angela Davis ist eine radikale Denkerin, die mit ihren Texten und Reden zu Race, Feminismus und Klasse bis heute Kontroversen provoziert. Mit ihren politischen und philosophischen Ideen setzt sich das Buch leider kaum auseinander. Es ist aber gerade der Fokus auf die ständige Angst vor dem – weißen – Mob, der diesen Band so faszinierend macht. In einem Rückblick auf Davis‘ Kindheit wird dieser Mob symbolisiert von sie umkreisenden Wölfen. Die Schilderung ihrer abenteuerlichen Zeit im Untergrund 1970, auf der Flucht vor dem FBI, verstärkt beim Leser den Eindruck einer tiefen Ungerechtigkeit. Denn Angela Davis hatte und hat als amerikanische Staatsbürgerin jedes Recht, Kommunistin und Feministin zu sein, und kontroverse politische Meinungen zu vertreten. In den Augen ihrer Verfolger war ihr Hauptvergehen aber eben, schwarz zu sein. Damit rückt der Comic die bis heute nicht aufgearbeitete Spaltungslinie in der amerikanischen Politik und Gesellschaft in den Fokus und dramatisiert ihn anhand des Lebens einer Ikone der Black Power-Bewegung.

Angela Davis‘ Leben wird im Comic weder chronologisch noch vollständig erzählt, sondern in Form von Rückblicken auf ihre Kindheit, ihre Studienzeit – u.a. in West- und Ostdeutschland, sie promovierte an der Humboldt-Universität – und ihre Lehrtätigkeit an der University of California in Los Angeles. Roter Faden ist ihre Flucht vor dem FBI. Sie wird beschuldigt, Mittäterin einer Geiselnahme und eines Mordes zu sein, weil der Täter ihre Waffe benutzt hatte. FBI-Chef Edgar Hoover macht ihre Verfolgung mit Präsident Richard Nixons Unterstützung zur Chefsache: Davis landet auf der „Ten Most Wanted“-Liste.

Die Besessenheit ihrer Verfolgung – und zuvor ihrer vom kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan betriebenen Entlassung als Dozentin – kann man kaum allein mit der Hysterie des Kalten Krieges erklären oder mit Davis‘ zeitweiser Nähe zur radikalen Black Panther Party. Als selbstbewusste, eloquente schwarze Frau stellte sie wohl vor allem deshalb eine Gefahr dar, weil sie die Forderungen der schwarzen Amerikanerinnen und Amerikaner popularisieren konnte. Am Ende wurde dies zur selbsterfüllenden Prophezeiung, denn gerade ihre Verfolgung und die nachfolgende Gerichtsverhandlung machten Angela Davis zu einer Ikone, für die sich weltweit Menschen einsetzten. Eine rein weiße Jury sprach sie schließlich frei.

Der Band ist einer von zahlreichen aktuellen französischen Comics zur amerikanischen Politik, ein deutlicher Hinweis auf die Brisanz der politischen Entwicklungen in den USA mit Blick auf ihre potentiellen Auswirkungen in Europa. Die Comic-Künstler thematisieren selbst, ob es legitim ist, dass zwei weiße Männer die Geschichte einer schwarzen Frau erzählen. Trotz einiger erzählerischer Freiheiten ist es den Autoren gelungen, Klischees weitgehend zu vermeiden und das Medium Comic für ein wichtiges Thema zu nutzen, dessen besondere Relevanz vor dem Hintergrund der „großen Lüge“ der angeblich gestohlenen Wahl 2020 wohl unbestritten ist. Denn: Weder hat die Präsidentschaft Barack Obamas zu einer „post-racial society“ geführt, sondern im Gegenteil den Extremismus weißer Überlegenheitsfanatiker angeheizt. Noch hat die mit Trump verbundene „letzte Chance“, die Dominanz der schrumpfenden Bevölkerungsgruppe der weißen Amerikaner zu erhalten, mit dessen Abwahl ihr Mobilisierungspotenzial verloren. Es ist zu befürchten, dass die Republikaner Wahlniederlagen auch künftig nicht mehr akzeptieren werden, weil diese aus ihrer Sicht nur auf Wahlfälschung beruhen können – genauer gesagt: auf den Stimmen von Minderheiten, die von ihnen nicht (mehr) als legitimer Teil des Volkes betrachtet werden.