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In einer aktuellen Studie haben Sie die Erfolge grüner Parteien in 32 Ländern untersucht - und zwar im Schnitt der letzten 45 Jahre. Ist der aktuelle Höhenflug grüner Parteien ein weltweites Phänomen?

In vielen der entwickelten Industriestaaten können wir momentan eine ausgesprochene grüne Welle beobachten. In Deutschland und den Niederlanden erreichen die grünen Parteien bei Wahlumfragen 15-20 Prozent – ein noch nie dagewesener Wert. Auch die Befragungen vor den Wahlen in Kanada, Australien, Finnland, Belgien und der Schweiz sorgen für aufregende Schlagzeilen und legen nahe, dass die Unterstützung auch dort auf Rekordniveau liegt. Weltweit betrachtet sind die Mitglieder des Bündnisses der Umweltparteien, der „Global Greens“, momentan in über 25 Ländern in aller Welt parlamentarisch vertreten. Die GroenLinks-Partei gehörte gerade bei den niederländischen Regionalwahlen zu den deutlichsten Gewinnern. Sie konnte den Anteil ihrer Sitze verdoppeln und wurde in großen Stadtzentren wie Amsterdam oder Utrecht zur größten Partei. Seitdem an der Universität von Wellington im Jahr 1972 die bescheidene neuseeländische Wertepartei gegründet wurde, hat die Familie der grünen Parteien insgesamt enorme Fortschritte gemacht.

Gibt es Ausnahmen?

Die zunehmende politische Bedeutung der Grünen ist nicht gleichmäßig verteilt. Obwohl sie sich aus ihren zentralwestlichen europäischen Geburtsländern heraus immer weiter verbreitet haben, bleiben sie trotzdem in einigen Ländern – wie in den relativ vielfältigen Parteilandschaften von Norwegen, Spanien und Polen – ziemlich unbekannt und unbedeutend. Auch in Osteuropa ist die Schwäche dieser Parteien spürbar, und daher ist auch nicht zu erwarten, dass sie bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) mehr Sitze erlangen. In dieser Hinsicht hinken die Grünen ironischerweise hinter den rechtspopulistischen Parteien her, deren Verbindungsversuche im Rahmen eines „internationalen Nationalismus“ umfassend kommentiert wurden und die im Mai punkten könnten – aufgrund der Stärke der „Populisten“ und „Nationalisten“ auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs.

Wie ist die Lage außerhalb der entwickelten westlichen Demokratien?

Dies fällt zwar nicht in den Untersuchungsbereich unserer Studie, aber hier muss man klar sagen, dass die grünen Parteien außerhalb der „fortgeschrittenen westlichen Demokratien“ zu extremer Schwäche neigen. In Afrika und Asien spielen die grünen Parteien bei den Wahlen kaum eine Rolle – trotz einer reichen Geschichte an ökologischen Graswurzelbewegungen wie den Rodungsgegnern der Chipko-Bewegung in Indien oder der Grüngürtelbewegung in Kenia. Sogar im reichen Japan nach Fukushima mangelt es ihnen an parlamentarischer Vertretung.

Außerhalb der „fortgeschrittenen westlichen Demokratien“ neigen die grünen Parteien zu extremer Schwäche.

Eine Ausnahme von der Daumenregel „keine wirtschaftliche Entwicklung = keine große grüne Partei“ bildet das heutige Lateinamerika. Die Grüne Partei Mexikos ist bereits seit den späten 1990ern im Parlament vertreten (auch wenn die Partei viel konservativer ist als ihre europäischen Kollegen), und bei den brasilianischen Präsidentschaftswahlen von 2010 konnte eine grüne Kandidatin fast zwanzig Prozent der Stimmen holen. Auch in Kolumbien gibt es eine grüne Partei, und eine weitere konnte kürzlich in Bolivien fast 100 000 Stimmen für sich gewinnen. Die dortigen Grünen wurden noch nicht genug untersucht, aber eine Erklärung für ihren Erfolg könnte sein, dass in bestimmten Entwicklungsländern die Umweltzerstörung in Form von Waldrodung und Wasserknappheit tatsächlich ernsthaft die Lebensgrundlagen der Menschen bedroht. Insgesamt allerdings „boomen“ die grünen Parteien nur in den wirtschaftlich am weitesten entwickelten Demokratien Europas und des angelsächsischen Raums.

