Wie in keiner anderen Weltregion gehört Drogengewalt zum traurigen Alltag des lateinamerikanischen Kontinents. Verantwortlich dafür ist der gnadenlose Verteilungskampf um das lukrative Geschäft mit illegalen Rauschmitteln. Durch Korruption und Einschüchterung schwächen die Kartelle Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte. Um den Handel mit den verbotenen Suchtstoffen rankt sich inzwischen ein riesiger illegaler Wirtschaftszweig. Die Größenordnung dieses Schwarzmarkts ist schwer abschätzbar und wurde von UNODC zuletzt 2003 mit weltweit 320 Milliarden US-Dollar bewertet – knapp ein Prozent des globalen BIP.

Die bisherige „Politik der harten Hand“ mit repressivem Vorgehen ist gescheitert. Sie konnte weder das Ansteigen des weltweiten Drogenkonsums verhindern noch das Ausmaß an Gewalt und die riesigen Gewinnmargen des organisierten Verbrechens eindämmen. Uruguay zieht umfassende Konsequenzen aus dem gescheiterten „Krieg gegen die Drogen“ und errichtet als erstes Land der Welt einen regulierten Markt für die gesamte Wertschöpfungskette von Marihuana: Anbau, Handel und Konsum. Der Staat wird damit zum legalen Dealer. Das kleine Land hat ein nie da gewesenes „Laboratorium“ geschaffen und befeuert eine längst überfällige internationale Debatte über die künftige Ausgestaltung der Drogenpolitik.

 

Keimzelle des Organisierten Verbrechens

Im regionalen Vergleich stellt Uruguay einen „Sonderfall“ dar. Im Unterschied zu Mexiko, Kolumbien und anderen lateinamerikanischen Staaten ist es weder Drogenanbaugebiet noch Heimat transnationaler Drogensyndikate. Der uruguayische Drogenmarkt ist lokal begrenzt und bedient hauptsächlich die Nachfrage der eigenen Bürger nach Marihuana. Mit 90 Prozent macht Marihuana den Löwenanteil am illegalen Drogenkonsum aus. Schätzungen der Nationalen Drogenbehörde zufolge konsumieren etwa 8 Prozent der uruguayischen Bevölkerung im Alter von 15 bis 65 Marihuana.

Der Schwarzmarkt für Drogen ist auch in Uruguay die Keimzelle für organisiertes Verbrechen. Aufgrund des hohen Marktanteils von Cannabis finanzieren die Drogenbanden ihre kriminellen Aktivitäten zu einem Großteil durch dieses Rauschgift. Im Konflikt um ihre Verkaufsreviere bekriegen sich die rivalisierenden Gangs unerbittlich. Die Lage hat sich seit Anfang 2000 merklich verschlechtert. Die Zahl der gemeldeten Raubüberfälle lag 2012 doppelt so hoch wie im Jahr 2002, und die jährliche Mordrate verzeichnete im Zeitraum von 2000 bis 2012 einen Anstieg von 30 Prozent. Eine der Hauptursachen ist die drastisch angestiegene Beschaffungskriminalität; zudem nutzen internationale Kartelle Uruguay seit einiger Zeit verstärkt als Transitland zum Drogenmarkt in Europa und als Geldwäsche-Zielland.

Diese Entwicklungen nähren unter den Uruguayern ein „Klima der Angst“, zumal die Zunahme an Delikten in der subjektiven Wahrnehmung der Bürger unverhältnismäßig stark zu Buche schlägt. Öffentliche Sicherheit stieg in Umfragen zum „Thema Nr. Eins“ auf und ist auf der politischen Agenda ganz nach oben gerückt.

 

Antwort auf ein „Klima der Angst“

Als Antwort auf dieses gefühlte „Klima der Angst“ schnürte die Regierung unter Präsident Mujica im Juni 2012 ein neues Sicherheitspaket, das eine radikale Kehrtwende in der Drogenpolitik vorsieht. Denn eine der 15 Maßnahmen ist die Legalisierung und staatliche Regulierung der gesamten Wertschöpfungskette von Marihuana. Das entsprechende Gesetz trat im Mai 2014 in Kraft. Der Beginn des legalen Marihuanahandels wird für den Zeitraum zwischen Dezember 2014 und März 2015 erwartet. Die neue Politik verschiebt den Fokus im Umgang mit Drogen von Strafverfolgung und Repression auf Gesundheit, Bildung und Schadensminimierung. Die Chancen sind vielfältig: Schwächung des organisierten Verbrechens, Eindämmung der Beschaffungskriminalität sowie weniger Drogentote. Erfolgsmaßstab für die neue Drogenpolitik ist damit eindeutig die Schadensminderung („Harm Reduction“): Schäden für Sicherheit und Gesundheit der Menschen gilt es zu reduzieren. Dadurch, dass man Marihuana für illegal erklärt hat, ist das vorher in keiner Weise gelungen.

