In Rumänien wurde am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Wie ist das Ergebnis zu bewerten?
Die Wahlen am 11. Dezember brachten den nach dem guten Abschneiden bei der kommunalen „Testwahl“ im Sommer bereits erwarteten Sieg der Sozialdemokraten (PSD). Sie wurden mit ca. 47 Prozent der Stimmen mit Abstand stärkste Kraft. Zusammen mit ihren Partnern, der liberaldemokratischen ALDE, werden sie in der Lage sein, ab Januar 2017 eine Regierung zu bilden.
Möglicherweise reicht es für die PSD sogar für eine knappe absolute Mehrheit; dies liegt aufgrund des aktuellen Auszählungsstands durchaus im Bereich des Möglichen, ist jedoch zur Stunde noch nicht klar. Hingegen kam die konservative PNL auf lediglich 20 Prozent, gefolgt von der Bürgerbewegung USR, die aus dem Stand heraus etwa 7,5 Prozent erreichte. Die PNL war mit dem Übergangs-Ministerpräsidenten Dacian Ciolos als Spitzenkandidaten angetreten, obwohl dieser nicht einmal der Partei angehört und außerdem zu Beginn seines Mandats noch mit dem Versprechen angetreten war, lediglich für ein Jahr einer Übergangsregierung vorzustehen.
Wer könnte Ministerpräsident werden?
Der Nachfolger des Ende 2015 zurückgetretenen Victor Ponta als PSD-Vorsitzender, der ehemalige Minister für Regionalentwicklung, Liviu Dragnea, erhob noch in der Wahlnacht den Anspruch auf das Amt. Aufgrund seiner aus dem Frühjahr 2016 stammenden rechtskräftigen Verurteilung wegen Wahlbetrugs hatte Staatspräsident Klaus Johannis jedoch bereits im Vorfeld angekündigt, Dragnea (oder andere vorbelastete Kandidaten welcher Partei auch immer) nicht zu nominieren.
Laut rumänischer Verfassung hat zwar der Staatspräsident das Recht, dem Parlament den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorzuschlagen. Allerdings bringt ihn das überragende Wahlergebnis der PSD nun in Zugzwang: Schlägt er angesichts dessen doch Dragnea vor, riskiert er, politisch unglaubwürdig zu werden, schlägt er ihn nicht vor, riskiert er einen Verfassungskonflikt und gerät in Widerspruch zum in der Parlamentswahl deutlich gewordenen Wählerwillen. Ein möglicher gesichtswahrender Ausweg wäre die Nominierung eines alternativen (und unbelasteten) PSD-Politikers. Diskutiert werden in Bukarest die Namen des jetzigen Vize-Ministerpräsidenten, Vasile Dancu, und einiger PSD-Europaabgeordneter.
Diese Lösung hätte zwar den Charme, die „Kohabitation“ von Präsident und neuer Regierungsmehrheit nicht von vornherein zu belasten, allerdings auch die große Schwäche, dem „polnischen Modell“ eines politisch völlig von anderweitigen Entscheidungen abhängigen und wahrscheinlich aus der Parteizentrale vom „Schatten-Ministerpräsidenten“ Dragnea gesteuerten Regierungschefs zu ähneln.
Das Wahlergebnis steht dem gegenwärtigen Trend entgegen, weil die etablierten Mitte-Links- bzw. Mitte-Rechts-Parteien bestimmend bleiben und populistische Gruppierungen kaum Anklang fanden. Wie ist das zu erklären?
Dies war nur möglich, weil die etablierten Parteien zu einem großen Teil populistische und nationalistische Rhetorik in ihren Wahlkampf aufnahmen und somit auch dieses Terrain politisch mit abdeckten. Insbesondere der Flügel um Victor Ponta (in der PSD) und die „Partei der Volksbewegung“ (PMP) Traian Basescus taten sich hierbei hervor. Den Vogel schoss jedoch die ihrem Selbstverständnis nach liberale ALDE ab, deren Slogan „Rumänien den Rumänen zurückgeben“ sowohl an Schlichtheit wie auch an Demagogie kaum zu übertreffen war.
Dass Rumänien nicht etwa eine politische Insel im Meer des Populismus und Extremismus ist, zeigte auch eine EU-weite Umfrage vom Oktober 2016, der zufolge 82 Prozent der Rumänen autoritär-populistischen Ansichten zuneigten, ein im EU-Vergleich absoluter Spitzenwert.
Welche Themen beherrschten den Wahlkampf?
Zentrales Thema war die Frage des Kampfes gegen die Korruption. Während infolge einer jahrelangen und stetigen positiven Entwicklung die rumänische Anti-Korruptionsbehörde DNA inzwischen auch hochrangige Fälle zur Anklage bringt, wird dieser Durchbruch bei der Korruptionsbekämpfung von den nach wie vor existenten klientelistischen Netzwerken in den Parteien bekämpft. Insbesondere aus PSD und ALDE kamen regelmäßig Initiativen, die zum Ziel hatten, die Strafverfolgung von politischen Funktionsträgern zu verhindern oder zu erschweren. Bislang scheiterten diese Versuche jedoch zumeist am Verfassungsgericht oder an dem Druck europäischer Partner. Zudem stärkte Staatspräsident Johannis den Staatsanwälten moralisch immer wieder den Rücken und hob sich dadurch von anderen hohen Mandatsträgern ab, die – wie der Vorsitzende des Senats Calin Popescu Tariceanu (ALDE) – vor einer „Diktatur der Staatsanwälte“ warnten und sogar die „Beseitigung“ der DNA-Chefin forderten.
Da jedoch praktisch alle etablierten Parteien von Korruptionsfällen und Fällen von Amtsmissbrauch betroffen waren, führte die Fokussierung auf diese Thematik auf der anderen Seite auch zu einer inhaltlichen Verflachung, die sich auch in der enttäuschenden Wahlbeteiligung von 40 Prozent niederschlug: Wirtschafts- und sozialpolitische Themen oder die Frage, welche außenpolitische Haltung Rumänien gegenüber einem wieder erstarkten russischen Nachbarn einnehmen sollte, spielten im Vergleich keine so große Rolle, wie die Frage, wer in welcher Partei denn nun korrupter als der politische Gegner sei.
Das Wahlvolk reagierte gespalten auf die Diskussion: Schon bei den Kommunalwahlen gab es zwar auf der einen Seite den Erfolg der als unbelastet angetretenen USB/USR, auf der anderen Seite wurde ein Viertel der rumänischen Großstädte von Kandidaten mit akuter Verstrickung in Korruptionsfälle gewonnen. Viele Wähler begegneten anscheinend den Affären mit einem gewissen Fatalismus, zumal landläufig der Eindruck vorherrschte, alle politischen Gruppierungen hätten „Dreck am Stecken“.