Eines der beiden libyschen Parlamente, das international anerkannte Abgeordnetenhaus, hat am 25. Januar 2016 die gerade erst gebildete Einheitsregierung abgelehnt. Wie konnte es dazu kommen?
Die Entscheidung des Abgeordnetenhauses in Tobruk ist sicherlich ein Rückschlag für die Bemühungen der UN, Frieden und Sicherheit in Libyen mit Hilfe einer Einheitsregierung wiederherzustellen. Diese Entscheidung ist aber keine große Überraschung, denn es war zu erwarten, dass das politische Abkommen und das neue Kabinett abgelehnt werden. Der Präsident des Parlaments Agila Salah boykottierte die Unterzeichnungszeremonie der UN am 17. Dezember 2015 und bezeichnete das Abkommen bereits damals als illegitim. Ursprünglich war vorgesehen, dass der Entwurf des politischen Abkommens vor dem Inkrafttreten von den beiden rivalisierenden Regierungen, also vom Allgemeinen Nationalen Kongress (GNC) in Tripolis und dem Abgeordnetenhaus in Tobruk, abgesegnet wird. Dadurch sollte das Abkommen seine Legitimation erhalten. Doch als die UNSMIL große Vorbehalte beider Institutionen gegenüber dem ausgehandelten Abkommen befürchtete, formulierte sie beim letzten Entwurf den Artikel 67 so um, dass eine Abstimmung der beiden Häuser vor der Unterzeichnung nicht mehr notwendig war. Daher ist dieses Abkommen in Augen der Gegner illegal und illegitim.
Das Parlament hat zwar das Recht, einzelne Personen aus der Kabinettsliste abzulehnen, doch der Hauptgrund für diese Ablehnung ist die Frage nach der Rolle von Ex-General Khalifa Haftar. Er führt seit Sommer 2014 die Operation „Würde“ gegen Islamisten in Libyen und sieht sich als Kommandant der libyschen Armee. Er ist eine umstrittene Figur und seine Integration in der neuen Regierung ist ein Problem. Während die Tobruk-Regierung Haftar in einer wichtigen militärischen Position sehen möchte, scheint die neue Einheitsregierung ihn nicht berücksichtigt zu haben. Nun gilt es, mit den Verweigerer zu reden und sie für das Abkommen zu gewinnen.
Wie soll sich die am 19. Januar 2016 geschaffene Einheitsregierung zusammensetzen?
Das politische Abkommen zur Lösung der Krise in Libyen ist das Ergebnis 15-monatiger Verhandlungen unter der Ägide der UN-Mission in Libyen (UNSMIL). Dieses Abkommen sieht unter anderem die Bildung einer Einheitsregierung vor, die bis 2018 den Staat und seine Institutionen wieder aufbauen soll. Laut Abkommen wird die Einheitsregierung vom 9-köpfigen Präsidialrat ernannt, der von Ministerpräsident Faiez Serraj geleitet wird. Dieser hat am 20. Januar nach langen Verhandlungen und schwierigen Gesprächen mit verschiedenen Interessenvertretern eine aus 32 Ministern bestehende Einheitsregierung gebildet. Es handelt sich vor allem um Technokraten, die keinem politischen Lager zuzuordnen sind und von beiden noch arbeitenden Regierungen – die von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Regierung mit Sitz in Tobruk und der islamistisch geprägten Gegenregierung in Tripolis – akzeptiert werden. Die hohe Zahl von 32 Ministern soll zudem eine ausgewogene geographische Vertretung der drei Regionen (Westen, Süden, Osten) sicherstellen. Die Vorgabe war, die Einheitsregierung möglichst inklusiv zu besetzen. Die vom deutschen UN-Sonderbeauftragten Martin Kobler geforderte Frauenquote von 30 Prozent konnte nicht erfüllt werden.
Was sind die größten Herausforderungen für die neue Regierung?
Neben der Frage der Legitimation und der Integration der umstrittenen Figur Haftar steht die neue Regierung vor einigen Herausforderungen, darunter die Rückkehr der neuen Regierung nach Tripolis, wie das Abkommen es vorsieht. Denn bisher tagt die international anerkannte Regierung in Tobruk, während die islamistische Gegenregierung ihren Sitz in Tripolis hat. Die UN versuchen seit Wochen, mit verschiedenen Milizen auszuhandeln, wie eine sichere Rückkehr der neuen Regierung nach Tripolis gewährleistet werden kann. Während einige Milizen ihre Bereitschaft zeigen, die Regierung zu schützen, wollen andere das Feld nicht räumen, insbesondere jene Milizen, die dem GNC nahestehen.
Wie ist die wirtschaftliche Situation und womit muss die neue Regierung mit Blick auf den „Islamischen Staat“ (IS) rechnen?
