„Wenn die Regierung Rechts sagt, können wir nicht Links sagen“ – mit dieser Aussage sorgte Katsuto Momii, der neue Vorsitzende des öffentlich-rechtlichen Senders NHK „Nippon Hôsô Kyôkai“ – „Rundfunkgesellschaft Japans“– für Stirnrunzeln in der japanischen Öffentlichkeit und für Entsetzen bei seinen Mitarbeitern. Der NHK, der stets besonderen Wert auf seine Neutralität legt, wurde lange als vertrauenswürdigste Medien-Institution im Lande angesehen. Jetzt ist der Staatssender zum gesellschaftlichen Zankapfel geworden, sein Vorstand Gegenstand scharfer Kritik.

Hintergrund des Skandals ist der neue Kurs des ultrakonservativen Premierministers Abe Shinzo. Seit seine Liberaldemokratische Partei (LDP) Ende 2012 die Regierung übernommen hat, verfolgt die Regierung eine autoritär-nationalistische Agenda.

 

Neutralität in Gefahr

Seit seiner Neugründung in der Nachkriegszeit nimmt der gebührenfinanzierte Sender NHK in Japan eine Sonderstellung ein. Kein Medium hat so viel Einfluss. Im Laufe der Jahrzehnte ist er zu einem der größten Rundfunkkonzerne der Welt angewachsen – mit zahlreichen Tochterunternehmen, eigenem Orchester und 10 000 Mitarbeitern. Formell ist NHK unabhängig. Die Gesetze bieten der Regierung nur zwei Möglichkeiten der Einflussnahme: die Besetzung der Vorstandsposten und die Genehmigung seines Budgets durch das Parlament. Die seit 1955 dominante LDP kann mit NHK traditionell gut leben: Zum Neutralitätsverständnis des Senders gehört der Verzicht auf offene Kritik an der Regierung.

Der große Einfluss der Rundfunkanstalt hat jedoch wiederholt Politiker dazu verführt, die Berichterstattung informell zu beeinflussen. Abe Shinzo ist hier bereits 2001 in Erscheinung getreten. In seiner Rolle als Generalsekretär der LDP hatte er Druck auf NHK ausgeübt, eine Sendung über die Zwangsprostitution im Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Damals wurden in den von Japan besetzten Gebieten in Ost- und Südostasien Bordelle für Frontsoldaten unterhalten, in denen vor allem koreanische Mädchen und Frauen zur Prostitution gezwungen wurden. Der Sender, dessen Budget im Parlament zur Prüfung vorlag, knickte ein und nahm die geforderten Änderungen vor.

Nach dem Wahlsieg der LDP 2012 versuchte Abe als Premierminister erneut, Einfluss auf NHK zu nehmen. Ende 2013 besetzte er die offenen Vorstandsposten mit Gesinnungsgenossen. Mit diesen Personalentscheidungen hat Abe die Glaubwürdigkeit von NHK schwer beschädigt.

Zwangsprostitution im Zweiten Weltkrieg: „Das hat es in jedem Land gegeben, das Krieg führte.“

Bereits bei der ersten Pressekonferenz des neuen Vorsitzenden Momii, ehemaliger Manager eines japanischen Großkonzerns, kam es zum Eklat. Neben seiner problematischen Aussage zum Verhältnis des Senders zur Regierung äußerte er sich zur Zwangsprostitution im Zweiten Weltkrieg in fragwürdig-beschönigender Weise: „Das hat es in jedem Land gegeben, das Krieg führte.“ Erst kurz zuvor war der Bürgermeister von Ôsaka, Toru Hashimoto, für eine ähnliche Äußerung im In- und Ausland scharf kritisiert worden.

Noch während die Diskussion um Momiis Eignung andauerte, platze die nächste Bombe: Die Tageszeitungen berichteten über eine bizarre Gedenkschrift, die Abes zweite Neubesetzung bei NHK, die emeritierte Philosophieprofessorin Michiko Hasegawa, veröffentlicht hatte: In einem Aufsatz bezeichnete sie einen Rechtsradikalen als Held, der sich 1993 in der Zentrale der linksliberalen Asahi-Zeitung aus Protest selbst erschossen hatte. Durch seinen Tod sei der japanische Kaiser erneut ein lebender Gott geworden.

Auch Abes dritter Mann im Vorstand, Naoki Hyakuta, neigt zu Verhaltensauffälligkeiten. In einer Wahlkampfrede zur Unterstützung des extrem rechten Kandidaten Toshio Tamogami leugnete der Schriftsteller die japanischen Kriegsverbrechen in China und beschimpfte Tamogamis Konkurrenten als „Abschaum“.

