Der kolumbianische Friedensprozess in Havanna geht auf die Zielgerade zu. Doch erst vergangene Woche kam es erneut zu einem Gewaltausbruch. Was haben die aktuellen Verhandlungen mit dem Bergbau zu tun?

Sehr viel. Kolumbien wird seit über einem halben Jahrhundert von bewaffneten Auseinandersetzungen zerrissen. 4,5 Millionen Menschen haben ihre Heimat verloren, Hunderttausende wurden getötet. Unsicherheit und Gewalt halten bis heute an, wenn auch in geringerem Umfang. Besonders gefährdet sind Gewerkschaftsaktivisten und Kommunalpolitiker. Aber es gibt Hoffnung. Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerillabewegung FARC [»Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens«] könnten den Weg zu diesem überfälligen, komplizierten und heiklen Versöhnungsprozess ebnen. Und ein Bestandteil dieser Verhandlungen könnte die Bergbauregion Kolumbiens sein. 

Die Ausschreitungen gegen Zivilisten in der Bergbauregion Cesar, an der mutmaßlich sowohl Paramilitärs als auch multinationale Konzerne beteiligt sind, sind ein geradezu klassischer Fall organisierter Gewalt in Kolumbien. Den beiden Bergbauunternehmen Drummond und Prodeco wird von ehemaligen Paramilitär-Chefs und Bauunternehmen vorgeworfen, dass sie die zerstörerischen Aktivitäten in der Region finanzieren. Im Rahmen des Friedensprozesses werden sich diese Bergbaufirmen mit den Opfern in ihrem Einflussbereich aussöhnen müssen.

Wie ist diese Verbindung zwischen dem Bergbau und paramilitärischer Gewalt entstanden?

Als die Kohlebergbaufirmen Drummond und Prodeco Mitte der 1990er Jahre ihre Tätigkeit im Nordosten Kolumbiens aufnahmen, war die Provinz Cesar bereits eine kriegsgeschüttelte Region. Die Guerillabewegungen FARC und ELN [Nationale Befreiungsarmee] störten den Betrieb ihrer Minen. Kurz darauf, im Jahr 1996, traf die erste Gruppe paramilitärischer Kämpfer in der Region ein. Drei Jahre später entstand eine neue Front – die Juan Andrés Álvarez Front – mit dem erklärten Ziel, in der Nähe der Bergwerke und entlang der Eisenbahnlinien zu operieren.

Bald wuchs diese Front auf 600 Mitglieder an. Die Angst und der Schrecken, den sie in der örtlichen Bevölkerung verbreiteten, waren entsetzlich. Nach einer konservativen Schätzung auf der Basis landesweiter polizeilicher Daten vertrieb die Front zwischen 1996 und 2006 55 000 Bauern von ihrem Land, beging mindestens 2600 gezielte Morde, brachte in Massakern schätzungsweise 500 Zivilisten um und ließ mehr als 240 Menschen verschwinden. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Während des Pinochet-Regimes in Chile wurden ähnlich viele Menschen ermordet.

Kolumbien wird seit über einem halben Jahrhundert von bewaffneten Auseinandersetzungen zerrissen. 4,5 Millionen Menschen haben ihre Heimat verloren, Hunderttausende wurden getötet.

Im Jahr 2014 veröffentlichte die niederländische Friedensbewegung Pax nach Jahren der Forschung einen Bericht unter dem Titel »The Dark Side of Coal - Paramilitary Violence in the Mining Region of Cesar, Colombia«. In dem Bericht werden zahlreiche Zeugenaussagen zitiert, die unter Eid von ehemaligen paramilitärischen Führern in Prozessen gemacht wurden und belegen, dass die Bergbauunternehmen Drummond und Prodeco der Juan Andrés Álvarez Front strukturelle Finanzhilfe gewährten und dass im Fall der Firma Drummond auch logistische Unterstützung geleistet und strategische Informationen ausgetauscht wurden. Daher kommt der Begriff »Blutkohle«. Zwei kolumbianische Richter beauftragten die Staatsanwaltschaft zu untersuchen, inwieweit die Drummond-Geschäftsleitung in die Ermordung dreier Gewerkschaftsführer im Jahr 2001 verwickelt ist. Diese Ermittlungen wurden bislang nicht aufgenommen. Und bis heute leugnen die Unternehmen ihre Verbindungen zu den Paramilitärs. Allerdings profitieren sie von den grässlichen Menschenrechtsverletzungen, die in ihrer Einflusssphäre begangen wurden. Opfer aus der Region, die ihr Recht oder die Rückgabe von Land einfordern, sind noch immer Angriffen ausgesetzt.

Wie profitieren die Unternehmen?

Erstens profitierten die Firmen von der massenhaften Zwangsumsiedlung, da das Land, das die vertriebenen Familien zurückließen, in oder bei ihren derzeitigen Abbaugebieten liegt. Zweitens versetzte die Ermordung von Gewerkschaftsmitgliedern dem Kampf der Gewerkschaften um bessere Arbeitsbedingungen einen erheblichen Dämpfer. Und schließlich sorgten Terror und Gewalt dafür, dass die kritischen Stimmen lokaler Sozialorganisationen in Fragen der Menschenrechte, der Arbeitsbedingungen, der Umwelt und der Opferentschädigung verstummten. Nach Ansicht von PAX kann die derzeitige Gewalt nur beendet werden, wenn es eine Wiedergutmachung für die Gewalttaten der jüngsten Vergangenheit gibt.