Libyen steht wirtschaftlich schlecht da: Die Einnahmen aus dem Erdölverkauf sinken, die Ausgaben der beiden rivalisierenden Regierungen sind enorm gestiegen, so dass Libyen nach Angaben der Weltbank in zwei bis drei Jahren alle seine Devisen aufgebraucht haben wird. Die kollabierende Wirtschaft wird die neue Regierung zwingen, Kürzungen vorzunehmen, insbesondere im öffentlichen Dienst, in dem die meisten Libyer arbeiten. Diese Kürzungen würden auch die vielen Milizen betreffen, die ebenso Gehälter beziehen. Mit einer solchen Entscheidung, die unausweichlich ist, wird die Regierung Akzeptanzprobleme bekommen.
Der IS nutzt das politische Machtvakuum und die zunehmende Rivalitäten zwischen den Akteuren und Institutionen aus. Mit einer ähnlichen Taktik wie in Syrien versucht er, aus den anderen islamistischen Strömungen Kämpfer zu rekrutieren. Er begann in Derna, im Osten des Landes, wo ehemalige libysche Afghanistan-Kombattanten angeworben wurden. Aus der Stadt Derna konnte der IS aber mittlerweile von lokalen Milizen verdrängt werden. Danach verlagerte er seinen Fokus auf Sirte im Zentrum des Landes und erklärte sie zu seiner Hauptstadt. Von dort aus rückt der IS nun zu den Ölfeldern östlich von Sirte vor. Mit Anschlägen auf Häfen und Raffinieren will er die libysche Wirtschaft schwächen und so die neue Regierung in Schwierigkeiten bringen. Doch eigentlich ist Libyen kein gutes Pflaster für den IS, denn es gibt keine konfessionellen Probleme wie in Syrien oder Irak. Man spricht von 3000 bis 3500 Kämpfern, darunter viele ausländischer Kämpfer, Rückkehrer aus Syrien und Irak.
Um die neue Regierung im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu unterstützen, schließen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeiner einen Bundeswehr-Einsatz in Libyen nicht aus. Wie ist das zu bewerten?
Die Aussage der Verteidigungsministerin ist vage und wird vermutlich keine unmittelbaren Konsequenzen haben, zumindest nicht in Form eines militärischen Einsatzes der Bundeswehr. Die Option einer militärischen Intervention, um den IS zu bekämpfen, wurde von der französischen Regierung nach den Anschlägen in Paris ins Spiel gebracht. London und Rom warten darauf, dass die neue Einheitsregierung die internationale Gemeinschaft um eine Intervention bittet. Doch eine militärische Intervention ohne eine konkrete Strategie und vor allem Ausstiegsstrategie könnte desaströse Folgen für Libyen haben. Denn eine Intervention würde dem IS in die Hände spielen und weitere Argumente liefern, um neue Kämpfer zu rekrutieren. Sollte sich die internationale Gemeinschaft für eine militärische Intervention entscheiden, müsste eine libysche Armee die Bodentruppen stellen.
Hierfür müsste die Armee ausgebildet werden, die Bundeswehr könnte hier eine aktive Rolle spielen, darauf bezieht sich auch der Bundesaußenminister, meiner Ansicht nach. Doch wie es auch in der UN-Resolution 2259 erwähnt wird, muss die Anfrage von der Lybischen Einheitsregierung explizit formuliert werden.
Wie könnte Libyen in dieser Phase unterstützt werden, um den IS zu bekämpfen?
Zielführender als eine militärische Intervention wäre, einflussreiche, verfeindete lokale Stämme und Milizen miteinander zu versöhnen. Dafür muss viel Energie in vertrauensbildende Maßnahmen gesteckt werden. Der Wiederaufbauprozess muss zudem Versöhnung und Vertrauensbildung beinhalten. Die Libyer sind in der Vergangenheit oft von der Regierung enttäuscht worden; ihr Vertrauen in ein geeintes Libyen und eine gemeinsame Zukunft muss erst wieder aufgebaut werden. Hierfür ist ein gesellschaftlicher Dialog notwendig, der die unterschiedlichen sozialen Gruppen, wie Geschäftsleute, Studierende, Aktivistinnen, Journalisten, Gewerkschafter, aber auch Stammesvertreter, zusammenbringt. Parallel zu den Aussöhnungsbemühungen kann die internationale Gemeinschaft der neuen Regierung beim Wiederaufbau ihrer Armee und Polizei helfen. Hier kann und sollte Deutschland aktiv werden. Allerdings muss vorher die wichtige Frage geklärt werden, wer Teil der libyschen Armee ist und wie mit den bewaffneten Milizen umgegangen wird.
Die Fragen stellte Anja Papenfuß.
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