Der Streit um TTIP dauert an – und das ist nötig. Der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments Bernd Lange hat in mehreren Artikeln und Interviews (zuletzt hier) rote Linien gezogen, die eingehalten werden müssen, wenn Sozialdemokraten im Europäischen Parlament TTIP zustimmen sollen.

Das ist hilfreich, um der EU-Kommission und dem Europäischen Rat klar anzuzeigen, dass die Verhandlungen nicht einfach weitergehen können wie bisher. Vielmehr muss Grundlegendes neu verhandelt werden.

Konsequenzen müssen diese roten Linien jedoch auch für das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen der EU und der kanadischen Regierung haben, das schon am 25. September unterzeichnet werden soll.

Auch dieses Freihandelsabkommen neuen Typs muss neu verhandelt werden, zumal es in Struktur, Methode und wegen der Breite der erfassten Bereiche zu Recht häufig als Blaupause für TTIP angesehen wird. Hinzu kommt, dass Kanada mit den USA bereits in spezifischer Weise durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA verbunden ist.

 

CETA: Verweigerung jeder Transparenz

In den letzten Jahren ist der CETA-Entwurf im Windschatten der Diskussion um TTIP ausgehandelt worden. Seit Anfang August liegt der endgültige Text vor, der 521 Seiten umfasst. Bis heute ist er weder offiziell veröffentlicht, noch den Parlamentariern des Europäischen Parlaments oder der nationalen Parlamente übersandt worden. Für Interessierte: Die englische Version von Anfang August ist dennoch hier abrufbar. Beim Durcharbeiten fällt sofort ins Auge, dass viele der von Bernd Lange an TTIP gestellten Anforderungen bei CETA keineswegs erfüllt sind.

Das gilt zunächst für die Verweigerung jeder Transparenz bei seiner Erarbeitung. Die Intransparenz hat die nötige inhaltliche öffentliche Diskussion unmöglich gemacht. Dieser Eingriff in demokratische Selbstverständlichkeiten wiegt umso schwerer, als CETA detaillierte Transparenzvorschriften enthält – insbesondere die frühzeitige umfassende Information über Vorhaben und Zeitplan, Gelegenheit zu Diskussion und Beratung und die Berücksichtigung von Stellungnahmen Betroffener.

Diese Regelungen sind jedoch nicht dazu bestimmt, die öffentliche Diskussionen und den Einfluss von Bürgern, Öffentlichkeit oder Parlamenten zu stärken. Vielmehr müssen staatliche Stellen künftig die CETA-Vertragsparteien und möglicherweise betroffene Wirtschaftskreise detailliert informieren, sofern sie Regelungen beabsichtigen, die von CETA erfasste Bereiche berühren könnten. Es geht also um stärkeren Lobby-Einfluss. Das dürfte de facto zu einer weiteren Schwächung demokratisch legitimierter Rechtssetzung im Interesse der Allgemeinheit führen. Vor etwa 10 Tagen wurde zu allem hin auch noch bekannt, dass die Bundesregierung den CETA-Entwurf an die Länder weitergeleitet hat, in deren Zuständigkeit und Rechte ja gravierend eingegriffen wird. Sie hat die Rückäußerungsfrist auf Ende August (!) beschränkt und die Bemerkung hinzugefügt, „umfassende Änderungsanträge“ […] seien „nicht mehr zielführend“.

Soweit zum verletzten Transparenzgebot. Der CETA -Entwurf verstärkt jedoch zusätzlich Zweifel daran, dass die Sicherung bzw. Vereinbarung hoher gemeinsamer Standards gewollt oder möglich wäre. Diese Probleme weisen nahezu alle betroffenen Regelungsbereiche auf, besonders deutlich jedoch die häufig zugesagten Sicherung hoher Arbeitsstandards. Doch gerade die ist ja erforderlich um zu verhindern, dass die Freizügigkeit von Waren und Dienstleistungen in eine Abwärtsspirale führt. Maßstab dafür ist die verbindliche Vereinbarung zumindest der bekannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. CETA sieht deren Garantie jedoch nicht vor. Vielmehr wird schlichtweg akzeptiert, dass Kanada nicht alle Kernarbeitsnormen ratifiziert hat und damit geringere Standards voraussetzt. Auch in diesem für Vergaberecht und Wettbewerb zentralen Bereich bleibt somit die verbindliche Vereinbarung hoher Standards schlicht auf der Strecke.