Spielen die Konzerne auch im aktuellen Friedensprozess eine Rolle?

Die kolumbianische Regierung hält sich, während sie noch verhandelt, mit Aussagen über Aussichten für die Zeit nach dem Bürgerkrieg verständlicherweise zurück, doch es wäre gut, wenn die Friedensvereinbarung das Thema Aussöhnung zwischen Opfern und Unternehmen einschließen würde. Letztere waren mit für das Problem verantwortlich und sollten auch Teil der Lösung sein. Die Bergbauunternehmen möchten sich allerdings gern heraushalten und werden erst konkrete Schritte einleiten, wenn ihnen juristisch zugesichert wird, dass ihre Beteiligung am Versöhnungsprozess keine rechtlichen Folgen für sie hat.

Die Friedensverhandlungen in Havanna eröffnen den Opfern historische Chancen. Zu einer wirksamen Versöhnung für das Erlittene gehören für sie Anerkennung, Aufklärung sowie eine Entschädigung für die Verluste an Leben und Land. Das ist im Bereich des Möglichen.

Was sind die wichtigsten Bestandteile eines erfolgreichen Aussöhnungsprozesses?

Erstens müsste die kolumbianische Regierung einen Rahmen für regionale kollektive außergerichtliche Versöhnungsprozesse zwischen Konzernen und Opfern schaffen. Bis heute ist allerdings nicht garantiert, dass dies geschieht. Unserer Meinung nach würde man komplizierte Fragen über die Vergangenheit einfach ausklammern, wenn die Unternehmen ihren Beitrag ausschließlich für ein Szenario nach dem Bürgerkrieg leisten würden. Denn eine Vergangenheitsbewältigung bliebe dann aus. Lokale Ursachen für die Menschenrechtsverletzungen würden vernachlässigt, und die Fortsetzung der Gewalt wäre vorprogrammiert.

Das bringt uns zum zweiten Punkt: Man muss Druck auf die Bergbauunternehmen ausüben, sich in einen echten und effektiven Aussöhnungsprozess einzubringen. Weil die Gräueltaten in jüngster Vergangenheit geschahen, ist ihre mutmaßliche Beteiligung noch frisch. Das hält die Konzerne davon ab, in einen Dialog über die Opferfrage einzusteigen. Dafür braucht es einen starken Anreiz. In beiden Punkten können deutsche Politiker und Konzerne eine wichtige Rolle übernehmen und dazu beitragen, die Kriegswunden zu heilen.

Welche Verbindung gibt es denn zu Deutschland? Wie kann Deutschland bei der Unterstützung dieses Prozesses helfen?

Die Verbindung ist stärker, als die geographische Ferne es vermuten lässt. Der wachsende Kohleverbrauch und die schrumpfende Produktion in Deutschland haben im letzten Jahrzehnt dazu geführt, dass sich die Kohleimporte aus Kolumbien in den letzten Jahren verdoppelt haben. Bei diesen Importen handelt es sich überwiegend um Blutkohle aus Cesar, die an Kraftwerke der Firmen E.on, RWE, Vattenfall und EnBW gingen. Diese Stromversorgungsunternehmen sind damit die wichtigsten Kunden von Drummond und Prodeco. Mit ihrem enormen finanziellen Einfluss und mit Unterstützung der deutschen Regierung könnten sie dazu beitragen, die Problematik vergangener Gewaltakte zu lösen.

Die Politiker können bei der Einrichtung des EU-Treuhandfonds, des sogenannten Marshall-Friedensplans für Kolumbien, der für dieses Jahr geplant ist, steuernd eingreifen. Der deutsche Beitrag zu diesem Fonds könnte bestimmte politische und finanzielle Schwerpunkte setzen, etwa den regionalen Versöhnungsprozess in Cesar. Der Boden wird gerade bereitet. Das Gebergeld an die Beseitigung von Problemen in einer Versorgungskette zu knüpfen, die einen starken Bezug zu Europa hat, wäre für einen Kontinent, der eine sogenannte transitional justice unterstützen möchte, überaus sinnvoll.

Die europäischen Unternehmen können auch ihre Wirtschaftsbeziehungen nutzen, die Bergbaugesellschaften an den Verhandlungstisch zu bringen. Beispielsweise könnten sie öffentlich klarstellen, dass es ein Sicherheitsrisiko in ihrer Versorgungskette darstellt, wenn das Thema der Gewaltopfer in der Bergbauregion nicht behandelt wird. Außerdem können sie in ihren Verträgen mit den Bergbaufirmen fordern, dass ein Aussöhnungsprozess stattfindet und die Sicherheit in den Gemeinden erhöht wird. Welche Instrumente sie wählen, ist nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist, dass sie sich engagieren und es als ihre Aufgabe begreifen, ihrer unternehmerischen Verantwortung gerecht zu werden und echte Veränderungen im Leben der Menschen herbeizuführen.

Ein nachhaltiger Energiesektor muss sich nicht nur um anständige Arbeitsbedingungen und den Klimawandel kümmern, sondern auch um Versorgungsketten, in denen die Menschenrechte nicht mit Füßen getreten werden. Das ist kein Werbe-Slogan. Für Kolumbien, wo Täter seit Jahrzehnten straffrei ausgehen, sind Gerechtigkeit und Aussöhnung zum Greifen nah. Nun braucht es nur noch politischen Mut, damit sie wirklich wahr werden.