Die neue Politik verschiebt den Fokus im Umgang mit Drogen von Strafverfolgung und Repression auf Gesundheit, Bildung und Schadensminimierung.

Wie soll die Legalisierung eines verbotenen Wirtschaftszweigs gelingen? Das neue Gesetz sieht drei Optionen für den legalen Marihuanaanbau und -handel vor: a) den privaten Anbau, b) die Produktion und Ausgabe in Marihuanaclubs und c) den Verkauf in lizenzierten Apotheken. 480 Gramm jährlich dürfen pro Person ausgeben werden. Und die Konsumenten müssen sich vorab registrieren, mindestens 18 Jahre alt sein und die uruguayische Staatsbürgerschaft innehaben. Drogentourismus wird damit ein Riegel vorgeschoben. Verboten sind Cannabiswerbung, Marihuanakonsum am Arbeitsplatz sowie Führen eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss.

Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird von dem neu gegründeten „Institut für Regulation und Kontrolle von Cannabis“ (IRCCA) überwacht. Es legt zudem den Verkaufspreis für Marihuana im Apothekenhandel fest. Aktuell sehen die Pläne des IRCCA einen Preis von einem US-Dollar pro Gramm vor. Darüber hinaus soll das Institut Aufklärungsprogramme über die Risiken des Drogenkonsums fördern und diesen langfristig senken. Uruguay präsentiert damit eine alternative Politik, welche Drogenmündigkeit an die Stelle des unrealistischen Abstinenzdogmas setzt.

 

Hoffnungsträger Cannabis-Gesetz

Das neue Cannabis-Gesetz ist ein Hoffnungsträger. Denn das Gesetz kann eine radikale Trendwende hin zu einer Verbesserung der Sicherheitslage bringen. Es verspricht einen Rückgang von organisierter Kriminalität sowie Chancen für mehr soziale Kohäsion. Ein Blick nach Uruguay lohnt sich daher aus mindestens fünf Gründen:

Erstens kann die neue Politik eine der Haupteinnahmequellen der uruguayischen Drogenbanden austrocknen. Weitere finanzielle Einbußen entstehen den Banden dadurch, dass auf den legalen Markt abgewanderte Marihuanakonsumenten nicht mehr so leicht als Kunden für Kokain sowie dessen Abfallprodukt „Pasta Base“ gewonnen werden können.

Zweitens schiebt eine erfolgreiche Isolierung des Marihuanamarkts vom sonstigen Drogenmarkt dem Kontakt der mehrheitlich jungen Marihuanakonsumenten mit Gewalt und Kriminalität einen Riegel vor. Sie sind nicht mehr länger auf den Schwarzmarkt angewiesen, wo sie potenziell Einschüchterung ausgesetzt waren und Gefahr liefen, in Bandenkriminalität abzurutschen. Zudem unterliegen Konsumenten kleiner Marihuanamengen nicht länger strafrechtlicher Verfolgung. Damit werden Gefängnisaufenthalte vermieden, die sich meist als Einstieg in das organisierte Verbrechen entpuppen. Durch die Entkriminalisierung des Marihuanakonsums besteht die Aussicht auf eine veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung von Drogenkonsumenten. Ein Ende der Stigmatisierung als kriminell, arm und gesellschaftlich „nutzlos“ ist denkbar.

Drittens kann sich durch die nachhaltige Schwächung der lokalen Straßenbanden die Lebensqualität in den Armutsvierteln verbessern. Büßen die Drogengangs ihre ökonomische und soziale Machtstellung ein, sind verletzliche Gruppen (Drogenabhängige sowie in prekären Umständen lebende Familien) nicht mehr so leicht als Zwischenhändler ausnutzbar. Eine erfolgreiche Gesetzesimplementierung stärkt somit soziale Inklusion.