Nicht akzeptabel ist auch, dass außer dem Abbau von Zöllen und Gebühren viel zu viele Bereiche in die Vereinbarungen einbezogen und damit der Regelungs- und Kontrollkompetenz demokratisch legitimierter Gremien entzogen sind: Das gilt für die Niederlassungsfreiheit, Freizügigkeits- und Zuwanderungsregelungen ebenso wie für die Anerkennung von Berufsqualifikationen und Bildungsabschlüssen. Auch die Formulierungen über die Rückübernahme einmal privatisierter Dienstleistungen in öffentliche Verantwortung schüren Zweifel, dass dies weiterhin zulässig sein wird. Hinzu kommt schließlich, dass CETA, ebenso wie wohl TTIP, die einbezogenen Bereiche nicht in einer Positivliste klar umgrenzt, sondern Bereiche ausnimmt.

Die CETA-Regelungen verdrängen Kompetenzen demokratisch legitimierter staatlicher oder europäischer Regulierungs- und Kontrollinstitutionen. Das geht nicht!

Das klingt zunächst beruhigend, hat aber zur Folge, dass jede neue Entwicklung oder neue Geschäftsmodelle in Grenzbereichen zwangsläufig zu Unsicherheiten über ihre Einbeziehung und damit über die Ausgliederung aus der staatlichen Regelungskompetenz führen müssen. Diese Unklarheiten, aber auch weitere Streitfragen aus CETA sollen, ebenso wie künftige Regelungen, nicht auf dem Weg über neue Vereinbarungen, sondern durch einen Regelungsrat geklärt oder festgelegt werden. Dieses Gremium hat Entscheidungs- und Regulierungskompetenzen. Seine Mitglieder werden als „Experten“ von den Vertragsparteien berufen. Sie sind aber weder Parlamentarier, noch von Parlamenten gewählt oder diesen verantwortlich. Rechte von Gewerkschaften, gar die Konsultation mit der Zivilgesellschaft finden nur ausnahmsweise und vereinzelt Erwähnung.

Auch diese CETA-Regelungen verdrängen Kompetenzen demokratisch legitimierter staatlicher oder europäischer Regulierungs- und Kontrollinstitutionen. Das geht nicht und hält die durch die roten Linien gesetzten Grenzen nicht ein.

 

Besonders fragwürdig: Der Investitionsschutz

Besonders ärgerlich ist allerdings, dass auch CETA ein besonderes Investitionsschutzkapitel enthält. Es ist, als hätte es die jahrelangen Auseinandersetzungen und die berechtigte Kritik an dem besonderen Investorenschutz und den internationalen privaten Investmentschiedsstellen und deren Entscheidungen nicht gegeben. Das ist besonders dreist, weil die EU-Kommission angesichts der massiven Kritik auf beiden Seiten des Atlantiks sogar ein Konsultationsverfahren zum besonderen Investorenschutz in TTIP eröffnet hat. Das hatte eine Flut kritischer und ablehnender Stellungnahmen zur Folge.

Ich brauche die bekannten Kritikpunkte hier nicht zu wiederholen: Sie konzentrieren sich auf die Einseitigkeit der privaten Schiedsstellen, die Mängel im Verfahren und die Benachteiligung von Staaten. Einige dieser Kritikpunkte greift CETA durchaus auf, nicht jedoch das rechtstaatliche Grundproblem, dass die Klagen der ausländischen Investoren gegen staatliche Regulierungen insgesamt der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen und im Wege des „Outsourcing“ privaten internationalen Gremien zugewiesen werden. Das diskriminiert Investoren aus der EU, hebelt die Grundrechtsentscheidungen nationaler und europäischer Menschenrechtsgerichte aus und nimmt den demokratisch legitimierten Rechtssetzungs-Institutionen ihr Recht, die Gründe für ihre Regelung vor einem ordentlichen Gericht zu vertreten. Bekanntlich funktioniert der Eigentumsschutz durch die ordentlichen Gerichte auf beiden Seiten des Atlantiks durchaus zufriedenstellend – für ausländische und inländische Unternehmen. Notwendig sind solche Regelungen deshalb nicht und zulässig schon gar nicht.

Fazit: Nicht nur TTIP muss grundlegend überdacht werden. Auch CETA ist in der jetzigen Form nicht zustimmungsfähig. Notfalls müssen auch hier die zuständigen Gerichte angerufen werden.