Wie erklären Sie die großen Abweichungen bei den Wahlerfolgen der grünen Parteien? Warum sind sie in Deutschland erfolgreich nicht aber in Spanien oder Norwegen? Welche Bedingungen benötigen grüne Parteien, um gedeihen zu können?

Teilweise hat diese Frage bereits unseren jüngsten Artikel inspiriert, in dem Professor James Tilley und ich über 340 Wahlergebnisse der letzten 45 Jahre in 32 Ländern – Kanada, Neuseeland, Australien und europäische Staaten – quantitativ analysiert haben. Dabei haben wir einige institutionelle, sozioökonomische und politische Faktoren gefunden, die systematisch mit höheren oder niedrigeren Wahlergebnissen grüner Parteien in Verbindung stehen.

Für die Nöte kleiner Parteien werden oft die nichtproportionalen Wahlsysteme der jeweiligen Länder verantwortlich gemacht. Alles in allem konnten wir aber feststellen, dass Dezentralisierung (föderale Institutionen, Regionalisierung usw.) ein besserer Indikator für die Stärke grüner Parteien ist als das Wahlsystem. Auf subnationaler Ebene fällt es kleinen Parteien leichter, Sitze zu gewinnen, was an der kleineren Wählerschaft oder den vergleichsweise geringen Ressourcen liegen mag, die die großen nationalen Parteien für diese zweitrangigen Wahlen mobilisieren. Solche Abstimmungen werden von den Wählerinnen und Wählern als weniger wichtig betrachtet und ermöglichen den kleinen Parteien eine größere Chance auf Erfolg. Folglich können sich Parteien wie die Grünen so einen Ruf als vertrauenswürdige Gesetzgeber erwerben, der ihnen bei zukünftigen Wahlen auf staatlicher Ebene hilft.

Welche Rolle spielen dabei sozialökonomische Faktoren?

Zu den sozialökonomischen Faktoren haben wir festgestellt, dass grüne Parteien in Ländern mit hohem Pro-Kopf-BIP und geringerer Arbeitslosigkeit besser abschneiden. Dies begründen wir teilweise mit der postmaterialistischen These, aber auch der Tatsache, dass die Bedeutung des Umweltschutzes und anderer „grüner“ Themen bei schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen unweigerlich abnimmt. Dann richtet sich die politische Aufmerksamkeit eher auf die Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Landes. Dies begünstigt häufig Diskussionen über Kompetenz und wirtschaftliche Verwaltung, die den etablierten Parteien mit längerer Regierungserfahrung mehr nützen als den Grünen, die in vielen Ländern relativ unbeschriebene Blätter sind.

Grüne Parteien schneiden besser in Ländern ab, in denen die Unterstützung für „radikal linke“ Parteien (wie Syriza oder Podemos) geringer ist.

Außerdem konnten wir beobachten, dass die grünen Parteien mit größerer Wahrscheinlichkeit in Ländern erfolgreich sind, die stark von Kernenergie abhängen. Diese Art von Energiegewinnung abzuschaffen war für die grünen Parteien ein fast universelles Anliegen, und dabei können tatsächlich existierende Kraftwerke als praktische grüne Wahlkampfthemen dienen. So gesehen spielt die Atomkraft dabei eine ähnliche Rolle wie hohe Einwanderungsraten für die Unterstützung der Rechtsradikalen.

Wie sieht es mit dem politischen Parteisystem aus? Inwiefern hängt der Erfolg oder Misserfolg der grünen Parteien von ihren politischen Wettbewerbern ab?

Grüne Parteien schneiden besser in Ländern ab, in denen die Unterstützung für „radikal linke“ Parteien (wie Syriza oder Podemos) geringer ist. Ich würde behaupten, dass zwischen bestimmten grünen Parteien und der radikalen Linken allgemein ein bestimmtes Maß an funktionaler Äquivalenz besteht. Immerhin thematisieren beide das Übermaß kapitalistischer Produktionsmethoden. Dazu haben sie historisch gesehen auch einen gewissen Anti-Establishment-Charakter gemeinsam. Darüber hinaus sprechen sie tendenziell die gleiche Art von Menschen an: die Jungen, die Stadtbewohner, die Säkularen und die Hochgebildeten. Daher ist zwischen den beiden Lagern ein gewisses Maß an Wettbewerb zu erwarten. Wichtiger noch ist allerdings unsere Erkenntnis, dass die Positionen der Mainstream-Parteien einen sehr großen Einfluss haben können.