Inzwischen rufen Protestnetzwerke dazu auf, die Zahlung der Rundfunkgebühr zu verweigern, und mehrere Bürgerrechtsorganisationen haben Momiis Rücktritt verlangt. Die Opposition zitierte ihn zur Anhörung ins Parlament. Aber auch im Inneren von NHK gärt es. Die traditionell links stehende Unternehmensgewerkschaft der Anstalt äußert in Pressemitteilungen unverhohlen Kritik am eigenen Chef.

Der Schaden für NHK ist bereits entstanden, das Vertrauen in den Sender schwindet. Noch schwerer wiegt aber die Verschlechterung des ohnehin vergifteten politischen Klimas in Japan und der angespannten Beziehungen zu den Nachbarländern.

 

Illusion der „harmonischen“ Gesellschaft

Nur wenige Wochen nach Beginn des NHK-Skandals trafen sich Politiker verschiedener Parteien, um die Möglichkeit der Rücknahme des sogenannten Kôno-Statements zu beraten. Mit der Kôno-Erklärung hatte die japanische Regierung sich 1993 erstmals für die Zwangsprostitution entschuldigt. Dass die Revisionisten ihren Vorschlag ausgerechnet am Tag des Hina-Matsuri der Öffentlichkeit vorstellten, dem Fest, an dem die Japaner traditionell für die Gesundheit der Mädchen beten, illustriert den grenzenlosen Zynismus der japanischen Rechten.

Der NHK-Skandal ist aber nur das jüngste Anzeichen eines tiefer sitzenden gesellschaftlichen Konflikts. Entgegen dem Klischee der harmonischen Gesellschaft ist Japan ideologisch tief gespalten. Während das linksliberale Lager die japanischen Kriegsverbrechen und die pazifistische Nachkriegsverfassung anerkennt, ist die Rechte entschlossen, jeden Beweis für Japans Kriegsverbrechen zu ignorieren oder zu relativieren. Diese Spaltung offenbart sich regelmäßig bei Besuchen von Politikern im umstrittenen Yasukuni-Schrein, in dem neben den Kriegsgefallenen auch die Seelen von Kriegsverbrechern verehrt werden und in dessen Museum der Krieg als „asiatischer Befreiungskrieg“ glorifiziert wird.

Der ideologische Graben zwischen den beiden Gruppen kann bislang nur überdeckt werden, indem die Geschichte Japans als „Ansichtssache“ dargestellt wird.

Im Dezember 2013 besuchte Premierminister Abe den Schrein. Damit erntete er bei einem Teil der japanischen Bevölkerung Zustimmung, beim anderen Entsetzen. Nach einer Umfrage der Asahi-Zeitung befürworten 41% der Befragten die Besuche des Schreins, während sich 46% gegen diese aussprechen. Der ideologische Graben zwischen den beiden Gruppen kann bislang nur überdeckt werden, indem die Geschichte Japans als „Ansichtssache“ dargestellt wird – trotz umfangreicher Belege für die japanischen Kriegsverbrechen.typo3/

Premierminister Abe hat durch seinen Übergriff auf NHK das empfindliche Gleichgewicht des Senders, in dem sich die beiden ideologischen Lager Japans – symbolisiert durch die LDP und die Mitarbeiter des Senders – die Waage gehalten haben, zerstört. Dass er das Übergewicht der Rechten bei NHK langfristig aufrechterhalten kann, ist dennoch fraglich. Auch dem rechten Lager ist nicht an einer Beschädigung des Senders gelegen. So bleiben zwei Alternativen. Der zwischen Links und Rechts eingekeilte Sender könnte seinen zunehmend unglaubwürdigen Neutralitätsanspruch relativieren, ideologische Positionen transparent machen und als ein Austragungsort der überfälligen Debatten über Japans Rolle in der Welt und Japans Kriegsvergangenheit dienen. Oder die auffällig gewordenen Funktionäre werden früher oder später gegen Vertreter moderaterer Ansichten ausgetauscht und das Gleichgewicht des Senders wieder hergestellt. Der ersten Alternative steht entgegen, dass rechtsextremistische Gruppierungen in Japan über ein hohes Einschüchterungspotential verfügen und mit aggressiv-lautstarken Demonstrationen schon so manch kritische Berichterstattung verhindert haben. Dies ist auch ein Grund dafür, dass Japan in der Rangliste der Pressefreiheit 2014 nicht über einen unbefriedigenden 59. Platz hinauskommt. Auch kurz nach den kontroversen Aussagen Momiis fuhren Lautsprecherwagen der Rechtsextremisten vor der NHK-Zentrale auf, um seinen Aussagen Nachdruck zu verleihen. Das zweite Szenario, also die Ersetzung der kontroversen Funktionäre mit gemäßigteren Personen, ist daher bei Weitem wahrscheinlicher; auch weil die Illusion einer „harmonischen“ Gesellschaft in Japan noch immer extrem einflussreich ist. Zugleich wäre dieses Szenario aber auch Ausdruck der Bequemlichkeit und inneren Lähmung, die Japan seit Langem erfasst hat.