„Es sollte eine akkurate und angemessene Darstellung der Ereignisse geben.“ Mit diesen Worten hat US-Präsident Barack Obama kürzlich bei einer Pressekonferenz in Seoul Japans Regierung aufgefordert, endlich ohne Wenn und Aber das Leid anzuerkennen, das kaiserlich-japanische Truppen mehreren hunderttausend asiatischen Sexsklavinnen im Zweiten Weltkrieg zufügten.

Japans Armee hatte in den besetzten asiatischen Ländern rund 200.000 Frauen in Truppenbordellen zu Sexsklavinnen gemacht. Mehrheitlich waren es Frauen aus Korea. Obama bezeichnete das Leid dieser Frauen als „eine schreckliche und ungeheuerliche Menschenrechtsverletzung“. Die Opfer verdienten „gehört“ und „respektiert“ zu werden.

Soweit ist Obama voll zuzustimmen. Doch dass der US-Präsident zugleich Japans rechtsnationalistischem Premier Shinzo Abe beschied, die Vergangenheit „ehrlich und fair“ anzuerkennen, ist nicht nachvollziehbar und wohl auf Washingtons strategische Kalküle zurückzuführen. Abe zweifelte nicht nur wiederholt öffentlich daran, dass den euphemistisch „Trostfrauen“ genannten früheren Sexsklavinnen überhaupt Zwang angetan wurde. Er besuchte auch mehrfach den umstrittenen Yasukuni-Schrein in Tokio. In diesem wird auch Japans verurteilten Kriegsverbrechern gedacht. Das zum Schrein gehörende Museum betreibt reinste Geschichtsklitterung. Für Koreaner und Chinesen sind diese Besuche daher eine provokante Leugnung der Geschichte.

Abes Kabinetts-Staatsminister Katsunobu Kato wies Obamas Kritik umgehend zurück. Der Umgang mit den „Trostfrauen“ sollte nicht zu einem Thema der Politik und Diplomatie gemacht werden, sagte Kato. Als wenn Japans Leugnung oder Umdeutung der Geschichte nicht bereits eine Form von Politik wäre. Die Regierung in Tokio zeigt ein merkwürdiges Geschichtsverständnis und untergräbt so ihre Glaubwürdigkeit.

Dabei wäre auch Obama glaubwürdiger gewesen, wenn er seine Worte direkt bei seinem Besuch in Tokio und nicht erst in Korea geäußert hätte. Dort konnte er sich des Beifalls sicher sein, obwohl Mahnungen Washington angesichts amerikanischer Kolonial- und Kriegsverbrechen in vielen Ländern Asien auf Vorbehalte stoßen.

Mutige frühere Zwangsprostituierte

In China und Südkorea wird der Geschichtsverfälscher Abe als rotes Tuch empfunden. In Südkorea steht heute Japans entwürdigender Umgang mit den früheren Zwangsprostituierten im Zentrum der Kritik. Dabei wollte auch Südkoreas frühere konservative Regierungen von dem Thema lange nichts wissen. Es ist dem Mut der Opfer und ihren Unterstützern zu verdanken, dass es nun ins öffentliche Bewusstsein gelangte.

In China geht es stärker um die Leugnung oder Relativierung des von japanischen Truppen verübten Nanking-Massakers vom Dezember 1937. Auch die Weigerung, ehemaligen chinesischen Zwangsarbeitern Entschädigungen zu zahlen oder etwa die nicht aufgearbeiteten Verbrechen der japanischen Militäreinheit 731, die mit bakteriellen, Kampfstoffen in der Mandschurei experimentierte, sorgen für anhaltende Kritik an Japans Umgang mit seiner Kriegsgeschichte.

Dabei nutzt Chinas Regierung die japanische Geschichtsverfälschungen skrupellos, um Tokio als historisch schuldig vorzuführen und in die diplomatische Defensive zu drängen.

Dabei nutzt Chinas Regierung die japanische Geschichtsverfälschungen skrupellos, um Tokio als historisch schuldig vorzuführen und in die diplomatische Defensive zu drängen. Chinas Regierung verspricht sich davon eine moralisch überlegene Position, die ihr innenpolitisch Rückenwind und außenpolitische Vorteile beschert, etwa im Konflikt um die zwischen beiden Ländern umstrittenen Senkaku-/Diaoyu-Inseln.

Dabei geht Chinas Regierung nicht besser mit den eigenen Problemen der Vergangenheit um. Das betrifft etwa die Millionen von Hungertoten nach dem „Großen Sprung nach vorn“ oder den Wahnsinn der Kulturrevolution. Chinas offizielle Geschichtsfälschung wird jedes Jahr um den 4. Juni besonders deutlich - dem Jahrestag der blutigen Niederschlagung der studentischen Demokratiebewegung 1989 auf dem Tiananmen. In den Augen der Parteiführung waren die wochenlangen Proteste ein „konterrevolutionärer Aufstand“, gegen den alle Mittel gerechtfertigt waren.

Neues Tiananmen-Museum in Hongkong

Wer den damaligen Schießbefehl hinterfragt, muss auch haute noch mit Repression rechnen. Dabei weiß Chinas junge Generation heute nur wenig über die Ereignisse und ihre Hintergründe. Deshalb haben Demokratieaktivisten in Hongkong jetzt ein privates Tiananmen-Museum gegründet. Das Massaker ist in Hongkong stets von besonderer Bedeutung, geht es dabei doch auch um die Glaubwürdigkeit der Regierung in Peking und damit um ihr Autonomieversprechen gegenüber der früheren Kronkolonie Hongkong. Das Kerzengedenken im Victoria Park am Abend des 4. Juni ist auch heute noch meist der jährlich größte öffentliche Protest in Hongkong. Da die Stadt heute Millionen Besucher aus der Volksrepublik anzieht, dürfte das Museum auch aufs Festland ausstrahlen.