Wie das?

Ergänzend zu einer früheren Untersuchung analysierten wir anhand von Parteiprogrammen, wie oft die größten Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien eines Landes bestimmte „grüne Themen“ erwähnten und welche Position sie ihnen gegenüber einnahmen. Wir fanden heraus, dass die grünen Parteien tendenziell besser abschnitten, wenn große Parteien eine „akkommodierende“ (entgegenkommende oder grünenfreundliche) Einstellung vertraten. Wenn grüne Parteien noch jung sind, können sie von den großen Parteien durch eine „akkommodierende“ Einstellung gegenüber grünen Themen untergraben werden. Hat eine grüne Partei allerdings ein paar Wahlen überlebt und Bekanntheit in der Öffentlichkeit erlangt, ist dies anders: Wird dann beispielsweise das Umweltthema erwähnt, verstärkt sich dessen Bedeutung in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler noch, was letztlich den Grünen nützt. Auf dieser Stufe werden sie dann als „Eigentümer“ der Umweltthemen wahrgenommen. Dass die großen Parteien solche Themen aufgreifen, kann den Grünen also helfen. So bringt es der Umweltpolitik mehr Schlagzeilen und Glaubwürdigkeit, wenn sie von Angela Merkel oder Justin Trudeau auf die Tagesordnung gesetzt wird, als wenn Annalena Baerbock oder Elizabeth May zum hundertsten Mal darüber reden. Daher können wir erwarten, dass die grünen Parteien in Deutschland, den Niederlanden, Schweden etc. davon aktiv profitieren, dass die großen Parteien häufig die Bedeutung des Umweltschutzes erwähnen. Kleinen grünen Parteien wie denen in Polen oder Spanien kann es hingegen viel eher passieren, dass ihnen eine große Partei das Thema raubt und für sich selbst verwendet.

Hängt der Erfolg grüner Parteien weltweit nicht auch grundsätzlich mit den postmaterialistischen Werten einer bestimmten demografischen Gruppe zusammen?

Ronald Ingleharts Theorie des Postmaterialismus wird in der Debatte um die Wahlerfolge der Grünen oft zitiert. Um es etwas zu vereinfachen: Die Idee ist, dass es Wählerinnen und Wählern zunächst und in erster Linie um materielles Auskommen und körperliche Sicherheit geht. Allerdings konnten jüngere Wählergenerationen durch den zunehmenden Wohlstand und die existenzielle Sicherheit der westlichen Nachkriegsgesellschaften die traditionellen Prioritäten des Wachstums und der wirtschaftlichen Umverteilung hinter sich lassen. Während die Nachfrage nach den Zielen der „alten Linken“ zurückgeht, suchen die Wählerinnen und Wähler zunehmend nach neuen Möglichkeiten, „höhere“ Ziele – einige würden sagen „Luxusziele“ – wie Umweltschutz, Pazifismus, Feminismus und andere mit der „neuen Linken“ verbundenen Ideale zu verwirklichen. Hält eine Wählergruppe in Bezug auf den grundlegenden Lebensstandard erst einmal die Errungenschaften früherer Generationen für selbstverständlich, kann sie sich auf Themen einer neuen „Lebensqualität“ und „Selbstverwirklichung“ konzentrieren.

Können Sie dafür ein paar Beispiele geben?

Erstens waren die Länder, in denen die Grünen erstmals ihren Durchbruch hatten, fast durchweg wirtschaftlich hochentwickelte Gesellschaften mit relativ starken Wohlfahrtssystemen: Beispiele dafür sind Deutschland, Österreich, Belgien oder die Schweiz. Ärmere Länder und solche mit weniger starken sozialen Sicherheitsnetzen brachten hingegen (wenn überhaupt) meist erst viel später große grüne Parteien hervor. In unserem Artikel zeigen wir, dass bessere Wahlergebnisse der Grünen mit dem Pro-Kopf-BIP und geringerer Arbeitslosigkeit in Verbindung gebracht werden können. Dies ist wahrscheinlich ein Grund dafür, warum die grünen Parteien in Süd- und Osteuropa viel schwächer sind.

Es bringt der Umweltpolitik mehr Schlagzeilen und Glaubwürdigkeit, wenn sie von Angela Merkel oder Justin Trudeau auf die Tagesordnung gesetzt wird, als wenn Annalena Baerbock oder Elizabeth May zum hundertsten Mal darüber reden.

