Seit einigen Wochen ist die koreanische Halbinsel wieder einmal Schauplatz einer Atom- und Raketenkrise. Als Antwort auf die nordkoreanischen Tests hatte US-Präsident Donald Trump einen Flugzeugträger an die koreanische Küste geschickt und Vizepräsident Michael Pence mahnte, die strategische Geduld Washingtons sei bald erschöpft. Vor dem Hintergrund von Trumps Entscheidung, eine syrische Luftwaffenbasis anzugreifen, nachdem Baschar al-Assads Armee mutmaßlich Chemiewaffen eingesetzt hatte, wirken diese Reaktionen umso bedrohlicher. Das „Feuerwerk“ in Syrien wurde zu einem eindrucksvollen Höhepunkt des offiziellen Essens, zu dem Trump zu Ehren des chinesischen Präsidenten Xi Jinping eingeladen hatte, und bei dem sich Trump bemühte, China davon zu überzeugen, Druck auf Nordkorea auszuüben.

Zwar ist der Schock inzwischen etwas abgeklungen, doch besteht das Problem weiterhin und neue Krisensituationen sind so gut wie sicher. Die herrschende Kim-Dynastie Nordkoreas betrachtet die Atomwaffen und das Raketenarsenal als eine Garantie für ihr Überleben. Die Kims sind keine durchgedrehten Führer, sondern brutale und rationale Herrscher, die ihre Lehren aus dem Sturz von Saddam Hussein im Irak und Muammar al-Gaddafis in Libyen gezogen haben. Kim Jong-un verfolgt das Ziel, mit seinen Raketen die Westküste der USA erreichen zu können und wird sein Abschreckungsinstrument sicherlich nicht aufgeben. Weder politischer Druck noch wirtschaftliche Sanktionen können Pjöngjang von seinen nuklearen Ambitionen abbringen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Nordkorea eine vollwertige Atommacht sein wird.

Die herrschende Kim-Dynastie Nordkoreas betrachtet die Atomwaffen und das Raketenarsenal als eine Garantie für ihr Überleben.

Russland hat detaillierte Kenntnisse über Nordkorea und teilt sich eine 19 Kilometer lange Grenze mit dem Nachbarn. Moskau ist zwar kein Verbündeter Pjöngjangs, hat aber über die Jahrzehnte ein umfassendes Wissen über das stalinistische Regime gesammelt. Moskau ist einer der Garanten des Nichtverbreitungsregimes und unterstützt die atomaren Ziele Pjöngjangs nicht. Als vor einigen Jahren eine nordkoreanische Rakete versagte und innerhalb der russischen ausschließlichen Wirtschaftszone abstürzte, war Russland nicht begeistert. Allerdings sieht Russland im nordkoreanischen Atomprogramm im Wesentlichen eine Strategie zum Schutz des Regimes.

Aus der Sicht Moskaus wirken die US-amerikanischen Machtdemonstrationen in und um Korea herum eher provokativ als abschreckend. Besonders gefährlich wäre aber ein präventiver Angriff auf nukleare Fähigkeiten in Nordkorea. Die Russen haben nicht vergessen, dass US-Präsident John F. Kennedy 1962 einen uneingeschränkten Krieg mit der Sowjetunion riskierte, als Nikita Chruschtschow versuchte, den in der Türkei stationierten US-amerikanischen Atomraketen auf Kuba sowjetische Raketen entgegenzusetzen. Heute missbilligt Russland, dass Washington die Drohungen Nordkoreas als Rechtfertigung dafür benutzt, sein THAAD-Raketenabwehrsystem in Südkorea aufzustellen. Dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einem globalen Raketenabwehrsschirm der USA und würde die Abschreckungsfähigkeiten Russlands schwächen.

Aus der Sicht Moskaus wirken die US-amerikanischen Machtdemonstrationen in und um Korea herum eher provokativ als abschreckend.

In den Augen Washingtons und der Welt nimmt China eine Schlüsselposition in der Nordkorea-Frage ein. Bei dem Treffen in Florida drängte Trump Chinas Staatspräsident Xi, dafür zu sorgen, dass Kim Jong-un seine Bestrebungen einstellt. Peking ist zwar sichtlich verärgert über seinen Verbündeten in Pjöngjang, ist aber auch nicht bereit, für Washington Botengänge zu übernehmen. Wirtschaftlicher Druck und diplomatische Bemühungen von chinesischer Seite, wie zum Beispiel unfreundliche Artikel über Nordkorea in den offiziellen Medien, werden von Pjöngjang erwartungsgemäß vehement zurückgewiesen, wodurch das Taktieren zwischen China und den USA festgefahren ist.

Dies eröffnet Moskau Chancen. Russland erkennt die Bedeutung Nordkoreas für China an. In der strategischen Partnerschaft mit China, einer Art modernem Staatenbündnis, ist Moskau darauf bedacht, auf einem so heiklen Gebiet nicht gegen die Interessen Chinas zu handeln. Russland folgt China aber auch nicht einfach; es hat eine eigene Agenda und so etwas ähnliches wie eine Strategie.

Russlands Agenda besteht – einfach ausgedrückt – darin, seine weltweite Position zu stärken. Es möchte als Hauptakteur in allen wichtigen Sicherheitsfragen anerkannt werden, vor allem jenen, die Eurasien betreffen. So hat Moskau die Kommunikationskanäle in alle Richtungen geöffnet – Peking, Pjöngjang, Washington, Seoul und Tokio. Im UN-Sicherheitsrat spricht sich Russlands stets gegen die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen aus. Russland warnt Pjöngjang vor weiteren Tests und drängt es, die Sechs-Parteien-Gespräche über die Atomfrage wiederaufzunehmen. Gleichzeitig missbilligt Moskau das Muskelspiel der USA und die Stationierung von Raketenabwehranlagen in Nordostasien. Die größte Hoffnung Russlands ruht auf den beiden koreanischen Staaten.

Russlands Agenda besteht – einfach ausgedrückt – darin, seine weltweite Position zu stärken.

Koreaner, im Süden wie im Norden, sind ausgesprochen nationalistisch und patriotisch. Wenn der neue südkoreanische Präsident Moon Jae-in tatsächlich die „Sonnenscheinpolitik“ eines seiner Vorgänger wiederbeleben sollte, könnte Russland seine Ideen wieder ins Spiel bringen, Nord- und Südkorea durch eine Bahnstrecke und den Bau einer Gasleitung durch den Norden in den Süden zu verbinden. Pjöngjang würde auf diese Weise außerdem ein regelmäßiges, legales Einkommen erhalten. 

Sollte Präsident Trump bereit sein, auf Kim Jong-un zuzugehen und ihm im Austausch gegen eine Begrenzung des nordkoreanischen Raketenprogramms und der Zusage, dass nordkoreanische Bomben die US-amerikanische Westküste nicht erreichen können, Sicherheitsgarantien zu geben, könnte Russland sich dafür einsetzen, ein Sechs-Parteien-Gespräche in Wladiwostok zu organisieren. Die kleine Metropole Russlands am Pazifik liegt in der Nähe der beiden koreanischen Staaten sowie Chinas und Japans. Dies könnte ein passendes Umfeld für ein Treffen von Trump und Kim Jong-un sein. Und anstatt China die Show zu stehlen, könnte Russland sich einer Last entledigen.