Auch außenpolitisch stellt China seine Geschichte problematisch einseitig dar. Vertreter Pekings betonen immer wieder gern, China habe noch nie ein Nachbarland militärisch angegriffen. Die Vietnamesen sehen das ganz anders. Sie verweisen in ihren Geschichtsdarstellungen auf zahlreiche Aggressionen aus dem Norden über mehrere Jahrhunderte und nennen in jüngerer Zeit die Schlacht um Eilande der Paracel-Inseln 1974 und Chinas dreiwöchigen „Erziehungsfeldzug“ 1979.

Vertreter Pekings betonen immer wieder gern, China habe noch nie ein Nachbarland militärisch angegriffen. Die Vietnamesen sehen das ganz anders.

In Südkorea und Taiwan haben linke und liberale Kräfte vorgemacht, was Geschichtsaufarbeitung von unten verändern kann. Vor den Toren Seouls steht seit 2010 neben dem so genannten Haus des Teilens für ehemalige Zwangsprostituierte auch ein Museum. Es dokumentiert das Leid dieser Frauen. Das Wissen um ihr Schicksal gehört in Südkorea inzwischen zur Allgemeinbildung und kann deshalb auch von konservativen Politikern im Dialog mit Japan nicht mehr ausgespart werden.

Wahrheits- und Versöhnungskommission in Korea

In Südkorea wurden in den letzten Jahren auch Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen an der eigenen Bevölkerung thematisiert wie das sogenannte No Gun Ri-Massaker von US-Truppen im Korea-Krieg 1950 oder die Niederschlagung des Jeju-Aufstands 1948/49 durch Südkoreas Militär. Hilfreich für den Beginn der Aufarbeitung der eigenen Unterdrückungsgeschichte war die Dekade linksliberaler Regierungen unter Kim Dae-jung und Rho Moo-hyun (1998 bis 2008). 2005 wurde sogar eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingerichtet, die unter der nachfolgenden konservativen Regierung aber wieder an Einfluss und Ressourcen verlor.

In Taiwan wurde bereits im Zuge der Demokratisierung in den 90er Jahren ein zentraler Park in der Hauptstadt den Massenprotesten („Zwischenfall vom 28. Februar“ oder „228 Massaker“) gewidmet, die 1947 die damalige Regierung der nationalistischen Kuomintang-Regierung in Peking niederschlagen ließ. Da diese Regierung 1949 nach Taiwan floh und die Insel lange autoritär beherrschte, unterdrückte sie auch die Erinnerung an den 28. Februar. Inzwischen gibt es in dem Park ein Museum. Der 28. Februar ist als „Friedenstag“ ein offizieller Feiertag. Ob der 4. Juni in China jemals einen solchen offiziellen Status erlangen wird?

Andere Beispiele für in Asien längst nicht aufgearbeitete historische Konflikte sind die Zerschlagung der Kommunistischen Partei Indonesiens 1965/66, der Völkermord der Roten Khmer in Kambodscha 1975-1979 oder die Zerschlagung der separatistischen Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) in Sri Lanka 2009.

Dabei stellen sich auch westliche Länder nur unzureichend ihrer Geschichte in Asien. Bei den USA betrifft dies den Krieg in Vietnam und den Umgang mit dem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel Agent Orange. Zwar erhielten amerikanische Vietnam-Kriegsveteranen von den Herstellern des krebserregenden Agent Orange eine Entschädigung. Der gleiche US-Richter, der den Vergleich mit den US-Chemiekonzernen bewirkte, lehnte eine entsprechende Klage vietnamesischer Opfer aber ab.

US-Ausstellung zur Hiroschimabombe verhindert

Im Verhältnis zu Japan sorgten 2005 US-Veteranenverbände dafür, dass eine Ausstellung des National Air and Space Museums zum 50. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki abgesagt wurde. Die geplante Ausstellung („Der Scheideweg: Das Ende des Zweiten Weltkriegs, die Atombombe und der Kalte Krieg“) mit dem restaurierten Atombombenflugzeug Enola Gay im Zentrum sollte den Einsatz der Massenvernichtungswaffe auf der Basis neuerer historischer Forschung kritisch reflektieren. Doch nach Meinung der Kritiker stand dabei das Leid der japanischen Atombombenopfer zu sehr im Mittelpunkt.

Und Deutschland? In Berlin zum Beispiel gibt es im Bezirk Zehlendorf noch heute eine Iltis-, Taku- und Lansstraße. Ebenso in Köln-Ehrenfeld (dort außerdem zu bewundern: Der Takuplatz). Im Berliner Bezirk Wedding nach wie vor zu finden: Die Kiautschou-Straße. All das im Gedenken daran, dass im Jahr 1900 zur Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands das deutsche Kanonenboot Iltis unter Kapitän Wilhelm Lans das chinesische Taku-Fort angriff und so zur Niederschlagung des Aufstands beitrug. Kiautschou war die deutsche „Musterkolonie“ in China, damals auch als „Schutzgebiet“ verklärt.

Initiativen zur Umbenennung der Straßennamen in Berlin und Köln scheiterten, doch vergrößerten die damit verbundenen Diskussionen wenigstens das Bewusstsein um die problematische Geschichte. Der Kampf darum hat in vielen asiatischen Ländern erst begonnen, ist aber für eine friedliche Entwicklung wichtig.