Zweitens: Analysiert man Umfragedaten aus vielen verschiedenen Ländern, erhält man auf die Frage, wer die grünen „Kernwähler“ sind, eine ähnliche Antwort: junge Menschen mit Hochschulbildung, die in einer „soziokulturellen“ Umgebung arbeiten (im Gesundheitsbereich, den sozialen Dienstleistungen, den Künsten usw.) und liberale soziale Werte vertreten. Dies sind jene, die wir als die „neue Mittelklasse“ bezeichnen können – oder beispielsweise jene, die existenziell abgesichert genug sind oder sich sicher genug fühlen, um Langfristziele oder -themen wie den Umweltschutz verfolgen zu können. Diese Menschen unterscheiden sich sehr stark von der Wählerschaft der alten Linken, die typischerweise aus weniger gebildeten Industriearbeitern und Arbeitslosen besteht. Dies wiederum ist tatsächlich die Gruppe, die unter den Wählerinnen und Wählern der Grünen heute am wenigsten repräsentiert ist, und die viel stärker dazu neigt, sich von Rechtspopulisten mobilisieren zu lassen. Natürlich gibt es noch weitere Faktoren, aber allgemein ist der Postmaterialismus immer noch eine sehr nützliche Theorie, um zu erklären, warum es in Belgien eine starke grüne Partei gibt, aber nicht in Bulgarien.

Inwiefern spielt die Wahrnehmung eines drastischen, vom Menschen verursachten Klimawandels beim Aufstieg der Grünen eine Rolle?

Im Zuge dessen, dass der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten in Europa sichtbarer wird und die Anzahl der Waldbrände usw. bereits jetzt steigt, könnten ökologische Themen leicht zu einer ausgesprochen „materialistischen“ Sorge werden – da der Lebenserwerb der Menschen immer offensichtlicher bedroht wird. Bis jetzt allerdings blieben große Teile Europas von den sehr realen Alltagsproblemen des Klimawandels, denen Bürger von Ländern wie Bangladesch oder den Malediven ausgesetzt sind, abgeschirmt. Somit ist es eher die Theorie des Postmaterialismus, die ich für hilfreich halte, um das grüne Wählerverhalten der heutigen Zeit zu verstehen.

Was bedeutet dies für politische Wettbewerber? Wie können sie zum Klimawandel schweigen, wenn wir ihn überall sehen?

Was dies angeht, sitzen die großen Parteien gewissermaßen in der Falle. Angesichts der aktuellen düsteren Warnungen über den Zustand des Klimas – der Bericht des Weltklimarats IPCC spricht davon, dass wir nur zwölf Jahre haben, um den Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten – bin ich skeptisch, ob es den großen Parteien gelingt, das Thema sozusagen unter den Teppich zu kehren. Für eine „Verschwörung des Schweigens“ scheint es im Jahr 2019 zu spät zu sein, weshalb die grünen Parteien meiner Meinung nach auch zukünftig gute Wahlergebnisse erzielen sollten.

Der Schaden, den grüne Parteien nehmen können, wenn ihre Themen von den großen Parteien ignoriert werden, kann vielleicht an den jüngsten Ereignissen in Großbritannien verdeutlicht werden. Seit 2015 ist die Grüne Partei von England und Wales definitiv zurückgefallen. Teilweise hängt dies mit der Wiederbelebung (und dem Linksruck) der Labour-Partei unter Jeremy Corbyn zusammen, aber auch damit, dass der Brexit sämtlichen Raum auf der politischen Agenda einnimmt. YouGov-Umfragen zu den „drei wichtigsten Themen“ der Wählerinnen und Wähler zeigen, dass die größten Sorgen der Brexit (etwa 65 Prozent), das Gesundheitssystem (etwa 33 Prozent) und die Wirtschaft (etwa 30 Prozent) sind. Die Umwelt steht meist nur an fünfter oder sechster Stelle. In einem solchen Klima haben die Grünen echte Probleme, von den Wählern wahrgenommen zu werden.

Was heißt das für die etablierten Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums?