Profitieren werden insbesondere Drogenabhängige durch Programme zur sozialen Rehabilitierung sowie Krebskranke und chronisch Kranke, da Cannabis künftig in der medizinischen Forschung erlaubt ist.

Viertens nutzt diese alternative Drogenpolitik dem öffentlichen Gesundheitswesen in vielfältiger Weise, u.a. durch den stärkeren Fokus auf Prävention. Profitieren werden insbesondere Drogenabhängige durch Programme zur sozialen Rehabilitierung sowie Krebskranke und chronisch Kranke, da Cannabis künftig in der medizinischen Forschung erlaubt ist. Werden die bisher für die Repression aufgewendeten Gelder erfolgreich in die Gesundheitsfürsorge umverteilt, eröffnet sich ein Handlungsspielraum völlig neuer Größenordnung und Uruguay könnte in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnehmen.

Fünftens kann legalisiertes Cannabis als Ausstiegsdroge fungieren. In Uruguay eröffnet dies insbesondere Wege des sanften Ausstiegs aus dem hochgradig süchtig machenden Kokainabfallprodukt Pasta Base. Das gezielte Angebot von Marihuanatherapien könnte Abhängige zu diesem Schritt anregen, was ein enormer Erfolg wäre und die Zahl der Drogentoten langfristig vermindern könnte.

 

Impulse für die Debatte

Mit seinem revolutionären Schritt hin zur Legalisierung der gesamten Wertschöpfungskette von Marihuana könnte Uruguay heute nicht bedeutender für die internationale Staatengemeinschaft und deren Suche nach neuen Wegen in der Drogenpolitik sein. Die Regierung begleitet ihre Reform mit einem umfassenden Evaluationsprogramm sowie internationalen Kooperationen (z.B. zwischen der Nationalen Drogenbehörde und dem Max-Planck-Institut für Internationales Kriminalrecht). Diese Bemühungen verdeutlichen den Willen Uruguays, die Erfahrungen aus seinem nationalen Laboratorium transparent zugänglich und global nutzbar zu machen. Gelänge es, durch eine regulierte Marihuanapolitik einige der Schäden, die durch das Organisierte Verbrechen und die repressive Politik für Drogenkonsumenten und die Zivilbevölkerung entstanden sind, zu minimieren, wäre dies bereits ein großer Erfolg.

Des Weiteren wird in Expertenkreisen diskutiert, inwiefern das uruguayische Beispiel auch Impulse für die Legalisierung des lukrativen Kokainmarktes geben kann, welche in der gleichen Art und Weise wie die Neuregelung des Marihuanahandels denkbar wäre. Damit liefert die Gesetzesreform immerhin für die Austrocknung gleich zweier großer Finanzquellen der transnationalen Kartelle einen Ansatz.

Erste internationale Wellen hat die Gesetzesreform bereits geschlagen. Mexiko und Brasilien suchen den Austausch mit dem kleinen Land am Rio de la Plata. In Deutschland forderten Ende 2013 über 100 Jura-Professoren in einer Resolution an den Bundestag die Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Entkriminalisierung von Drogendelikten. Die Chancen stehen gut, dass Uruguay mit seiner innovativen Gesetzgebung die internationale Diskussion über alternative Drogenpolitik belebt.

Überfällig scheint nicht zuletzt eine Diskussion innerhalb der Vereinten Nationen (VN) über den Status von Cannabis in VN-Konventionen zur Kontrolle von Betäubungsmitteln. Zwischen diesen jahrzehntealten Normen und den politischen Realitäten klafft längst eine Lücke. Mit dem Voranschreiten Uruguays ist eine Diskussion über einen Richtungswechsel hin zu einer flexibleren Marihuanapolitik der Einzelstaaten und neuen Wegen zur Eindämmung der organisierten Kriminalität nun auf dem Tisch. Die VN hatten Uruguay für sein Experiment zunächst zwar scharf kritisiert. Mittlerweile lenkten sie allerdings ein und zeigen sich offener, die Ergebnisse der neuen Drogenpolitik abzuwarten. Auf der nächsten VN-Generalversammlung zum Drogenproblem im Jahr 2016 hat die internationale Staatengemeinschaft die Chance, die gegenwärtige katastrophale Voreingenommenheit zu korrigieren und eine progressivere Drogenpolitik zuzulassen. Diese Chance sollte sie nutzen.