Für die etablierte Linke könnte der Aufstieg der Grünen und der grünen Themen zu einem großen Problem werden. Die sozialdemokratischen Parteien stecken zwischen einer schwindenden, aber immer noch bedeutenden weißen Arbeiterklasse und einer neuen Koalition von gut ausgebildeten Sozialliberalen und Minderheiten fest. Die erste Gruppe droht, von den populistischen rechten Parteien übernommen zu werden, und die zweite von den Grünen und den neuen Linken. Diese unbequeme Koalition führt dazu, dass die Sozialdemokraten bei Themen wie Einwanderung und Multikulturismus faule Kompromisse eingehen, die letztlich niemandem gefallen.

Für die etablierte Linke könnte der Aufstieg der Grünen und der grünen Themen zu einem großen Problem werden.

Im Gegensatz dazu haben die Grünen in den meisten Ländern eine klare Botschaft – ebenso wie die Rechtspopulisten. Sie treten beispielsweise für internationale Zusammenarbeit und Multikulturismus ein, was von einem erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler honoriert wird. Ihre klares Bekenntnis zu diesen „Wertethemen“ ist einer der Gründe dafür, dass sie in großen Städten mit diverser Bevölkerung, vielen jungen Angestellten im Dienstleistungsbereich und vielen Studenten – wie Amsterdam, Frankfurt oder Brüssel – die Sozialdemokraten als größte Partei zunehmend ersetzen.

Welche Rolle spielen mögliche Koalitionen zwischen grünen und Mitte-Rechts-Parteien?

Viele Grüne sind zunehmend bereit, Koalitionen mit Mitte-Rechts-Parteien einzugehen, womit das Leben für die Sozialdemokraten noch schwerer wird. Obwohl sich die grünen Parteien häufig als „weder rechts noch links“ aufgestellt haben, wurden sie lange Zeit eindeutig als links betrachtet. Einige, wie die britischen Grünen, sind ihren linken Prinzipien treu geblieben, aber andere sind definitiv gemäßigter geworden. Die irischen und finnischen Grünen haben eine Koalition mit den Rechten gebildet, und in Deutschland besteht immer noch die Möglichkeit einer Jamaika-Koalition. So lange die Grünen in einem proportionalen Repräsentationssystem verlässliche Koalitionspartner sind, muss ihr Erfolg die Sozialdemokraten nicht existenziell bedrohen. Stellt sich aber heraus, dass die grünen Parteien bei der Frage, mit wem sie zusammenarbeiten, viel pragmatischer sind, gefährdet dies eine linke Kabinettsbildung erheblich – insbesondere angesichts des gleichzeitigen Aufstiegs der populistischen Rechten.

Ist es letztlich so, dass sowohl die Grünen als auch die radikalen Rechten von Polarisierung profitieren?

Sie profitieren von der Polarisierung ihrer Themen gegenüber den klassischen Sorgen der „alten Politik“ über wirtschaftliche Umverteilung. Meines Erachtens ist im Großen und Ganzen  die Sichtweise hilfreich, dass die grünen Parteien ihre Mobilisierung durch ähnliche Themenbereiche erzielen wie die rechten Populisten, wenn auch am anderen Ende des politischen Spektrums. Sie sind größtenteils (mit ein paar Ausnahmen) für die Europäische Union, für Flüchtlinge, für Entwicklungshilfe, für die Ehe für alle und für den Umweltschutz. Es wird immer klarer, dass es in Europa zwar viele gibt, die solche grüne Positionen ablehnen, aber auch viele andere, die sich grünen Parteien anschließen wollen, um diese Programmpunkte stärker verteidigt zu sehen.

In einer Zeit grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen wie Deindustrialisierung, Einwanderung und immer besserer Ausbildung bewegt sich die vorherrschende Achse des Wettbewerbs langsam weg vom Kampf um wirtschaftliche Umverteilung (Arbeiter gegen Kapital) und hin zu Werten, Identität und internationaler Integration. Auf der einen Seite scheint die neue Politik am besten durch die Ideale der Grünen vertreten zu werden, und auf der anderen Seit durch die populistische Rechte. Die Zuwächse bei den radikalen Populisten und den Grünen nach 2015 legen nahe, dass dies die Richtung ist, in die sich politischen Fronten in Europa verschieben könnten. Allgemein gilt die Regel: Je mehr sich die Wählerinnen und Wähler mit Fragen wie Identität, Integration und Umwelt beschäftigen und je stärker die Polarisierung dabei ist, desto besser ist dies für die Grünen und die Rechtspopulisten – und desto schlimmer für die etablierten Parteien.

 

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

Die Fragen stellte Michael Bröning.